Wirbel um mutmaßlichen Dopingfall im russischen Eiskunstlaufteam
Die Absage der Medaillenvergabe für den Teamwettbewerb hat Spekulationen ausgelöst. Russland wehrt sich gegen Verdächtigungen. Das IOC hält sich bedeckt.

Peking - Am Donnerstag verzauberte der amerikanische Eiskunstläufer Nathan Chen die Zuschauer mit fünf vierfachen Sprüngen in seiner Kür zu Elton Johns Titel „Rocket Man“. Vier dieser Sprünge waren verschieden, nur der Salchow wackelte ein bisschen. Chen, 22, gewann souverän – und profitierte auch vom Absturz des japanischen Eiskunstlauf-Königs Yuzuru Hanyu. Der Olympiasieger von 2014 und 2018 wurde hinter seinen Landsleuten Yuma Kagiyama und Shoma Uno Vierter. „Ich hätte nie gedacht, dass ich es in meiner Karriere so weit bringen würde“, sagte Chen. Seine Eltern waren aus China in die USA emigriert. „Es ist im Moment wie ein Wirbelwind. Das bedeutet mir alles.“
In den Tagen zuvor hatte Kamila Walijewa das Eiskunstlauf-Publikum mit ihren Vierfachsprüngen und ihrer Ausstrahlung verzaubert. Die 15-Jährige wird als Wunderkind gefeiert. Allerdings steht die Siegerehrung im Teamwettbewerb der Eiskunstläufer noch immer aus. Ein Dopingverdacht und eine ungelöste Medaillenfrage sorgen für Wirbel. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und russische Sportfunktionäre bezeichneten Berichte über eine Verwicklung des russischen Teams um Walijewa in die undurchsichtige Affäre am Donnerstag als Spekulationen. „Es wäre unpassend, wenn wir ein laufendes juristisches Verfahren kommentieren würden“, sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Weitere Gründe für die kurzfristige Absage der für Dienstag geplanten Siegerehrung nannte er nicht.
Verbände halten sich mit Informationen zurück
Auch der Eiskunstlauf-Weltverband (ISU) übte sich angesichts des rechtlichen Tauziehens in Zurückhaltung. Im Zusammenhang mit den jüngsten Medienberichten wollte die ISU „keine Informationen über mögliche Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen bekannt geben“, hieß es in einer Mitteilung. Im Teamwettbewerb hatte Russland vor den USA und Japan gewonnen.
Russische Offizielle hatten versichert, man habe bisher keine offiziellen Informationen in der Sache erhalten. Europameisterin Walijewa hatte mit Erfolgen im Kurzprogramm und in der Kür maßgeblich zum Olympiasieg beigetragen. Zum Team gehörten auch Mark Kondratjuk, die Paarläufer Anastasia Mischina/Alexsander Gallimow und die Eistänzer Victoria Sinitsina/Nikita Katsalapow – die bei der EM auch die Titel gewannen.
In Peking ist die sprunggewaltige Walijewa Favoritin auf die Goldmedaille im Einzelwettbewerb am 17. Februar. Als erste Frau sprang sie bei Olympia zwei Vierfachsprünge – und stand beide. „Kamila ist nicht von der Teilnahme an den Spielen suspendiert worden“, erklärte Olga Jermolina, Sprecherin des russischen Eiskunstlauf-Verbandes, laut einer Eil-Meldung der Nachrichtenagentur Tass. Minderjährige Athleten unter 16 Jahren gelten nach den Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur als „geschützte Personen“. Ihre Namen dürfen im Zusammenhang mit einem Verstoß nicht öffentlich gemacht werden.
Es soll sich um das Herzmittel Trimetazidin handeln
Russlands Athleten dürfen bei den Winterspielen nur als Team des Russischen Olympischen Komitees (ROC) ohne Hymne und Fahne antreten. Wegen der Manipulation von Doping-Daten ist das Land formal noch bis Jahresende bei Olympischen Spielen ausgeschlossen. Ein Fall in Peking könnte die uneingeschränkte Wiederaufnahme des Landes und die Aufhebung des Banns gefährden.
Nach Medienberichten soll der angebliche positive Dopingbefund im Eiskunstlauf weit vor den Winterspielen festgestellt worden sein. Bei der Probenanalyse wurde demnach das Herzmittel Trimetazidin entdeckt, das zur Vorbeugung gegen Angina-Anfälle hilft. Das Medikament schützt das Herz vor einer reduzierten Versorgung mit Blut. Bekannt wurde es durch den Dopingfall des chinesischen Schwimm-Olympiasiegers Sun Yang. Bei den Spielen vor vier Jahren war die russische Bobfahrerin Nadeschda Sergejewa positiv auf das Mittel getestet worden.
Ob über die Medaillenvergabe noch vor dem Einzel-Wettbewerb oder dem Abschluss der Winterspiele am 20. Februar entschieden werden kann, ist laut IOC-Sprecher Adams unklar. Er versicherte nur: Die damit befassten Stellen arbeiten sehr schnell.