Die teuersten Schneeglöckchen der Welt – und alles weitere zur Winterblume
Alle lieben Schneeglöckchen – und genau jetzt ist die richtige Zeit, um sie zu pflanzen. Unsere Autorin erklärt Ihnen, wie das geht.

Ich frage mich, wie ich Ihnen, geschätzte Leserschaft, in Zukunft glaubhaft machen kann, dass ich meine Texte tatsächlich selbst schreibe. Immerhin könnten die nachfolgenden Zeilen auch von irgendeiner Künstlichen Intelligenz verfasst worden sein. Easy. Dazu muss ich bloß eine entsprechende Seite im Internet aufrufen und ein paar Stichworte ins Telefon sprechen. So was wie: „Kolumne, 8000 bis 10.000 Zeichen, Thema: Garten in Berlin, Jahreszeit: Februar.“ Zack! Schon gießt die Künstliche Intelligenz einen flüssigen Text aufs Papier. Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie mal hier:
„Der Winter ist in Berlin noch nicht vorbei, aber das bedeutet nicht, dass Gärtnerinnen und Gärtner nicht anfangen können, sich auf den Frühling vorzubereiten. Auch wenn der Boden im Februar noch gefroren sein kann, gibt es viele Möglichkeiten, den Garten auf Vordermann zu bringen. Eine der besten Möglichkeiten, im Februar mit der Gartenarbeit zu beginnen, ist die Planung. Nutzen Sie diese Zeit, um zu entscheiden, was Sie in diesem Jahr pflanzen möchten. Eine gute Methode, um den Überblick zu behalten, ist das Erstellen eines Gartentagebuchs oder einer To-Do-Liste. So haben Sie immer im Blick, was noch erledigt werden muss …“ Und so weiter, und so weiter.
Gruselig, oder? Diese Zeilen sind sicher kein literarisches Meisterwerk, aber komplett unleserlich oder verkehrt sind sie auch nicht. Für einen Deutschaufsatz in der Oberschule würden sie locker reichen, fürchte ich. Die KI kann mittlerweile Dinge, für die Menschen gemeinhin eine Hochschule besuchen: Sie schreibt Referate, Hausaufgaben, Juraprüfungen, Plädoyers, wissenschaftliche Abhandlungen, Reportagen und Kolumnen. Schriftstellerinnen und Literaten sind in Bälde wahrscheinlich ebenso überflüssig wie Festnetztelefone und VHS-Kassetten. Juli Zeh, Robert Seetaler, Prinz Harry, die können alle einpacken. Wobei – Letzterer dürfte sein Buch ohnehin nicht selbst geschrieben haben, aber sei’s drum.
Das Arboretum Park Härle ist ein wunderschöner Privatpark
Mir wird in Anbetracht dieser Entwicklung Angst und Bange. Wenn Maschinen in Zukunft das Denken übernehmen, was wird dann aus uns Menschen? Was machen wir den ganzen Tag? Haben wir in der Zukunft noch irgendwas Sinnvolles zu tun? Wir sind bequeme Wesen. Noch vor ein paar Jahren zum Beispiel konnte ich tipptopp rückwärts einparken. Ratzfatz rangierte ich in jede Parklücke. Ohne Einparkhilfe! Als ich mir neulich den alten Dacia meines Onkels lieh, kam ich total ins Schwitzen. Parken ohne Piepsen konnte ich auf einmal gar nicht mehr. An Elektronik gewöhnt man sich schnell. Ans Nichtdenken wahrscheinlich auch.
Als mein Mann, der Informatikprofessor, mir zum ersten Mal von der neuen Software erzählte, hab’ ich gar nicht richtig zugehört. „Die nächste Sau, die von der Wissenschaft durchs Dorf getrieben wird“, dachte ich. Oh Mann. Dieses „Schneller, Höher, Weiter“ macht mich kirre. „Hättest du lieber vor 100 Jahren gelebt?“, fragt der Wissenschaftler. „Vielleicht nicht“, antworte ich, „aber in 100 Jahren möchte ich auch nicht leben.“ Nun, ich sollte Sie nicht weiter mit meiner Fortschrittsangst strapazieren, immerhin ist das hier eine Gartenkolumne. Und zwar eine (und das schwöre ich!), die mir in diesem Moment höchstselbst aus dem Hirn fließt.

Es ist nämlich so: Ich sitze in der Bahn und brause von Bonn nach Berlin. Draußen ist es bereits dunkel, ich bin platt und der Tag war lang. Aber fantastisch! Ich besuchte nämlich einen wunderschönen Privatgarten: das Arboretum Park Härle in Bonn-Oberkassel. Diesen Ort muss man gesehen haben! Der vor mehr als 150 Jahren angelegte Garten ist fünf Hektar groß und liegt in sonniger Hanglage am Fuße des Siebengebirges. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist das Arboretum in der Obhut einer Stiftung und sein gärtnerischer Leiter, Michael Dreisvogt, führte meine beiden Kollegen und mich über das Gelände. „Wir haben hier mehr als 1400 verschiedene Bäume und Gehölze“, erzählte er und zeigte mit berechtigtem Stolz auf einen Mammutbaum, der monströs in den Himmel ragte.
Jede Schneeglöckchen-Sorte hat ihre ganz eigenen Besonderheiten
Nach englischem Vorbild bepflanzt, bilden die ausgefallenen Bäume die Kulisse für allerlei seltene Stauden und Ziersträucher. Der Kies knarzte unter unseren Winterschuhen, als wir auf den geschwungenen Wegen entlangspazierten. „Schöner ist es in England auch nicht“, dachte ich und wurde magisch angezogen vom Duft eines blühenden Seidelbasts, dessen Zweige sanft in der kalten Winterluft hin- und herwiegten. Ich war nach Bonn gefahren, um über die umfangreiche Schneeglöckchensammlung des Arboretums zu berichten. Mehrere hundert nämlich hat Dreisvogt in den vergangenen Jahren angepflanzt, und jetzt im Februar stehen sie in voller Blüte. Vor einem Schneeglöckchentuff blieben wir stehen.
„Es gibt wahrscheinlich niemanden auf der Welt, der Schneeglöckchen nicht mag“, brachte der Gärtnermeister die aktuelle Euphorie um die kleinen Pflänzchen auf den Punkt. „Rosen haben Stacheln, Dahlien hässliches Laub, andere Pflanzen riechen komisch. Aber Schneeglöckchen sind einfach perfekt.“ Weltweit gibt es mehrere Tausend Sorten Galanthus, lernte ich. Der Name leitet sich aus dem Griechischen ab – „gála“ bedeutet Milch, „ánthos“ steht für Blüte. „Es dauert einige Jahre, ehe sich die Zwiebeln etabliert haben“, erklärte Dreisvogt, „irgendwann aber vermehren sie sich von allein.“

Wer sich für Schneeglöckchen begeistert, der schärft seinen Blick fürs Detail. Einige Blüten sind gefüllt, andere nicht. Manche sehen aus wie kleine Glöckchen, haben grüne Punkte auf den Blütenblättern oder einen gelben Stempel. „Schauen Sie,“ sagte Dreisvogt und hob vorsichtig den Kopf einer Blüte, damit wir ihr Inneres sehen konnten. „Das hier ist die Sorte ‚Ailwyn‘, die sieht doch aus wie eine gefüllte Rose, finden Sie nicht?“ Ja, das fand ich auch.
Durch die Sozialen Medien hat der Hype um die Pflänzchen zugenommen
Innerhalb kürzester Zeit war ich dem Zauber der kleinen Frühblüher komplett erlegen. Was für ein Arbeitstag! Die tief stehende Februarsonne schien über der Parkanlage, als hätte jemand goldenen Zuckerguss darüber gestreut, der Kameramann verlor sich begeistert in Detailaufnahmen, und ich ging schockverliebt alle paar Meter vor dem nächsten Glöckchen in die Knie. „Wenn Sie Galanthus in Ihrem Garten pflanzen wollen,“ sagte Dreisvogt, „dann geben Sie in im Sommer eine Handvoll Tomaten- oder Herbstrasendünger in die Erde. Das Kalium sorgt dafür, dass die Zwiebeln kräftig und fest werden.“
Schneeglöckchen können jetzt im Vorfrühling oder auch im Sommer als bloße Knolle gesetzt werden. Und passend zur Pflanzzeit finden derzeit bundesweit „Schneeglöckchentage“ statt. Da treffen sich dann eingefleischte Züchter, Sammlerinnen und Sammler, Expertinnen und Enthusiasten und tauschen Pflanzen und Wissen. Durch die Sozialen Medien hat der Hype um die kleinen Pflänzchen in den vergangenen Jahren stark zugenommen, das zeigt sich leider auch im Preis. „Das teuerste jemals verkaufte Schneeglöckchen wurde im vergangenen Jahr für 2222 Euro versteigert,“ erzählte mir Dreisvogt. „Eine einzige Knolle!“ „Boah,“ antwortete ich. „Wenn die Zwiebel eingeht, ist das natürlich schlimm.“ „Ja. Aber wenn sie sich verdoppelt, ist das keine schlechte Rendite.“ Wir lachten.
Alle paar Wochen öffnet das Arboretum sein Tor für Besucherinnen und Besucher. Der Eintritt ist frei, allerdings freuen sich der Gartenchef und seine Mitarbeitenden über eine Spende. Sollten Sie also mal im Westen unserer Republik unterwegs sein, liebe Leserinnen und Leser, planen Sie unbedingt einen Abstecher nach Bonn-Oberkassel ein. Es lohnt sich. Wir filmten bis zum Nachmittag, und zum Abschied drückte mir Dreisvogt einen kleinen Topf in die Hand. „Das ist die Sorte ‚S’Arnott‘“, sagte er, „die wächst besonders hoch und duftet nach Honig.“
Nun, ein paar Stunden später, sitze ich im Zug, das Töpfchen steht neben meinen Füßen und ich tippe diesen Text. Der Tag zieht an mir vorüber wie die dunkle Landschaft draußen vor dem Fenster. Ich fühle mich leicht. Schneeglöckchen machen glücklich. Immerhin sind sie ein Versprechen der Natur auf das kommende Frühjahr. Sie geben Hoffnung. Aber noch etwas wärmt mir die Brust. Die Gewissheit, dass diesen Text keine Künstliche Intelligenz der Welt jemals hätte schreiben können. Zum Glück.
Sabine Platz arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Fernsehjournalistin beim ZDF. Dort produziert sie unter anderem für die Rubrik „Platz im Garten“ im „Morgenmagazin“ regelmäßig Berichte rund um das Thema Natur, Garten, Ökologie und Nachhaltigkeit. Im Oktober 2021 erschien ihr Buch „Im Garten: Zwischen Knolle und Kompost liegt das ganze Leben“.