Verletzte bei Hertha BSC Berlin: Coach Pal Dardai muss seine Trainingssteuerung überdenken

Berlin - Pal Dardai ist kein Arzt. Das weiß natürlich jeder. Zwingt man sich gedanklich trotzdem dazu, den Trainer von Hertha BSC in einen weißen Kittel zu zwängen – welches medizinische Fachgebiet würde wohl am ehesten zu ihm passen?

Man kann sich Dardai zum Beispiel ganz gut als Kieferchirurgen vorstellen. Als praktizierender Mittelfeldspieler hat er ja so manchem Gegner den Zahn gezogen. Gern auch mal ohne Betäubung. Oder als Rechtsmediziner. Der Trainer Dardai war nämlich zuletzt sehr damit beschäftigt, Ursache, Art und Zeitpunkt herauszufinden, also woran wie und wann die Auswärtsform seiner Mannschaft erkrankte – und dann unter rätselhaften, bis heute unbekannten Umständen die Bundesligawelt verließ. Spätestens am Sonnabend um halb vier muss Dardai seine neuesten Erkenntnisse präsentieren. Hertha spielt in Bremen. Und dort konnte in den vergangenen Wochen ein schier wundersamer Heilungsverlauf beobachtet werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Manchmal doch ein Diagnose-Versuch

Dass Pal Dardai kein Arzt ist, muss hier deswegen erwähnt werden, weil er es in den vergangenen Monaten selbst mehrfach getan hat. Immer saßen oder standen Reporter vor ihm, Spiel oder Training waren gerade beendet, und Dardai musste erklären, was dem einen schon wieder zugestoßen ist oder was dem anderen immer noch fehlt. „Ich bin kein Arzt“, sagte Dardai also häufig. Und dann versuchte er sich manchmal doch an einer Diagnose, die er aufgrund seiner Erfahrung einigermaßen plausibel darlegen konnte.

Eine von Dardais Theorien geht so: Ein Spieler, der nach einer Verletzung wieder zwei Wochen und vollumfänglich mit der Mannschaft trainieren konnte, soll am besten sofort eingesetzt werden, weil er schnell in Form kommt, bevor er langsam in ein Loch fällt und womöglich erneut ausfällt.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Zum Beweis seiner Theorie hat Dardai zuletzt den sehr speziellen Krankenfall Ondrej Duda herangezogen. Der Spielmacher war sieben Monate verletzt, fiel dann im Training durch Übersicht und Handlungsschnelligkeit auf, kam also Ende Februar und Anfang März zu zwei Kurzeinsätzen – und seitdem pausiert er mal wieder, diesmal wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel. Psychologen sprechen da gerne von einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Kann man halt nichts machen. Ist nun mal die häufigste Verletzung in der Bundesliga. Mit durchschnittlich 25 Ausfalltagen ist zu rechnen.

Erfahrung oder Erfolg?

Die zuletzt doch arg auffällige Häufung von Muskelverletzungen hat Dardai trotz seiner seherischen Kräfte erstaunt, auch verärgert, und dann hat er gemeinsam mit seinem Funktionsteam beschlossen, ein paar Dinge zu verändern. Wobei alle erst mal davon ausgehen, dass es im Grunde nicht an ihren Trainingsmethoden liegen kann. Wofür auch diese Zahlen sprechen: In der Hinrunde lag Hertha mit insgesamt 566 Verletzungstagen – im Schnitt 20,96 Tage pro Verletzung – noch auf einem glimpflichen Ligaplatz fünf. In der Rückrunde entspricht die Platzierung plötzlich in etwa der sportlichen Entwicklung, was freilich einen sehr direkten Zusammenhang zwischen Blessuren und Punkten erlaubt.

Die Änderungen in der Trainingssteuerung gelten allerdings erst ab der kommenden Saison. Und so viel hat Dardai schon mal verraten am Donnerstag: Die zweite Einheit am Mittwoch- und Donnerstagnachmittag wird in Zukunft anders gestaltet und mehr an den individuellen Bedürfnissen der Spieler ausgerichtet. Sie werden außerdem noch tiefer in ihre Datenbanken schauen, wo alles aufgelistet ist, was man mit GPS und anderen Messgeräten tracken kann: Laufverhalten, Herzfrequenz, Blutwerte und vieles mehr. Gläsern sind die Spielerkörper schon. Aber man muss halt den Durchblick behalten.

Bei John Brooks (Faserriss in der Hüftmuskulatur) und Marvin Plattenhardt (Faserriss im Oberschenkel) ist das aus unterschiedlichen Gründen nicht gelungen. Die beiden Abwehrspieler werden in Bremen durch Jordan Torunarigha, 19, und Maximilian Mittelstädt, 20, ersetzt. „Die jungen Spieler überlegen nicht so viel“, sagte Dardai. Das könne ein Vorteil sein. „Wir freuen uns sehr, diese jungen Spieler zu sehen“, sagte Michael Preetz. „Sie werden auf jeden Fall etwas mitnehmen. Wir wissen nur noch nicht, ob es Erfahrung sein wird oder auch Punkte.“ In den Gedanken des Managers glaubte man diesen einen Zusatz zu lesen: „Hoffentlich keine Muskelschmerzen.“ Aber Reporter sind leider keine Gedankenleser.