Türkei: Verlust der Werte

Das ist die neueste Wendung in diesem verwirrenden Skandal, der den Lieblingssport der Türken seit dreieinhalb Jahren in immer tiefere Abgründe stürzt. In der Saison 2010/11 soll sich unter anderem Fenerbahçe Istanbul den Meistertitel erkauft haben, Fenerbahçes Präsident Aziz Yildirim war deswegen von der letzten Instanz zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden.

Der europäische Kontinentalverband Uefa hatte Fenerbahçe für zwei Jahre von seinen Wettbewerben ausgeschlossen, diese Sperre wurde vom Internationalen Sportsgerichtshof Cas in Lausanne bestätigt. Auch wurde der Einspruch von Fenerbahçe gegen das Uefa-Urteil vom Schweizer Bundesgericht abgeschmettert. Die internationalen Urteile haben weiter Bestand.

Fenerbahçe aus Kadıköy in Istanbul ist in der Türkei eine Institution. Der Klub führt gerade wieder die Tabelle der Süper Lig vor den Stadtrivalen Besiktas und Galatasaray an.

Was nun in der Türkei passiert, ist eine hochpolitische Angelegenheit, glauben Beobachter. Nachdem vier Minister der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Erdogan im Dezember 2013 unter Korruptionsverdacht gerieten, wurden viele Hundert Staatsanwälte und hohe Polizeibeamte versetzt oder entlassen − unter anderem jener Staatsanwalt, der für den Manipulationsskandal im Fußball verantwortlich war.

Gesetz gegen Telefonmitschnitte

In der vergangenen Woche entschied ein Ausschuss des Parlaments, dass kein Verfahren gegen die Minister stattfinden wird und, dass die Telefonmitschnitte, die als Beweise dienen sollten, vernichtet werden. Damals hat Ministerpräsident Erdogan diese Minister entlassen. Auch ein Sohn Erdogans und zwei Söhne von Ministern standen unter Korruptionsverdacht, auch diese Verfahren sind eingestellt.

Es sind vor allem Telefonmitschnitte, die im Fall des Fußballskandals die Angeklagten belasten. Im März 2014 wurde ein Gesetz erlassen, das Telefonmitschnitte nicht mehr als Schuldbeweis zulässt. Staatspräsident Erdogan, ein Fenerbahçe-Fan, vermutet hinter den Korruptionsermittlungen gegen seine damaligen Minister eine Verschwörung der Bewegung seines einstigen Mitstreiters Fethullah Gülen, der in den USA lebt. Gülen bestreitet, einen Umsturz der Regierung geplant zu haben. Auch Fenerbahçe und sein Präsident Aziz Yildirim machten sich die Komplott-Theorie zu eigen.

Yildirim behauptete gestern, es sei in der ganzen Angelegenheit um eine Verschwörung gegen „mich, die Republik und die Regierung“ gegangen − und Fenerbahçe Istanbul sei nun einmal eben die größte zivile Gesellschaftsorganisation der Türkei von Staatsgründer Atatürk.

Ein Anwalt von Trabzonspor, das als Meisterschaftszweiter aus der Saison 2011 um den Titel kämpft, erklärte hingegen, es gehe bei Manipulationen um Ethik, Ehre und Sportlichkeit. Doch um diese Werte ist es im türkischen Fußball offenkundig sehr schlecht bestellt.

Gestern berichtete die Zeitung Habertürk, dass sich das Unternehmen Ülker, einer der großen Sponsoren des türkischen Sports, angeblich aus dem Fußballgeschäft zurückziehen wolle. Der kontinuierliche Niedergang des türkischen Fußballs ist hausgemacht.