Ümit Ergirdi und Karim Benyamina sind in ihre blauen Trainingsklamotten geschlüpft. Sie schlendern gemeinsam aus der Kabine. Rüber auf die Wiese neben Balke’s Park Treff, wo große Sonnenschirme stehen. Es gibt Frühstück hier, Pommes, Currywurst, Currybuletten. Das Training beginnt in 15 Minuten, und Ergirdi hatte zuvor auf der Geschäftsstelle des FC Viktoria 1889 angeboten: „Wenn Sie noch ein, zwei Fragen an Karim haben, bring’ ich ihn nachher vor dem Training einfach kurz mit.“
Die Fußballer des FC Viktoria trainieren einmal die Woche in Lankwitz, weil der Rasen größer ist als die Plätze am Stadion in Lichterfelde. Und tatsächlich gibt es noch ein, zwei Fragen: Zum Beispiel, ob die beiden am Donnerstag beim Berliner Pokalfinale gegen BFC Dynamo (17 Uhr, Jahnsportpark) eine Premiere erleben könnten? Würde ein Titelgewinn für Viktoria bedeuten, dass Kapitän Ergirdi und Stürmer Benyamina, beide 35 Jahre alt, ihren ersten Titel zusammen feiern?
Die Dritte Kraft
Benyamina schaut seinen Kumpel schräg von der Seite an. „Diggi, haben wir mal was zusammen gewonnen? Hallenturnier oder so? Ibbenbühren? Sind wir irgendwann mal Meister zusammen geworden?“ Ergirdi schüttelt den Kopf. „Nee, Diggi, sind wir nicht.“
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Diggi, so haben sie sich früher noch nicht genannt. Damals, als sie zwei Minuten entfernt voneinander im Märkischen Viertel aufwuchsen. Als sie im Hinterhof kickten, an der Chamisso-Grundschule schreiben und rechnen lernten, immer zusammen von Klasse eins bis sechs. „Wir haben immer zusammen rumgehangen“, sagt Benyamina.
In der dritten Klasse fing Ergirdi bei MSV Normannia 08 an. Er sagte: „Karim, warum immer nur draußen kicken, komm doch einfach mit in den Verein.“ Nach der C-Jugend trennten sich dann die Wege. Benyamina kam früher in die Pubertät als sein Klassenkamerad. Er wuchs schneller. Er setzte sich schneller durch im Männerfußball, wurde irgendwann Zweitligaspieler, eine Legende beim 1. FC Union und Nationalspieler für Algerien.
Drei Ligen tiefer
„Ich bin kleiner geblieben, schmächtiger. Es war schwierig, sich in der B-Jugend durchzusetzen“, sagt Ergidi. „Karim war schon immer der Stürmer, der die Tore geschossen hat. Ich war schon immer im Mittelfeld, eher der Flinke, eher der Dribbler, der die Tore hätte vorbereiten sollen.“ Wenn er sie nicht selbst gemacht hat. Auch für Ergirdi ging es aufwärts: BSV Hürriyet, BFC Preussen, Tennis Borussia, bis hinauf in die Dritte Liga mit dem SV Babelsberg. Nebenher holte Ergirdi das Abi nach. Er studierte, erst Lehramt, dann Jura an der FU.
Heute ist er der Kopf im Team von Viktoria 89. Seine Entscheidung, im Januar 2011 nach einer Verletzung aus Babelsberg von Liga drei zum damaligen Berlin-Ligisten zu wechseln, hatte viel mit Rationalismus zu tun. Juristen-Freunde aus der Uni hatten Ergirdi nach Lichterfelde gelotst: „Wir haben ein Projekt. Wir wollen die dritte Kraft werden in Berlin.“ Diese Pläne überzeugten Ergirdi.
Vor 10.000 Zuschauer wie in Dresden spielte er zunächst nicht mehr. Zum Spiel bei Kickers Offenbach waren sie geflogen. „Du dachtest: Jetzt hast du es als Fußballer geschafft“, erinnert sich der Mittelfeldspieler. Stattdessen trainierten sie drei Klassen tiefer bei Viktoria nicht mehr im Park wie die Profis in Babelsberg, sondern auf dem Ikea-Parkplatz. Ergirdi musste seine Tasche selber mitbringen, die Trikots selber waschen. Seine Frau fragte ihn: „Ist das jetzt immer so?“
Drei Tore mehr
Dann stieg Ergirdi zweimal auf mit Viktoria. Als Regionalliga-Vierter platzierte sich Viktoria diese Saison vor Babelsberg und dem Berliner AK. „Dass wir jetzt die dritte Kraft in Berlin sind, ist auch so ein Schritt in unserem Projekt.“ Der Pokalsieg 2014 gegen Tasmania gehörte auch dazu. Im Besprechungsraum von Viktoria hängt ein Poster im Bilderrahmen. Darauf reckt Ergirdi den Pokal nach oben, den Mund weit aufgerissen, euphorisch. „So etwas noch einmal zu erleben, wäre überragend“, findet Ergirdi.
In all den Jahren riss sein Kontakt zu Benyamina nicht ab. Im Januar 2016 wechselte der Kumpel vom BAK zu Viktoria. Die Vertrautheit von früher war noch immer da. Auf dem Platz, wo der eine spürt, was der andere vorhat. „Der Trainer hat gesagt, wir haben sogar den gleichen Laufstil“, meint Benyamina. Die beiden Ältesten im Team gehen voran, tragen Verantwortung. Ergirdi erzielte 15 Treffer in der Liga, Benyamina 12. „Wir gönnen dem anderen jedes Tor extrem. So, als ob es das eigene wäre“, sagt Ergirdi.
Diggi und Diggi
Im Bus gehört den beiden die hinterste Bank. „Kein anderer würde sich da hinsetzen“, erläutert Benyamina. Fehlt einer von beiden noch im Besprechungsraum, bleibt der Stuhl für den anderen frei. „In der Kabine hänge ich Ümits Trikot immer neben das von Karim, sonst schauen sie mich böse an“, sagt Mannschaftsleiter Gerhard König.
Ob sie in der Schule damals auch nebeneinander gesessen haben? „Nee, wir wurden immer weggesetzt. Ümit nach hinten, Karim bleibt vorne. Oder andersrum“, sagt Benyamina.
Dann gehen sie zum Trainingsplatz. Einer greift die Schulter des anderen, um Halt zu finden. Diggi und Diggi dehnen ihre Oberschenkel. Absolut synchron.