Stilkritik der Woche: Wie sahen die denn aus? Die Berliner Kandidaten im Check
Bettina Jarasch, Klaus Lederer, Franziska Giffey, Kai Wegner und Sebastian Czaja: Was trugen die Kandidaten der Parteien am Wahlabend und warum nur? Eine Stilkritik.

Die Wahlen sind gelaufen. Zum zweiten Mal. Und das ohne größere Probleme, was man in Berlin ja schon mal als gute Nachricht gelten lassen kann. Wie genau es nun im Roten Rathaus weitergeht, lässt sich nur erahnen – ist ein Gros der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten doch erst mal mit dem Wundenlecken beschäftigt. Und mit dem verhaltenen Sondieren.
Uns lässt das ein bisschen Zeit, Franziska Giffey und Bettina Jarasch, Kai Wegner, Klaus Lederer und Sebastian Czaja noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Und retrospektiv zu betrachten, wie sich die Damen und Herren modisch im Wahlkampf geschlagen haben. Eine Stilkritik in fünf Akten.
1. Bettina Jarasch: Möchtegernlässig in Leder
Da wollte sich jemand abgrenzen vom steifen Vorstadt-Look der Konkurrentin: Bettina Jarasch zeigte sich am Wahlabend in einem schwarzen Rollkragenpullover, darüber – wenig originell – eine grüne Lederjacke. Die sah gar nicht besonders exquisit aus und das sollte sie wohl auch nicht. Irgendwas zwischen 70er-Bikerinnen-Look, Used Look von Peek & Cloppenburg und Polizei-Revival.

Leder ist facettenreich in seiner Aussage, so auch bei Jarasch: Seht her, ich bin ganz lässig (stimmt nicht!), gleichzeitig weiß ich, was cool ist (stimmt nicht!), und trotzdem verströme ich eine gewissen Autorität (na ja). Neben dem Wahlsieger des Abends sah Bettina Jarasch indes aus wie die Hipness in Person. Und das muss man mit diesem Look auch erst einmal hinbekommen. Marcus Weingärtner
2. Franziska Giffey: Unverwüstlich wie eine Matrjoschka
Man könnte Franziska Giffey durchaus mit einer Matrjoschka vergleichen. Und das gleich in zweierlei Hinsicht. Im übertragenen Sinn, zum einen, mit Blick auf ihre politische Karriere: Die Plagiatsaffäre um ihre wissenschaftlichen Abschlussarbeiten konnte Giffey nicht zuletzt durch einen Positionswechsel galant hinter sich lassen; nach der Berliner Pannenwahl von 2021 hat die Frau nun ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren, könnte aber trotzdem noch im Amt bleiben – immer also, wenn man glaubt, die hölzerne Figur ist nun zerbrochen, taucht aus ihrem Inneren heraus schon eine neue Matrjoschka auf. Eine neue Giffey, die aber optisch ganz die Alte bleibt. Ein Spiel, das sich bis ins scheinbar Unendliche fortführen ließe.

Und auch modisch haben die Immer-noch-Bürgermeisterin und die schachtelbare Spielfigur einiges gemeinsam: Trotz der anheimelnden Ästhetik wirken beide in ihren glatten Formen unverwüstlich. Giffeys matronenhafte Uniform – ihre konsequent faltenfreien Kostüme genau wie ihre standhafte Bananenfrisur, aus der sich auch nicht ein Strähnchen zu lösen wagt – hat bisher noch jeden Windwechsel in ihrer Karriere unbeschadet überstanden, auch wenn er schnell zum Sturm geworden war. Das ist zumindest mal beeindruckend.
Weniger beeindruckend war Giffeys Kleiderwahl zum gestrigen Wahlabend: ein rotes Jäckchen, natürlich, SPD-rot halt. Es verdeckt, wie dem Wahlergebnis zum Trotz, ein steifes, knielanges Kleid im christlich-demokratischen Schwarz – die Gewinnerpartei begräbt Giffey also nonchalant unter ihrem sozialdemokratischen Deckmäntelchen. Ob das wirklich gelingen kann? Da scheint sich Giffey am heutigen Montag auch nicht mehr ganz so sicher zu sein: Bei ihren ersten Terminen nach der ernüchternden Wahlwiederholung ist ihr rundlich geschnittenes Matrjoschka-Jackett in hoffnungsvolles Blau gefärbt. Falten wirft es keine. Manuel Almeida Vergara
3. Kai Wegner: Der Mann ohne Eigenschaften
Der CDU-Mann Kai Wegner war sicherlich der große Gewinner das Abends und sah die meiste Zeit aus, als könnte er es selbst nicht glauben, dem Silvesterabend sei Dank. Die Berliner CDU war jedenfalls aus dem Häuschen und ihr Kandidat versuchte gänzlich so auszusehen, als ob er seinen Bezirk (Spandau) mit Prenzlauer Berg getauscht habe. Also dem anderen wenig coolen Bezirk, wo man auch immer noch glaubt, dass das Weglassen einer Krawatte besonders fancy ist.

Bei Kai Wegner sah es allerdings so aus, als ob er von allem so dermaßen überrascht wurde, dass er die Krawatte noch in der Tasche seines braven dunkelblauen Jacketts vergessen hatte, bevor er zu seinem Sieg befragt wurde. Drunter trug der Christdemokrat ein weißes Hemd, das alles im Gesamtbild so verlässlich konservativ wie langweilig, Berliner CDU eben. Marcus Weingärtner
4. Klaus Lederer: Schwarze Rüstung für den Abstieg
Glücklicherweise zeigte sich der Spitzenkandidat der Linken, Kultursenator Klaus Lederer, nicht in den Farben seiner Partei, dieses altbackene und uncoole Signal überließ er seinen Konkurrentinnen, Franziska im roten Bolerojäckchen und der Möchtegern-Bikerin Bettina Jarasch. Lederer, ein Mann mit verlässlichem Geschmack, zeigte sich ganz in Schwarz, da macht man wenig falsch, hat aber auch gleichzeitig wenig Ideen, was das Outfit anbelangt.

Darauf kommt es bei Klaus Lederer und seiner Partei im Moment auch gar nicht an, denn die Wahl der Oberbekleidung dürfte das letzte Problem sein, das die Partei jetzt noch um den Schlaf bringt. Das wenig spektakuläre Ergebnis von 12,2 Prozent zeugt nicht unbedingt von großer Begeisterung für das Programm der Linkspartei und ist um bald zwei Prozentpunkte schlechter als bei der Pannenwahl vor anderthalb Jahren. Da kann man schon mal Schwarz tragen. Marcus Weingärtner
5. Sebastian Czaja: FDP auf ganzer Linie
So sehen Verlierer aus – anders kann man das wohl nicht sagen. Sebastian Czaja hat seiner Berliner FDP nicht zum Sieg verhelfen können, im Gegenteil, sie ist aus dem Abgeordnetenhaus geflogen. Auf Bundesebene glaubt man nun, man müsse in der großen Ampelkoalition stärker auftreten, wieder deutlicher mit den parteieigenen Charakteristika nach vorne treten. Was nicht einer gewissen Komik entbehrt, weil ja genau diese Eigenschaften rein oberflächlich betrachtet zumindest in Berlin nicht richtig zünden wollten: Mehr FDP als Sebastian Czaja – das geht doch eigentlich gar nicht! Der Spitzenkandidat ist wie eine Karikatur seiner Partei.

Ein Mann, natürlich, im dunkelblauen Anzug, na klar. Auf seinen Werbeplakaten präsentierte sich Czaja vordergründig jung, agil und attraktiv – wie einst Christian Lindner, der dank seiner modelhaften Selbstbewerbung zum „Posterboy“ der Politik erklärt wurde. Dass hinter der aalglatten Modernisierungs-Verpackung ein recht reaktionäres, weil männerdominiertes Politikverständnis steckt – sei’s drum, hier geht’s um die Fassade! Und die hat bei Czaja, das muss man wohl zugeben, die vergangenen Wochen hindurch immer gestimmt. Nur ist ein gut sitzender Anzug in bester Bankkaufmann-Manier gerade in Berlin halt kein Erfolgsgarant. Auch nicht, wenn man – wie bei Czaja gelegentlich zu sehen – das weiße, schmalkragige Hemd betont lässig gegen ein Rundhals-T-Shirt tauscht. Es hat alles nichts geholfen. Manuel Almeida Vergara
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