Der erste Berliner Rimowa-Designpreis: Schöne Dystopie

Rimowa lancierte erstmals einen Preis für aufstrebende Design-Studenten. Die Preisverleihung fand am Montag in der Neuen Nationalgalerie statt. 

Der „Frame For All“ von Jesse Jacobsen und Paul Meyer ist ein universelles Mobilitätswerkzeug, das sich in eine Vielzahl von Gebrauchsgegenständen verwandeln lässt.
Der „Frame For All“ von Jesse Jacobsen und Paul Meyer ist ein universelles Mobilitätswerkzeug, das sich in eine Vielzahl von Gebrauchsgegenständen verwandeln lässt.Rimowa Design Prize

Etwas Kaputtem neues Leben und neue Schönheit einzuhauchen, darum geht es bei Kintsugi. Bei dieser japanischen Reparaturmethode für Keramik werden zerbrochene Vasen mit Gold wieder zusammengeklebt – und zwar so, dass die Rissstellen nicht nur klar zu sehen sind, sondern sogar zum neuen Gestaltungselement werden. Eine so restaurierte Vase wird damit noch kostbarer, als sie zuvor war. 

In der Neuen Nationalgalerie liegt eine Form auf dem Tisch, so lang wie die Elle eines Arms. Das organisch geformte, goldfarbene Skelett, das die unterschiedlich großen Lufträume umschließt, erinnert an diese kunstvolle Reparaturtechnik aus Japan.

Genau davon hat sich Noah Grgic auch inspirieren lassen. Nur dass er nicht mit Vasen arbeitet, sondern Accessoires für Körperprothesen entwirft. 

Es ist das erste Mal überhaupt, dass die Koffermarke Rimowa einen Design-Preis verleiht. Der „Rimowa Design Prize“ soll das Erbe des deutschen Designs in Ehren halten, und das Erdgeschoss des frisch sanierten Gebäudes der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe bietet den perfekten Rahmen für die Zeremonie.

Das Publikum bei der Verleihung des Rimowa Design Prize in der Neuen Nationalgalerie.
Das Publikum bei der Verleihung des Rimowa Design Prize in der Neuen Nationalgalerie.Rimowa Design Prize Ceremony/Patrick Tjorven Stein

Das Oberthema des Wettbewerbs lautete Mobilität

Auf der großen Fläche um das Podium herum steht und sitzt ein überwiegend junges und auffallend gut gekleidetes Publikum. Der Gästeliste merkt man die Kuration durch die Berliner Agentur Reference Studios an, mit der internationale Luxusmarken für hiesige Events gern kooperieren. Unter den Gästen sind Inga Humpe und Tommi Eckart von der Band 2raumwohung, der Highsnobiety-Gründer David Fischer, Andreas Murkudis sowie zahlreiche Berlinerinnen und Berliner aus dem Kunst- und Kulturdunstkreis.

In der ersten Reihe sitzen die Jury-Mitglieder, darunter der CEO von Rimowa, Hugues Bonnet-Masimbert, und renommierte Kreative wie Gesa Hansen, Julia Läufer oder Mike Meiré. Auch der ehemalige Rimowa-CEO Alexandre Arnault, Sohn vom Chef des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH, Bernard Arnault, gehört zur Jury. Bereits 2017 hatte der Rimowa-Eigentümer Dieter Morszeck den Hauptanteil seiner Firma an LVMH verkauft, seit 2021 gehört Rimowa vollständig zu LVMH.

Die Juroren von links: Belinda Günther, Gesa Hansen, Mateo Kries, Julius Wiedmann, Hugues Bonnet-Masimbert, Julia Läufer, Mike Meiré und Manuel Goller.
Die Juroren von links: Belinda Günther, Gesa Hansen, Mateo Kries, Julius Wiedmann, Hugues Bonnet-Masimbert, Julia Läufer, Mike Meiré und Manuel Goller.Rimowa Design Prize Ceremony/Patrick Tjorven Stein

Alexandre Arnault ist nicht physisch vor Ort. Deswegen schickt er eine Videogrußbotschaft, die Arbeit in New York verhindere sein Kommen, er sei aber in Gedanken voll und ganz bei den Studenten. Von denen glaubt er, in ihnen stecke großes Potenzial für die Designbranche. Damit meint er die Teilnehmer, die es ins Finale des Wettbewerbs geschafft haben; auch sie sitzen in der ersten Reihe. Hier ist die männliche Form für „Studenten“ übrigens völlig angebracht – bei den sieben Finalisten handelt es sich ausschließlich um Männer. Sie alle studieren an unterschiedlichen Unis und Hochschulen in Deutschland. Ihre Projekte haben letztendlich am stärksten überzeugt. Jetzt wird unter ihnen ein Gewinner gekürt, das Preisgeld beträgt 20.000 Euro.

Das Oberthema, das von Rimowa vorgegeben wurde, lautete „Mobilität“ – wie die Studenten es interpretieren, stand ihnen ganz frei. Vorgaben bezüglich Material oder Gestaltung gab es keine. Die Bewerber, die es mit ihren anfänglichen Ideen in die engere Auswahl geschafft hatten, bekamen Jury-Mitglieder als Mentoren zur Seite gestellt. Gemeinsam wurden die Ideen dann weiterentwickelt.

„Ich hatte keine wirkliche Vorstellung davon, wie aufwendig das werden würde“, sagt der Designer und Art Director Mike Meiré, der „340 Mails später“ als Juror heute in der Nationalgalerie steht. „Aber ich muss wirklich sagen, es hat Spaß gemacht.“ Der intensive Kontakt zu den Mentoren hätte die Arbeit der Studenten außerdem enorm gefördert. „Das ist vielleicht kritisch, aber auch interessant: Die ersten Entwürfe sahen alle nicht so fresh aus“, so Meiré. „Dann merkst du, es braucht Leute, die in der Lage sind, mit ihren Businesserfahrungen ein gutes Konzept auch in die Umsetzung zu bringen.“ 

Die Zukunft fordert Veränderung

Die jeweiligen Endergebnisse, die am Nachmittag der Preisverleihung vor dem Berliner Publikum ausgestellt werden, könnten unterschiedlicher kaum sein. So entwickelten zwei Studenten einen neuen Gepäckkorb für Fahrräder, der gleichzeitig als Sitz für einen Beifahrer funktioniert. Lukas Dechaus und Lennart Blank sind nämlich der Meinung, Fahrräder seien die wichtigsten Fortbewegungsmittel der Zukunft. 

Ganz anders interpretierten den Mobilitätsgedanken Bastian Hau und Jan-Marcel Voggenreiter, die Designs aus fluoreszierenden Pilzen und Algen vorstellten. Mit ihnen sollen neue Lichtquellen geschaffen werden, die auch in Zeiten von Naturkatastrophen und Klimawandel unabhängig von unserer bisherigen Infrastruktur funktionieren. 

Das Preisgeld von 20.000 Euro ging an „Artificial Body Positivity“ von Noah Grgic. Er gestaltete verschiedene Accessoires für Arm- und Beinprothesen. 
Das Preisgeld von 20.000 Euro ging an „Artificial Body Positivity“ von Noah Grgic. Er gestaltete verschiedene Accessoires für Arm- und Beinprothesen. Rimowa Design Prize

Mike Meiré sieht trotz der unterschiedlichen Ergebnisse einen gemeinsamen Grundgedanken, unter dem sich die junge Generation dem Thema gestellt hat: „Apokalyptisch will ich nicht sagen. Aber alle erahnen eine dystopische Zukunft“, sagt Meiré. „Jedem geht es darum, wie wir die Welt wieder zu einem lebenswerten Ort machen können.“

Am Ende gewinnt Noah Grgics eingangs erwähntes Projekt namens „Artificial Body Positivity“, eine Art Schmuck für Prothesen. Eine „Besondere Erwähnung“ erhält das Design „Frame For All“ von Jesse Jacobsen und Paul Meyer. Sie haben ein universelles Mobilitätswerkzeug, das sich in eine Vielzahl von Gebrauchsgegenständen verwandeln lässt, entworfen.

Noah Grgic mit der Trophäe.
Noah Grgic mit der Trophäe.Rimowa Design Prize

Gesa Hansen ist die Mentorin von Noah Grgic. Sie ist ganz aus dem Häuschen, dass ihr Schützling heute als Sieger auf der Bühne steht. Die Accessoires von Grgic sollen helfen, Körperprothesen zu normalisieren. Sie sollen also nicht mehr versteckt werden oder dem verlorenen Körperteil möglichst ähnlich sein – sondern als etwas eigenes betrachtet werden, das eine spezifische Schönheit besitzt, die es auszuleben gilt. „Sein Design vermittelt einfach diese tiefe Idee von Akzeptanz“, sagt Hansen, „wenn man gebrochen ist und eine persönliche Krise hat, die dann aber übersteht. Dann ist man noch stärker.“ Hansen fiel auch der Vergleich zu Kintsugi ein, wie beide im Interview erzählen. Das inspirierte Noah Grgic für jenes Arm-Accessoire mit den gold- oder je nach Wahl andersfarbigen Elementen, das er nach der japanischen Reparaturtechnik benannte. 

Mike Meiré schätzt besonders die sprudelnde Innovationskraft der jungen Talente und dass sie sich nicht von alten Idealen und Vorstellungen ausbremsen lassen. „Die jungen Leute haben erkannt, worum es geht, auch im Kontext mit dem Erbe des deutschen Designs“, sagt Mike Meiré. „Es muss weitergehen.“