Berlin-„Schwer vorstellbar“, „schwierig“, „nicht vertretbar“: Unter dem Eindruck immer neuer Coronafälle bei der Nationalmannschaft wachsen die Zweifel an der Austragung der Mega-WM im Januar in Ägypten. In großer Sorge um ihre Spieler werfen die Klubvertreter ihre Zurückhaltung allmählich über Bord, die Liga selbst befürchtet einen vorübergehenden Corona-Kollaps.
„Die Austragung des Turniers kann ich mir im Moment nur schwer vorstellen", sagte Frank von Behren. Dem langjährigen Nationalspieler und Geschäftsführer von GWD Minden steckte der Schock der neuesten Corona-Entwicklungen noch in den Gliedern: Nach Johannes Bitter und Marian Michalczik hat es auch Juri Knorr erwischt. Dem Mindener Youngster, der in der vergangenen Woche sein DHB-Debüt gegeben hatte, geht es nicht gut.
Sorge um Juri Knorr
„Juri zeigt starke Symptome, damit ist nicht zu spaßen“, sagte von Behren sorgenvoll: „Deswegen muss man diese internationalen Reisen in der jetzigen Zeit stark infrage stellen.“ Der DHB-Lehrgang, in dessen Nachgang nun schon drei Spieler positiv auf das Coronavirus getestet wurden, hätte „im Nachhinein nicht stattfinden dürfen, das Risiko war viel zu hoch. Die Spieler kommen wieder und sind infiziert und legen damit Teile des Ligabetriebs lahm.“
Meistgelesene Artikel
Spätestens mit der Nachricht der nächsten Infektion nahmen die Diskussionen über die Bläh-WM so richtig Fahrt auf. 2007-Weltmeister Christian Schwarzer hinterfragte bei Spox die Sinnhaftigkeit eines WM-Turniers unter den aktuellen Bedingungen und hält eine Austragung „aus jetziger Sicht für schwierig“, für Nationalspieler Hendrik Pekeler ist sie angesichts der vielen Fälle „eigentlich nicht vertretbar“, und der frühere Welthandballer Daniel Stephan forderte bei Sport1, dass eine Absage des Turniers mit 32 Teams aus aller Welt „diskutiert“ werden müsste: „Aber nicht nur in Deutschland, sondern innerhalb des ganzen Handball-Weltverbands.“
Für die Klubs ist die WM angesichts der eigenen Probleme inzwischen ohnehin zum roten Tuch geworden. Das am Donnerstagabend geplante Heimspiel von Knorrs Klub GWD Minden gegen den Bergischen HC wurde abgesagt, am Wochenende dürften weitere Spielausfälle folgen.
Denn während das zuständige Gesundheitsamt in Minden eine 14-tägige Quarantäne für den gesamten Profikader inklusive Trainer Frank Carstens anordnete, meldete auch die MT Melsungen am Donnerstagnachmittag einen Corona-Verdachtsfall und schickte ihre Mannschaft vorsorglich und freiwillig in häusliche Isolation.
Liga-Lockdown steht im Raum
„Momentan weiß ich nicht, wie wir den Spielbetrieb in der Liga aufrechterhalten können“, sagte von Behren: „Das ist aber zweifelsohne unser höchstes Gut, das wir schützen müssen. Wichtiger auch als eine WM im Januar in Ägypten.“
Mit diesen Worten sprach Mindens Manager den anderen Liga-Funktionären aus der Seele. Auch Jürgen Schweikardt, Trainer und Geschäftsführer von Bitters Klub Stuttgart, machte via Bild-Zeitung eine klare Ansage pro WM-Absage: „Für die Bundesliga wäre eine Absage das Allerbeste.“
Doch zunächst stehen für die Liga die eigenen Probleme im Vordergrund. Bei einer virtuellen Krisensitzung am Freitagvormittag soll darüber entschieden werden, wie es weitergeht. Die Absage des gesamten Wochenend-Spieltags steht ebenso im Raum wie ein vorübergehender Liga-Lockdown.
„Wir stehen vor riesigen Herausforderungen und müssen die Lage mit dem neuen Kenntnisstand neu bewerten“, sagte HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann zerknirscht. Fakt ist: Einige Tage nach dem DHB-Lehrgang wird es immer schwerer, die Kontakte der Spieler eindeutig zu benennen und vernünftig einzugrenzen. Dass die Partie zwischen Melsungen und dem SC Magdeburg, für die am Sonnabend eine Live-Übertragung in der ARD vorgesehen ist, stattfinden kann, darf angesichts des neuen Verdachtsfalls zumindest bezweifelt werden.
DHB-Vizepräsident Bob Hanning, in Personalunion auch Manager der Füchse Berlin, mahnte in der hitzigen WM-Debatte zur Ruhe. „Dass dies irgendwann mal passiert, davon war auszugehen. Wie im normalen Berufsleben oder in der Schule“, sagte Hanning bei Sport1. Eine Verschiebung der WM schließt er momentan aus. Es sei schließlich „sicherer eine WM durchzuführen als zum Beispiel Europapokal- oder Champions-League-Spiele, die uns durch ganz Europa reisen lassen. Die Strahlkraft der Nationalmannschaft ist bei allem Respekt nicht vergleichbar mit einem Bundesligaspiel zwischen Melsungen und Berlin.“