Vor dem Spiel in Regensburg: Frust plus Wut gleich Energie

An dieser Stelle muss einfach mal ein geharnischter Protest erfolgen. Das Fußballregelwerk – 1863 in England erstmals beurkundet und 1874 von einem gewissen Konrad Koch zu Braunschweig in Deutsch schriftlich niedergelegt – regelt in seinen 17 Paragrafen alles. Auch eindeutig, wie Elfmeterschießen zu handhaben sind. Fünf Mann, auf jeder Seite. Bis zum Entscheid. Abwechselnd wohlgemerkt.

Elfmeter als Golden Goal

Guido Winkmann, seines Zeichens Unparteiischer aus Kerken, erfand am späten Mittwochabend zum Leidwesen einer nicht gerade gering angereisten Masse an Unionfans spontan eine neue Variante davon mit einer Idee, auf die nicht einmal das heute für Änderung an den Gesetzen des Fußballsportes zuständige International Football Association Board gekommen wäre.

Der 44-jährige Polizist aus Kerken kombinierte Elfmeterschießen mit einer Art Golden Goal. Sie wissen schon, das Ding, wo ein Tor alles entscheidet und das im Eishockey schlicht und öde Sudden Death genannt wird. Ein gewisser Shampoo-Werbeträger namens Oliver Bierhoff profitierte einst im Jahr 1996 davon, Anno 2018 profitierte wiederum der Ballspielverein von 1909 aus Dortmund. Denn Marco Reus bekam die Chance in Minute 120 + 1 vom Punkt aus anzutreten, ohne dass dahinter weitere Schützen zur Tat schreiten durften. Diesen Vorteil nahm er relativ humorlos an – allen Ablenkungsmanövern der Köpenicker zum Trotz – und Dortmund kegelte die Eisernen aus dem Cup raus. Dank einer neuen Form von Penalty-Shoot-Out. Höchst unfein, das Ganze.

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Verständlich, dass die Eisernen darüber nicht sonderlich amüsiert waren. Obwohl man den Elfer durchaus geben konnte. Kapitän Christopher Trimmel wollte da auch nichts beschönigen: „Ich habe den Schiri nur gefragt, ob er sich sicher ist. Er hat gesagt, er sei sicher, Pulisic wäre gehalten worden.“ Urs Fischer, der seiner Truppe gegen seinen Landsmann Lucien Favre einen perfekten Matchplan mit auf den Weg gegeben hatte, war ebenso stolz wie enttäuscht: „Ich habe mir die Szene nochmal genau angesehen. Den kann man geben, ist aber schon unglücklich zu diesem Zeitpunkt. Wir waren nah dran an der Sensation.“

Der Frust war natürlich riesig. Schien Trimmel noch halbwegs gefasst („Wir hatten Spaß auf dem Platz, sonst hätten wir diese Leistungen so nicht abrufen können“), auch weil sich seine Truppe im Vergleich zum Zweitrundenaus beim BVB vor zwei Jahren ein Stück weit gereifter präsentierte – gegen eine im Übrigen viel bessere Borussia als seinerzeit! Dafür war Robert Zulj der Frust umso stärker anzumerken. „Wahnsinn, was die Mannschaft und die Fans abgeliefert haben. Normalerweise wird so etwas belohnt“, meinte der Mittelfeldspieler recht leise.

Überstunden ohne Lohnausgleich sind weder in der Wirtschaft noch im Fußball sonderlich beliebt. Nun steht natürlich die Frage im Raum, wie die Union-Kicker mit dieser unglücklichen Niederlage umgehen, wie sie auf den unmittelbar anstehenden Ligaalltag und die schwere Aufgabe am Sonntag in Regensburg (13.30 Uhr) reagieren. Drei Remis in Folge gilt es immerhin zu reparieren.

Liga-Hemmer Pokalspiel

In den vergangenen beiden Spielzeiten bekamen die Köpenicker diesen Spagat zwischen Pokal-Highlight und obligatorischer Pflicht nicht hin. Nach dem letztjährigen Auftritt in Leverkusen (1:4) kamen die Eisernen in Duisburg nicht über ein 1:1 hinaus. Im Jahr zuvor ging es richtig bergab, nach dem Aus im Elfmeterschießen beim BVB. Gegen Düsseldorf und in Kaiserslautern hieß es jeweils 0:1. Der Schwung aus dem Pokal hatte sich in der Liga verflüchtigt.

An dieser Stelle baut man bei den Eisernen auf das nicht verbindlich im Regelwerk fest geschriebene, sich aber dennoch nicht selten manifestierende Gesetz, dass Frust in Wut und Wut in Energie umgemünzt werden kann. Sollte durchaus möglich sein. Denn der späte Knockout zieht Union mit Sicherheit diesmal nicht so runter, wie seinerzeit die drei verschossenen Elfmeter nach dem in 120 Minuten erkämpften 1:1.

Diesmal haben die Köpenicker weniger an ihrer eigenen Fehlbarkeit zu knabbern, können mit stärkerem Trotz reagieren. Denn das Positive überwiegt. Die zuletzt mit wenig Durchschlagskraft und ohne echte Torgefährlichkeit aufwartende Offensive hat diesen Kritikpunkt schon zu den Akten gelegt. „Zwei Tore, gegen diesen Gegner und dann auch noch in Dortmund, das muss man erst einmal schaffen“, verwies Doppeltorschütze Sebastian Polter auf die an den Tag gelegte Qualitäten seines Teams. Ausdrücklich meinte er damit das ganze Zusammenarbeiten der Mannschaft, nicht nur seine eigene Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Gehäuse.