Warum Frankreichs Stürmer Olivier Giroud im WM-Viertelfinale gegen Uruguay gar keine Tore schießen soll
Nischni Nowgorod - Rund 20 Minuten vor dem Ende hatte er die Chance auf seinen ersten Treffer bei dieser Weltmeisterschaft. Nach einem Pass von Paul Pogba kam Olivier Giroud auf der linken Seite des Strafraums an den Ball. Der französische Angreifer in Diensten des englischen Premier-League-Klubs FC Chelsea ließ das Spielgerät einmal aufspringen und zog dann mit dem linken Fuß ab. Der Schuss war wuchtig, doch er verfehlte sein Ziel knapp und landete im Außennetz.
Giroud schlug die Hände über dem Kopf zusammen und biss die Zähne aufeinander. Dabei war die vergebene Gelegenheit kein Drama. Denn erstens gewannen seine Franzosen das Achtelfinale gegen Argentinien trotzdem, 4:3 in einem schon jetzt denkwürdigen Spiel. Und zweitens ist das Toreschießen beim Turnier in Russland gar nicht Girouds Hauptaufgabe. Er macht sich auf andere Weise nützlich für die Mannschaft von Trainer Didier Deschamps, die am Freitag (16 Uhr/ZDF) im Viertelfinale in Nischni Nowgorod auf Uruguay trifft.
Natürlich, von Haus aus ist Giroud eigentlich ein Torjäger. Er steht bei 31 Länderspieltreffern. Doch seine Rolle hat sich gewandelt bei dieser WM. Giroud wird nicht in erste Linie dazu benötigt, Torchancen abzuschließen. Stattdessen leitet er Gelegenheiten ein, indem er Räume schafft und Lücken reißt.
Beim Turnierauftakt saß er nur auf der Bank. Trainer Deschamps versuchte es beim 2:1 gegen Australien in der Offensive mit dem hoch begabten Trio aus Kylian Mbappé, Antoine Griezmann und Ousmane Dembélé. Doch anstatt den Gegner auseinanderzunehmen, standen sich die Angreifer oft gegenseitig auf den Füßen.
Zielgerichtet dank Giroud
Für die zweite Partie gegen Peru (1:0) baute Deschamps sein Team um – und änderte damit die Statik des französischen Spiels. Er brachte Giroud als einzige echte Spitze und ordnete Mbappé und Griezmann dahinter an. Dembélé war raus. Die Angriffe der Franzosen sahen dadurch zielgerichteter und besser organisiert aus.
Giroud ist mit seinen 1,92 Metern und seinem kräftigen Körperbau das genaue Gegenteil seiner Mitspieler in der Offensive. Er ist nicht so schnell und technisch längst nicht so gut wie sie. Doch er bindet mit seiner Präsenz gegnerische Verteidiger. Er ist immer empfänglich für lange und hohe Zuspiele und legt Bälle für seine Mitspieler auf. Erst durch den wuchtigen Giroud können sich Griezmann und Mbappé voll entfalten.
Lob vom Nationaltrainer
Am besten war das beim 4:3 im Achtelfinale gegen Argentinien zu erkennen. Giroud ließ sich oft ein Stück zurückfallen und setzte dann die um ihn herum schwirrenden Kollegen ein. In einer Szene bereitete er eine Griezmann-Chance sehenswert mit der Hacke vor. Auch die Vorlage zu Mbappés Treffer zum 4:2 kam von Giroud.
Die Lobpreisungen nach der Partie gehörten dem 19 Jahre jungen Angreifer von Paris St. Germain, weil er mit seinen beiden Toren der erste Teenager seit Pelé 1958 war, dem ein Doppelpack bei der WM gelang. Doch auch Giroud nimmt eine wichtige Rolle beim Vorrücken der Franzosen ins Viertelfinale ein. Trainer Deschamps sagt über ihn: „Wir merken erst, wie nützlich er sein kann, wenn er nicht dabei ist.“
Von der Bank zur Stammkraft
Es passt zum stets kritisch betrachteten Deschamps, dass es seiner talentierten Offensive erst mit dem wenig eleganten Giroud besser gelingt, ihre Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Der Übungsleiter war in seiner aktiven Karriere, in der er Frankreich als Kapitän zum Gewinn der WM 1998 und der EM 2000 geführt hatte, nicht als Schönspieler bekannt, sondern als solider Arbeiter. Als Trainer pflegt Deschamps einen ähnlichen Stil. Er ist Pragmatiker, das Ergebnis ist ihm wichtiger als schöner Fußball. Er hat deshalb kein Problem damit, hoch veranlagte Techniker wie Dembélé oder auch Thomas Lemar auf der Bank zu lassen und dafür den robusten Giroud aufzustellen, wenn es zum Erfolg beiträgt.
Seit seiner Hereinnahme gegen Peru hat der Angreifer in jeder Partie durchgespielt. „Das Ziel ist es, jeden in der besten Position einzusetzen. Wir brauchen eine Balance“, sagt Deschamps.