Berlin - Der japanische Olympia-Organisationschef Yoshiro Mori, 83, hat als junger Mann an der privaten Waseda-Universität Rugby gespielt. Was ein Foul ist, sollte er dort gelernt haben: all das, was ein Spieler außerhalb des Regelwerks macht, all das, was der Fairness entgegensteht. Und doch ist Mori schon wieder ein Fauxpas unterlaufen, nicht zum ersten Mal in seiner politischen Karriere, die ihm in Japan immerhin die Posten als Minister und Parteigeneralsekretär einbrachte und ihn im April 2000 sogar zum Regierungschef machte.
Vor mehr als einer Woche hatte Mori in einer Online-Konferenz seine Meinung über Frauen kundgetan. Als über die geplante Verdoppelung der Frauenquote in Führungsgremien der Sportverbände auf 40 Prozent diskutiert wurde, warf Mori ein, Frauen redeten viel, weshalb sich Vorstandssitzungen mit mehr Frauen in die Länge ziehen. „Wenn eine von ihnen ihre Hand hebt, denken sie wahrscheinlich, dass sie auch etwas sagen müssen. Und dann sagen alle etwas.“
Meistgelesene Artikel
Trotz Moris Entschuldigung ebbte die Entrüstung im In- und Ausland nicht ab. Und nun sieht es so aus, als trete der Mann, der seit 2014 als Kopf der Sommerspiele in Tokio gilt, nach seinen sexistischen Aussagen in einer besonders heiklen Phase an diesem Freitag tatsächlich zurück. Das jedenfalls meldeten die japanische Nachrichtenagentur Kyodo und andere lokale Medien am Donnerstag unter Berufung auf informierte Kreise.
Dem japanischen Fernsehsender Nippon TV zufolge erklärte Mori am Donnerstag, er wolle nicht, dass sich die Sache noch länger hinziehe. Er wolle, dass es gute Spiele würden, daher müssten die Vorbereitungen vorangetrieben werden. „Wir haben keine Zeit mehr“, zitierte der Sender Mori. Als sein Nachfolger ist Saburo Kawabuchi im Gespräch, der Gründer der Fußball-Profiliga J. League und ehemaliger Präsident des japanischen Fußballverbandes.
Yoshiro Moris Netzwerk reicht bis zu Wladimir Putin
Olympia, das eigentlich für das junge, frische, vorwärtsgewandte Japan stehen sollte, eingeholt vom rückwärtsgewandten Geist und Symptomen der japanischen Machogesellschaft – dieses Zeichen wollen und können sie von Tokio aus nicht senden. Etwa 390 freiwillige Olympia-Helfer erklärten, sie würden aus Protest ihr Ehrenamt nicht antreten. Tokios Gouverneurin Yuriko Koike erklärte, dass sie an einem Mitte dieses Monats geplanten Treffen mit Mori, Japans Olympiaministerin Seiko Hashimoto und IOC-Präsident Thomas Bach zur Vorbereitung der Spiele nicht teilnehmen werde.
Dass Mori nun seinen Rücktritt bekannt geben wird, ist bemerkenswert. Schließlich ist der Politiker, der aus einer reichen Bauernfamilie stammt, die graue Eminenz der mächtigsten Gruppe in der Regierungspartei LDP und als langjähriger Rugby-Verbandschef in Politik und Sport bestens vernetzt. Seine persönliche Beziehung zu Russlands Staatschef Wladimir Putin etwa gilt als exzellent. Und andere Fehltritte hatte er ja auch überstanden: 2001 etwa. Da ereilte ihn auf dem Golfplatz die Nachricht, dass ein japanisches Fischerboot von einem US-U-Boot versenkt, zehn Menschen getötet worden seien. Ungeniert spielte Mori aber erst mal seine Golfrunde zu Ende.
Der Sexismus-Eklat ist nun jedoch ein weiteres großes Problem für Japans verschobenen Sommerspiele, die trotz der andauernden Corona-Pandemie am 23. Juli 2021 eröffnet werden sollen. Japan, das allzu oft im Schatten des mächtigen Chinas steht, will mit dem Großereignis die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich ziehen.
Die Spiele in Tokio sollen zum Beweis werden, dass die Menschheit das Coronavirus überwunden habe, sagte Japans Ministerpräsident Suga. Sollten es die ersten Spiele der Nachkriegszeit werden, die abgesagt werden, könnte im Jahr darauf der Rivale China als Gastgeber der Winterspiele den Triumph über das Virus für sich vereinnahmen. Das wollen Japans Nationalisten verhindern. Doch in Umfragen spricht sich die große Mehrheit der Japaner dafür aus, die Spiele in Tokio erneut zu verschieben oder abzusagen. Der Skandal um Mori spitzt die Lage weiter zu.
Olympia-Sponsoren üben Kritik
Laut dem Fernsehsender NHK bezeichneten zuletzt 36 von 70 Olympia-Sponsoren Moris Äußerungen als unakzeptabel. Man sei enttäuscht, sagte der Chef des Sponsors Toyota. Japans größter Autobauer teile die olympischen Ideale der Nichtdiskriminierung. Der Vorsitzende des mächtigen Wirtschaftsdachverbandes Keidanren, Hiroaki Nakanishi, sagte, es hätten sich die „wahren Gefühle“ der japanischen Gesellschaft offenbart. Es sei weiterhin ein Problem, wie das Land die traditionell benachteiligten Gesellschaftsgruppen behandle.