Union Berlin gegen Hertha BSC: Schultz sieht „deutliche Verschiebung der Kräfte“
Der Präsident des BFV spricht über die Bedeutung beider Vereine für die Stadt, die Wechselwirkung mit dem Amateurfußball und die Stadionsituation in Berlin.

Als Bernd Schultz im September 2004 erstmals zum Präsidenten des Berliner Fußball-Verbands (BFV) gewählt wurde, waren die fußballerischen Machtverhältnisse in der Stadt noch klar geklärt. Während Hertha BSC sich in den folgenden Monaten bis in die Europa League spielte, stieg Union Berlin aus der Regionalliga Nord in die Oberliga ab. Knapp zwei Jahrzehnte später ist der 64-jährige Schultz in seiner sechsten Amtszeit und die beiden Stadtrivalen starten am Samstag mit dem bereits siebten Bundesliga-Derby in die Saison 2022/23.
Herr Schultz, am Sonnabend wartet direkt zum Saisonstart das Derby zwischen Union Berlin und Hertha BSC. Wie werden Sie das Stadtduell verfolgen?
Im Stadion. Als Präsident des BFV bin ich ja allgemein Fan der Berliner Fußballvereine und so ein Derby hat in Sachen Atmosphäre einen sehr besonderen Charakter. Das möchte ich mir schon persönlich vor Ort ansehen.
Als begeisterter Fan oder als Präsident, der neben dem Spiel auch noch ein bisschen arbeiten muss?
Man kennt sich in dieser Stadt natürlich. Man trifft im Stadion auch die Vereinsvertreter und den einen oder anderen Partner des Verbandes. Möglicherweise gibt es vorher auch noch Treffen mit dem neuen Hertha-Präsidenten Kay Bernstein. Das ist urlaubsbedingt bisher noch nicht zustande gekommen, werden wir aber spätestens beim Derby vereinbaren.

Die Derbys zwischen Hertha und Union sind für die Berliner Fußballfans immer wieder aufs Neue etwas Besonderes. Ist das ein Beweis für die Strahlkraft der beiden Vereine in der Stadt?
Beide Vereine haben eine enorme Strahlkraft, keine Frage. Sie kommen aus verschiedenen Stadtteilen und man sieht, dass Geschichte hier nachwirkt. Wie verwurzelt Union in Köpenick ist, sieht man aktuell an der Freude darüber, dass man wohl doch Europapokalspiele an der Alten Försterei austragen kann – selbst wenn es wirtschaftlich nicht so lukrativ ist wie ein gut gefülltes Olympiastadion. Aber das ist die DNA von Union Berlin – sie sind stolz darauf, was sie in Köpenick aufgebaut und erreicht haben. Auch wir können stolz sein auf Union und die erneute Qualifikation für Europa. Es imponiert mir, mit welcher Ruhe man sich sportliche Ziele setzt und sie auch erreicht.
Hertha BSC hingegen hat in vielerlei Hinsicht unruhige Monate hinter sich. Wie haben Sie diese erlebt?
Hertha BSC hatte sehr spezielle, sehr bewegte letzte Monate, die man sich für einen Verein so nicht wünscht. Ich habe das alles nur aus der Ferne beobachtet, aber natürlich mitbekommen, dass es zuletzt nicht gelungen ist, einen guten Austausch zwischen Vereinsführung, Fans und Partnern wie Lars Windhorst hinzubekommen. Wenn Sie über Monate hinweg in der Ostkurve „Gegenbauer und Windhorst raus“ lesen, dann ist ein tiefer Bruch zu erkennen. Insbesondere in Sachen Kommunikation hat sich Präsident Bernstein deswegen ja auch sehr viel vorgenommen.
Auftakt vor #FCUBSC. FOKUS. 🔛#HaHoHe pic.twitter.com/cBSHH96Dql
— Hertha BSC (@HerthaBSC) August 3, 2022
Wie wichtig ist es denn aus Verbandssicht, dass Hertha vergangene Saison schlussendlich nicht abgestiegen ist und es so weiterhin zwei Fußball-Bundesligisten in Berlin gibt?
Union und Hertha sind die beiden führenden und herausragenden Vereine in Berlin, was die sportliche Liga und auch ihre Mitgliederzahlen angeht. Nur zu sagen, dass der Berliner Fußball locker zwei Bundesligisten ertragen kann, wäre falsch. Er braucht diese Bundesligisten, weil sie große Leuchttürme sind.
Wie genau profitiert denn der Berliner Fußball von einem Bundesligisten wie Hertha oder Union?
Da gibt es mehrere Aspekte. Erstens hat ein Bundesligist eine große Strahlkraft auf Kinder und Jugendliche. Die begeistern sich für den Fußball und treten bestenfalls in unsere Vereine ein, die ja in der Regel nicht Union oder Hertha heißen. Es profitiert also die gesamte Region. Dann hat das Ganze natürlich auch eine wirtschaftliche Dimension. Es ist ja bekannt, dass wir als Landesverband gemäß den Vereinbarungen vom Deutschen Fußball-Verband und der Deutschen Fußball-Liga prozentual an den Einnahmen der Bundesligisten beteiligt werden. Da geht es um Zahlen im sechsstelligen Bereich.
Es gibt also auf unterschiedlichsten Ebenen Wechselwirkungen zwischen den Profiklubs und dem Amateurfußball in Berlin?
Der eine profitiert von dem anderen. Sowohl Hertha und Union untereinander durch die Konkurrenzsituation, aber auch in Beziehung mit dem Amateurfußball. Die Talente von Hertha und Union werden ja bei Weitem nicht alle Profis. Aber viele von ihnen bleiben gut ausgebildet im Amateurfußball und sind mitverantwortlich, dass wir mit so vielen Mannschaften in Oberliga und Regionalliga spielen. Gleichzeitig spielen bei Vereinen wie Viktoria, Hertha Zehlendorf oder dem Berliner AK Talente, die später zu Union oder Hertha wechseln. Ohne Breite gäbe es die Spitze nicht. Gleichzeitig wäre die Breite nicht so breit, wenn es die Spitze nicht gäbe. Sie sind wie Zahnräder, die ineinandergreifen.
Stichwort ineinandergreifen: Auf welchen Ebenen arbeiten Sie als Verband mit Hertha und Union zusammen?
Insbesondere im Bereich der Schulen und den Nachwuchsleistungszentren. Die Sportschulen, mit denen Hertha und Union kooperieren, mit denen arbeiten auch wir zusammen. Darüber hinaus stellen beide Vereine zahlreiche Talente in unseren Auswahlmannschaften. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass nach und nach noch mehr Berliner Talente führende Rollen in beiden Klubs spielen. Hertha und Union hätten schließlich noch mehr Strahlkraft, wenn bei ihnen jedes Wochenende fünf Berliner auf dem Platz stehen würden.

Große Strahlkraft hatte jüngst auch die Europameisterschaft der Frauen in England. Wie verfolgen Sie Union Berlins Ankündigung, auch mit den Frauen mittelfristig Bundesliga spielen zu wollen?
Mit Union in der Regionalliga der Frauen gut vertreten zu sein, ist für uns als Hauptstadt sicherlich zu wenig. Ich freue mich also sehr, dass sowohl Union als auch Viktoria Berlin sich schon vor der EM mit großen Ambitionen auf den Weg gemacht haben, das zu ändern. Wenn man den Frauenfußball entwickeln will, kommt man nicht umher, auch in ihn zu investieren. Das machen nun sowohl Union, aber auch Viktoria in Form der Gruppe um Ariane Hingst, die ja auch finanziell Rückendeckung genießt. Bei Hertha hingegen gibt es keinen Mädchen- und Frauenfußball.
Wie bewerten Sie das?
Das ist eine bewusste Entscheidung, die es zu akzeptieren gilt. Zumal Hertha ja mit Turbine Potsdam zusammenarbeitet. Ich würde mir aber natürlich wünschen, dass der Verein, wenn er sich um Frauenfußball kümmern will, vermehrt bei uns in der Stadt aktiv wird. Das wird auch ein Thema sein, was ich mit Herrn Bernstein besprechen möchte.
Sowohl bei Hertha als auch bei Union ist das Thema Neu- beziehungsweise Ausbau des Stadions nach wie vor sehr relevant. Sind Sie als Verband in irgendeiner Form mit eingebunden?
An den Stadionplänen sind wir zwar nicht beteiligt, aber jeweils sehr früh über sie informiert worden. Wenn es Hertha gelingt, ein reines Fußballstadion zu bauen, wäre das sicherlich gut für die Stadt. Andererseits haben wir mit dem Olympiastadion ein tolles Stadion, das wir nicht zu einem Baudenkmal verkommen lassen sollten. Auch Union hat definitiv das Potenzial, ein doppelt so großes Stadion zu füllen. Allerdings liegen hier infrastrukturelle Herausforderungen vor, die nicht so einfach lösbar sind. Dennoch höre ich immer wieder, dass die jeweiligen Verantwortlichen in guten Gesprächen mit der Politik sind.
Auch im Amateurfußball sind die Stadien ein Thema. Dem BFC hätte im Falle eines Aufstiegs in die Dritte Liga ein Heimstadion gefehlt und auch in der Regionalliga gibt es immer wieder Probleme.
Da müssen wir über die Bedingungen der sportlichen Infrastruktur reden. Wir haben über Jahre hinweg Kämpfe ausfechten müssen über Flutlichtanlagen in unterschiedlichen Stadien. In Stadionfragen sind die Bezirke maßgeblich mitverantwortlich. Ein zentraler Standort ist etwa das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion. Ich weiß nicht, an wie vielen Arbeitsgruppen zu der Entwicklung des Geländes ich in den letzten Jahren beteiligt war. Der Fortschritt ist immer wieder von unterschiedlichsten politischen Verantwortlichen verhindert worden. Hier gilt es zu handeln und da ist der Senat in der Verantwortung.
In der sportlichen Verantwortung steht vor dem Derby am Wochenende vor allem Hertha BSC. Haben sich mit Unions jüngsten Erfolgen im Stadtduell aus Ihrer Sicht auch die Machtverhältnisse im Berliner Fußball verändert?
Das ist nicht zu leugnen. Wir haben in Union einen ehemaligen Aufsteiger, der sich sehr schnell in der Bundesliga etabliert und zweimal in Folge für den europäischen Wettbewerb qualifiziert hat. Das ist eine deutliche Verschiebung der Kräfte, die auch Hertha registrieren, aber vermutlich nicht einfach so hinnehmen wird.
Und auf Ihrer Geschäftsstelle: Sind dort die Fans von Hertha oder die von Union stärkste Kraft?
Eine richtige Lagerbildung gibt es bei uns, soweit ich weiß, nicht. Aber natürlich beschäftigt das Derby uns als Menschen, die im Fußball arbeiten, sehr. Wir werden alle mitfiebern und freuen uns auf den Sonnabend.