Berliner macht aus Pornos Kunst – und wurde nun von Gucci entdeckt

Andrew Moncriefs Gemälde basieren auf Erotikfotos, die teils dem Archiv des Schwulen Museums entstammen. Zum Pride Month malte der Künstler für die Luxusmarke.

Moncrief in seinem Lichtenberger Studio, umringt von Fotografien und Skizzen des Gucci-Projekts
Moncrief in seinem Lichtenberger Studio, umringt von Fotografien und Skizzen des Gucci-ProjektsJulien Barbés

In Andrew Moncriefs Lichtenberger Atelier stapeln sich die schwulen Pornohefte. Behelfsmäßig zusammengetackerte Blättchen aus den 1950ern, schwarz-weiße Fotografien von drahtigen Sportlern in Unterhosen darin; Hochglanzmagazine aus den 80ern, in denen braun gebrannte Muskelpakete Ledermützen und silberne Panzerketten tragen. Auch zeitgenössische Erotikhefte, Waschbrettbäuche und angespannte Oberarme, herausgestreckte Hinterteile, erigierte Penisse.

Wenn Moncrief in seiner kleinen Sammlung blättert, hat das allerdings nichts mit seinem privaten Vergnügen zu tun: Der Kanadier macht Kunst aus pornografischen Fotografien, zerschneidet sie, zerlegt sie in ihre Einzelteile, um Collagen daraus zu erstellen, die er wiederum in großformatige Gemälde übersetzt. Was entsteht, sind fantastische, farbreiche Bilder amorpher Figuren, in denen männliche Körperteile versatzstückartig sichtbar werden; ein Oberarm hier, eine Achselhöhle dort, Bauchnabel und Brustwarzen, Männerkörper, zu abstrakten Silhouetten entfremdet.

Ein Gemälde aus Andrew Moncriefs Gucci-Serie „Shifting Intimacies“ (2022), Öl und Acryl auf Leinwand
Ein Gemälde aus Andrew Moncriefs Gucci-Serie „Shifting Intimacies“ (2022), Öl und Acryl auf LeinwandAndrew Moncrief

„In meiner Kunst“, sagt Andrew Moncrief während eines Besuchs in seinen Lichtenberger Arbeitsräumen, „geht es immer auch um mich und meine Erfahrungen als schwuler Mann.“ Moncrief wuchs auf Vancouver Island an der kanadischen Pazifikküste auf. Mit sehr konventionell-maskulin geprägten männlichen Vorbildern, wie er beschreibt, dem Vater, einem Bruder.  „Es wird oft gesagt, dass queere Menschen, die in traditionellen gesellschaftlichen Strukturen aufwachsen, viel von ihrer eigenen Persönlichkeit verlieren“, sagt er nun, „ihre Authentizität für ein Sicherheitsgefühl opfern“, um nicht anzuecken, um nicht aufzufallen, um dazuzugehören.

Stahlharte Männerkörper, fern von Natur und Natürlichkeit

Andrew Moncrief half und hilft seine Kunst bei der Selbstfindung, aus der mit den Jahren eine Selbstakzeptanz geworden ist, so sagt er. Sezierte und stilisierte der Kanadier, der Kunst in Montreal und Comox studierte, anfangs vornehmlich Selbstporträts, so hat er gerade in Berlin zu seiner jetzigen Arbeit mit den Bildern fremder Männerkörper gefunden. Seit 2020 lebt Moncrief hier, ein Großteil der Pornosammlung, aus der er seine Werke macht, ist eine Schenkung des Schwulen Museums in Mitte. Nachdem Moncrief die erotischen Aufnahmen zerschnitten und zu einer Collage neu zusammengesetzt hat, scannt er diese ein oder fotografiert sie ab. Die Collagen dienen dann als Vorlagen für seine Gemälde.

„Dabei versuche ich, eine Technik wieder aufleben zu lassen, die von den alten Meistern der Renaissance verwendet wurde“: Zuerst bringe er ein Schwarz-Weiß-Bild auf die Leinwand, das er im Anschluss farbig übermalt, ähnlich wie in den 1950ern Schwarz-Weiß-Fotos oder -Videos nachträglich coloriert wurden. „Rubens hat zum Beispiel so gemalt“, sagt Moncrief und lächelt milde, wohlwissend, dass die Sujets des flämischen Meisters seinen eigenen Bildinhalten diametral gegenüberstehen. Während Rubens beleibte Frauen malte, die sich vor Naturhintergründen wenden und wiegen, prägen Moncriefs Werke stahlharte Männerkörper, Männerfantasien, die mit Natur und Natürlichkeit nur wenig gemein haben.

Seit einigen Monaten lässt der Künstler malerische Techniken der großen Meister wieder aufleben.
Seit einigen Monaten lässt der Künstler malerische Techniken der großen Meister wieder aufleben.Johannes Jost

Die Dissonanz zwischen dem reellen und dem idealen Körper

Es sind die Bilder, die die Pornoindustrie hervorbringt; Bilder, die in der Schwulenszene weit verbreitet sind. „Ich setze der traditionellen Technik der Malerei zeitgenössische Themen und Inhalte entgegen“, sagt Moncrief. „Ich will mit meinen Gemälden einen Diskurs über den männlichen Körper anregen, darüber, wie er gerade in schwulen Kontexten gesehen und wiedergegeben wird.“ Es gehe ihm um die Dissonanz zwischen reellen, natürlichen, auch gesunden Körperbildern und den Idealen, die Pornostars und Pumper aus dem Fitnessstudio verkörpern.

Ein Gemälde aus Andrew Moncriefs Gucci-Serie „Shifting Intimacies“ (2022), Öl und Acryl auf Leinwand
Ein Gemälde aus Andrew Moncriefs Gucci-Serie „Shifting Intimacies“ (2022), Öl und Acryl auf LeinwandAndrew Moncrief

Mit seinen Themen und seinen Werken trifft Moncrief einen Nerv – auch bei der Luxusmarke Gucci. „Ich kriege relativ viele Nachrichten auf Instagram, von Leuten, die meine Kunst kaufen wollen, die mein Atelier besichtigen wollen, mich um ein Date bitten“, sagt er. „Aber diese Message war anders.“ Alex Malgouyres war es, der ihn über das soziale Medium kontaktierte. Der Direktor für Marken- und Kundenbindung bei Gucci schlug dem Künstler eine Zusammenarbeit vor, wolle das italienische Label in diesem Jahr doch ohnehin einen Dialog über männliche Rollenbilder anstoßen – in den Kollektionen des Hauses und über Projekte wie jenes, das schließlich mit Andrew Moncrief umgesetzt wurde.

Drapierungen und Faltenwürfe erinnern an klassische Porträtmalerei

Fünf Gemälde sind es geworden, die Moncrief für Gucci anfertigte; im Grunde arbeitete der Künstler wie bei allen seinen Bildern – nur dass er dieses Mal nicht unbekleidete, sondern bekleidete Körper inszenierte. Die Aufnahmen, die bei einem gemeinsamen Modeshooting mit dem Fotografen Julien Barnés und der aktuellen Männermode der Marke entstanden, zerschnitt er, setzte sie neu zusammen, malte schließlich Bilder, in denen Fragmente verschiedener Entwürfe sichtbar werden. Drapierungen und Faltenwürfe, die wiederum an die klassische Porträtmalerei großer Meister erinnern.

Männermode aus Guccis „Love Parade“-Kollektion für das Frühjahr 2022, auf der Moncriefs Gemälde basieren
Männermode aus Guccis „Love Parade“-Kollektion für das Frühjahr 2022, auf der Moncriefs Gemälde basierenGucci

Passend zum Pride Month – und zur Männer-Modewoche – wurden die Gemälde vor einigen Wochen im Gucci-Store auf dem Pariser Boulevard Saint-Germain ausgestellt. Ohnehin geben sich große Firmen zum Pride Month gern möglichst öffentlichkeitswirksam einen regenbogenfarbenen Anstrich – eine Marketingstrategie, die als „Pinkwashing“ kritisiert wird; eine Form der Augenwischerei, mit der sich die Unternehmen als aktivistisch inszenieren wollen, ohne tatsächlich etwas für die Rechte von Schwulen und Lesben, queeren oder transidenten Menschen zu tun.

Körper und Klischees zerfallen in kaum erkennbare Einzelteile

„Bei Gucci ist das anders“, findet Andrew Moncrief. Tatsächlich ist die Modemarke gerade in den vergangenen Jahren mit ihrem Engagement aufgefallen: Die eigens entwickelte Webseite „Gucci Equilibrium“ unterstützt entsprechende Initiativen und macht diese sichtbar, intern soll die italienische Firma um eine möglichst diverse Belegschaft bemüht sein. Und die Mode des aktuellen Kreativchefs Alessandro Michele sprengt Geschlechtergrenzen sowieso.

Nach der Ausstellung wurden Moncriefs Bilder von Gucci gekauft, sie sind nun Teil der Kunstsammlung des Labels. Der Künstler arbeitet nun wieder an seinen eigenen Werken, widmet sich wieder den nackten Körpern, zerlegt Aktfotografien in ihre hautfarbenen Einzelteile. Wird er nicht manchmal müde, sich immer wieder durch die Pornohefte zu arbeiten? Gelangweilt von dem nächsten muskulösen Unterschenkel, dem nächsten angespannten Bizeps? „Bis jetzt eigentlich noch nicht“, sagt Andrew Moncrief und legt eine kleine Denkpause ein. „Meine Arbeit mit diesen Bildern ist ja sehr abstrakt, ich zoome extrem rein, gehe extrem nah ran, bis die Körper in kaum erkennbare Einzelteile zerfallen.“ So wie die Klischees und Ideale, die mit diesen Körpern verbunden sind.