Wasserball-Frauen aus Spandau neu in der Bundesliga: Tausendundeine Übung

Als Marko Stamm voriges Wochenende mit den Wasserballerinnen von Spandau 04 zum ersten Frauen-Bundesligasspiel der Klubgeschichte fuhr, musste er in sich hineingrinsen. Weil er die Nervosität der Spielerinnen spürte und weil er im Kleinbus auf der Autobahn plötzlich selbst zitiert wurde. Die Frauen hatten Notizbücher mitgenommen. „Da sind sie wortgenau noch mal alles durchgegangen, was sie aus dem Training aufgeschrieben hatten“, sagt Marko Stamm. Sie hatten ihm gut zugehört. Marko Stamm, 30, Wasserball-Nationalspieler und Kapitän des Spandauer Männerteams, trainiert die Frauenmannschaft. Vor einem Jahr begann er mit vier Spielerinnen.

Hand auf die Schulter

Nun saß er in dem Bus nach Chemnitz und hörte, wie die Frauen „taktische Sachen, die wir schon hundertmal besprochen hatten“, zum hunderteintenmal wiederholten: „Zwischen Ball und Verteidiger stehen. Hintern hoch in Richtung des Balls, rechte Hand auf linke Schulter des Gegners legen.“ Es hörte sich für ihn ein bisschen so an wie beim Gesellschaftsspiel Twister, bei dem Menschen auf einer Plastikfolie ihre Arme und Beine auf bunte Punkte platzieren müssen, ohne dabei umzufallen. Über den Beweis von so viel Engagement und Wissbegierigkeit, sagt Stamm, habe er sich „gefreut wie ein Honigkuchenpferd“.

Für 9 der 13 Frauen war die Partie in Chemnitz das erste Bundesligaspiel überhaupt. Die meisten von ihnen waren bis vor einem Jahr noch Schwimmerinnen, eine Fünfkämpferin ist im Team, eine Speerwerferin. Sie drängten während der Kaffeepause zur Weiterfahrt, „die waren bereit“, sagt Marko Stamm. Naja, und nachdem das erste Viertel im Wasser dann geprägt gewesen sei von Chaotik, weil die Spielerinnen „an tausend Sachen gedacht haben, die gar nicht so wichtig waren“, lief es plötzlich, „als wenn sie schon zwanzig Jahre zusammenspielen würden“. Regelmäßig trainiert das Team erst seit einem halben Jahr.

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Erster Bundesliga-Punkt

Spandau gelang nach einem Zwei-Tore-Rückstand der Anschluss, der Ausgleich, die Führung. Viele hatten erwartet, dass der Schwimm-Club Chemnitz als Tabellenvierter der Vorsaison die Spandauerinnen aus der Halle fegen würde. Aber beim 15:15 erkämpften sich die Wasserfreunde ihren ersten Punkt.

Der Start des Projekts ist geglückt. Team und Trainer haben bewiesen, dass mit professioneller Arbeit in ihrem Sport einiges zu erreichen ist. Für Marko Stamm ist die Aufgabe eine Herzensangelegenheit – auch, weil seine Freundin Belén Vosseberg neben Jennifer Stiefel und der Schweizerin Athina Grandis eine von drei Nationalspielerinnen im Spandauer Team ist.

Freundin im Team

Bislang spielte Vosseberg, 20, bei Waspo Hannover und pendelte von der der Wohnung von Marko Stamm, zu Klubtraining und -spielen zwischen Berlin und der niedersächsischen Hauptstadt hin und her. Sie ist amtierende Torschützenkönigin in der Deutschen Wasserball-Liga und war kürzlich bei der EM in Barcelona mit zehn Treffern beste Werferin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). „Dass sie jetzt 24 Stunden in Berlin ist“, sagt Marko Stamm, „ist natürlich das Freudigste an der ganzen Entscheidung.“

Die Idee, ein Frauenteam für die Bundesliga zu melden, setzte sich am Abendbrottisch der Familie in den Köpfen fest. In der Runde saßen neben Belén und Marko dessen Vater Hagen Stamm, Klub-Präsident, Wasserball-Legende, Männer-Bundestrainer sowie seine Mutter Reni, Chefin der Spandauer Schwimmabteilung. Sie entschieden: Wenn wir es machen, dann richtig.

Froh über mehr Wettbewerb

Mittlerweile leitet Marko Stamm 21 Spielerinnen im Alter zwischen 13 und 34 Jahren an, sie trainieren zwölfmal die Woche. „Die Frauen wollen, sie machen eine Übung auch tausendmal bis sie sie verinnerlicht haben“, sagt Marko Stamm. Die meisten von ihnen sind frühere Schwimmerinnen, die die Lust am Leistungssport verloren hatten. Vier von ihnen schaffen 100 Meter Freistil unter einer Minute.

Im DSV stieß der Antrag der Wasserfreunde auf Gegenliebe. „Die Frauen-Bundesliga ist eine Meldeliga. Wir sind froh, wenn sich Frauenteams um Wettbewerb bemühen, damit wir überhaupt eine gewisse Breite haben“, sagt Rainer Hoppe, Wasserball-Spartenleiter im DSV. Nachdem die SG Neukölln 2015 ihr Team aus der Bundesliga zurückgezogen hatte, gab es in der Region keine Topmannschaft mehr. Kurz vor Saisonbeginn meldete sich eine Hamburger Mannschaft ab, so dass mit Spandau jetzt sieben statt sechs Teams im Wettbewerb stehen.

Zur Not Flaschen sammeln

Geld verdienen die Wasserballerinnen nicht. Aber allein für den Spielbetrieb in Liga eins seien 30 000 bis 50 000 Euro nötig, meint Hoppe. Marko Stamm sagt, um sein Frauenteam zu finanzieren, müsse man „notfalls was vom Budget der Männer abknapsen. Oder ich gehe mit den Mädchen Flaschen sammeln. Wir hoffen immer noch auf einen großen Sponsor oder auf viele kleine.“ In diesem Jahr haben sich die Spandauerinnen Platz drei zum Ziel gesetzt. „Im Frauen-Wasserball fehlt noch viel Professionalität. Da kann man mit ordentlichem Training viel erreichen und in einem Jahr aus Schwimmerinnen Wasserballerinnen machen“, sagt Marko Stamm. In zwei Jahren will er mit seinen Wasserballerinnen schon deutscher Meister werden.