Liveschalte nach London: Wie ein Berliner Label auf die London Fashion Week kam
MYL will bei den ganz Großen mitmischen – und hat es diese Saison als einziges Berliner Label nach London geschafft. Die Stadt musste es dafür nicht verlassen.

Es ist eine Berliner Modenschau. Das merkt man sofort. Es läuft Techno, ein Model mit Shorts in glänzender Lederoptik und Netzstrumpfhose kommt herein: Statt starr zu laufen, tanzt es in ausdrucksstarken Bewegungen über den Laufsteg. Als die Frau schon fast wieder zur Tür hinaus ist, klettert sie eines der Gerüste für die Lichtinstallationen empor und hängt plötzlich über den Köpfen des Publikums.
Der wichtigste Gast ist die Kamera, die diese Show live nach Großbritannien überträgt. MYL Berlin hat es in den Kalender der Londoner Fashion Week geschafft – und will sich dort als feste Größe etablieren. Das Label wurde erst 2018 in Berlin gegründet.
Seither entwirft Designer Sebastian SK Unisex-Mode; die Looks reichen von minimalistischen Teilen mit Schmuckelementen bis hin zu klassischer Clubwear, inspiriert von der Berliner Technoszene. Letzte Saison war MYL noch Teil der Berlin Fashion Week, das Label will sich aber auf internationaler Ebene einen Namen machen. „Wir haben uns mehrmals für London beworben, dieses Jahr hat es endlich geklappt“, so Sebastian SK.

MYL wird übrigens wie „Müll“ ausgesprochen: Der Name ist bewusst so provokant gewählt. Von der Gesellschaft würden Looks, die nicht der Norm entsprechen, oft abwertend betrachtet, und MYL verstehe sich als Plattform aller, die nicht die gesellschaftlichen Konventionen erfüllen wollten, erklärte der Designer vor einigen Monaten im Interview mit der Berlin Fashion Week. In seinem eigenen Umkreis habe er erlebt, wie Freunde als „Müll“ bezeichnet wurden, und er wolle den Begriff umwidmen und ihn mit seiner Kleidung als etwas Positives und Schönes abbilden.

Unisex und divers: Das ist auch in London gefragt
Die Brand wolle für „Equality und Diversity“, für Gleichbehandlung und Diversität stehen und verkörpere diese Motive auf mehreren Ebenen – sowohl mit der Kleidung als auch mit der Auswahl der Models. Das sei international momentan sehr gefragt, so Sebastian SK, und womöglich auch ein Grund für die Zusage aus London gewesen: Die Berliner Marke möchte auf der Londoner Fashion Week für frischen Wind sorgen, und dabei verliert sie nicht ihren Berliner Flair. Im Gegenteil. Die Kollektion repräsentiert authentisch den Look der Hauptstadt.


Weil die London Fashion Week eine kuratierte Veranstaltung ist, sei es schwieriger als in Berlin gewesen, vom Organisationsorgan British Fashion Council angenommen zu werden, erzählt Sebastian SK. Die Auswahl träfen renommierte Modeprofessorinnen und -professoren in London. Dass es schlussendlich geklappt hat, freue die junge Marke umso mehr. „Hätten wir mehr Geld zur Verfügung, wären wir mit Sicherheit auch angereist“, sagt der Designer; stattdessen entschied sich das Label, per Liveschalte nach London zu übertragen. Umso praktischer für die Berliner Modeklientel, die so am Freitagabend an der Show im Auditorium in der Friedrichstraße teilnehmen konnte.
London zählt neben Paris, Mailand und New York zu den „Big Four“, also den wichtigsten Standorten der Modebranche. Auf der dortigen Fashion Week präsentieren Größen wie Burberry oder Alexa Chung ihre neuesten Kreationen; in dieser Saison ist außerdem die gesamte Veranstaltung der kürzlich verstorbenen Modeikone Vivienne Westwood gewidmet.

Die Designerin, die als Wegbereiterin des Punks gilt, verstarb diesen Sommer. Westwood war bekannt dafür, Mode als Provokation und Politikum einzusetzen – diese Ambition hat Sebastian SK mit ihr gemein. Seine Modenschau endete genauso unkonventionell, wie sie begann: Nach dem Runway posierten alle Models gemeinsam auf der Tribüne oberhalb des Laufsteges – ganz nach dem Motto: Sieh her, London, das ist Berlin.