44 Label Group: T-Shirts, Techno, Tinnitus

Mit einer echten Berliner Techno-Sause riss die 44 Label Group aus Neukölln das Modepublikum der Milan Fashion Week vom Hocker. Aber sowas von.

Hitzewelle in Mailand? Na und! Da hilft ein Griff zum Fächer, um dem Berliner DJ Somewhen ein wenig Kühlung zu verschaffen.
Hitzewelle in Mailand? Na und! Da hilft ein Griff zum Fächer, um dem Berliner DJ Somewhen ein wenig Kühlung zu verschaffen.Sabine Roethig

Mailand-Es ist Mitte Juni und wir haben 35 Grad im Schatten. Das lässt auch die Milanesen nicht kalt. Die Männer-Modewoche ist geprägt von einem überheißen Frühsommer, durchnässte Markenkleidung und schweißüberströmte Gesichter allerorten. Besonders die Influencer leiden, viele von ihnen wurden mit den Winter-Looks für die kommende Saison ausgestattet, die bald in den Läden zu haben sein wird. Tapfer tragen sie die Rollis und Mäntel zur Schau.

Die Gäste der Berliner 44 Label Group hingegen kommen in T-Shirts, denn T-Shirts sind das Schlüsselelement der Kollektion des Kreativdirektors und DJs Max Kobosil. Als guter Gast einer Modenschau trägt man im besten Fall ein aktuelles Kollektionsteil und mindestens erscheint man so bekleidet, dass es zur Marke passt. Wer die Branche nicht kennt, der stelle sich einfach ein Konzert eines verehrten Popstars oder die Lesung des Lieblingsdichters vor – und das Verständnis für eine Fashionshow dürfte etwas besser sein.

Die T-Shirts der 44 Label Group sind aus schwarzer, dichtgewebter und gut riechender Baumwolle. Sie kosten zum Teil über 200 Euro, die Qualität ist bestechend gut. Rote und weiße Prints sind an diesem Sonntag auf Brüsten und Rücken zu lesen: „WESTBERLIN“, „OSTBERLIN“, „FAILED“ oder „44“, die Postleitzahl von Neukölln. Dazu tragen die meisten schwarze Hosen, Röcke, Stiefel und Boots. Eine nahezu martialische Uniformierung, die bedrohlich wirken könnte – wüsste man nicht, wie harmlos Techno ist.

Die 44 Label Group vereint zwei Sorten von Fans: Fashion-Crowd und Techno-Kids. In der von Max Kobosil entworfenen Typografie steht eine große 44 auf vielen Rücken im Publikum.
Die 44 Label Group vereint zwei Sorten von Fans: Fashion-Crowd und Techno-Kids. In der von Max Kobosil entworfenen Typografie steht eine große 44 auf vielen Rücken im Publikum.Sabine Roethig

Max Kobosils Label ist noch jung, vor etwa drei Jahren wurde der Neuköllner von Claudio Antonioli entdeckt. Antonioli, Eigentümer der international renommierten gleichnamigen Concept-Boutiquen, hat einen Faible für junge Talente. Er förderte bereits Virgil Abloh mit Off-White, als dieser noch ein unbeschriebenes Blatt in der Modebranche war. Inzwischen hat Antonioli die Dreamers Factory ins Leben gerufen, ein Talent-Hub, mit dem er Labels aufbaut und gleichzeitig an ihnen beteiligt ist.

Das Taxi lädt uns zur Show irgendwo im Norden Mailands ab, ein weitläufiges Areal breitet sich vor unseren Augen aus. Die Hitze flirrt über dem Gelände, in der Ferne sind Baracken und heruntergekommene Gebäude zu sehen. Auf diese bewegen sich kleine Grüppchen von Menschen zu: Das Setting eines Raves. Das Gelände gehört zu einem stillgelegten Güterbahnhof, der jetzt zum Austragungsort der ersten Liveshow der 44 Label Group wird. Die beiden vorangegangenen Kollektionen wurden coronabedingt digital präsentiert.

Wummernde Bässe kommen näher, nach minutenlangem Laufen erreichen wir die Halle, in der die Show stattfindet. Unter dem Glasdach, das von einer rostigen Stahlkonstruktion getragen wird, scheint die Hitze noch größer. Aber wo hätte der Schweiß, der hier in Strömen an den Körpern der Gäste herunterrinnt, besser hingepasst als zu diesem Club-Setting?  An der Stirnseite der Halle ist ein Durchgang, davor eine kleine Schlange mit Menschen und ein Türsteher mit tätowiertem Gesicht. Ist das noch Mailand oder ist das schon Berlin? Marc Goehring, der Stylist der Show, weiß, dass gerade die Musik ein Katalysator für die 44 Label Group auf der Mailänder Fashionweek sein kann: „Elektronische Musik, gerade die Technobewegung, ist auch in Mailand sehr groß,“ sagt er.

Eine Tür, ein Türsteher und eine Schlange: Die Kulisse der ersten Runway-Show der 44 Label Group bildete die Situation vor einem Club ab. Wen das jetzt an Berlin erinnerte, der lag auf keinen Fall verkehrt.
Eine Tür, ein Türsteher und eine Schlange: Die Kulisse der ersten Runway-Show der 44 Label Group bildete die Situation vor einem Club ab. Wen das jetzt an Berlin erinnerte, der lag auf keinen Fall verkehrt.Sabine Roethig

Dass die Modewelt so positiv auf den Newcomer 44 (in Fachkreisen kürzt man ab) reagiert, liegt aber nicht nur am Sound, an dem Namen Antonioli, oder daran, dass Max Kobosil ein Multitalent ist, sondern auch an dessen unglaublich gewinnender Art. Selbstbewusst und zugleich sehr wertschätzend gegenüber dem großen Zuspruch jongliert er geradezu perfekt mit den Erwartungen der Modepresse und denen seiner Fans aus der Clubszene.

Die Präsentation untermalt von Kobosils Eigenkomposition und „I See The Devil“, einem aktuellen Clubhit seines Kollegen In Verruf, zeigt die Kollektion für nächsten Sommer. Tanktops, T-Shirts, Funktionsjacken, Cargohosen, Kilts, Gummistiefel. Kurzum: Clubwear mit Anklängen an die Neunziger, zeitgenössisch geschichtet und mit High-Tech-Materialien ins Hier und Jetzt geholt.

Die Frisuren sitzen, die Prints auf den T-Shirts auch, dazu Kilts und Gummistiefel: So sieht sie aus, die 44-Kollektion für nächsten Sommer.
Die Frisuren sitzen, die Prints auf den T-Shirts auch, dazu Kilts und Gummistiefel: So sieht sie aus, die 44-Kollektion für nächsten Sommer.Valerio Mezzanotti

„Die letzten Monate waren sehr ereignisreich, politisch korrekt ausgedrückt“, lacht Max Kobosil nach der Show. Was der 31-Jährige in den letzten Monaten zu stemmen hatte, ist enorm. Kaum eine Nacht zu Hause, jeden Tag woanders als DJ gebucht. „Sao Paulo, Buenos Aires, Bogota. Ich habe Südamerika in den letzten Wochen komplett durchgespielt. Und die USA. Zwischendurch habe ich teilweise mit Riesenjetlag Kontakt mit meinem Designteam gehalten und Sachen entschieden. Teilweise haben wir nachts um 3 Uhr telefoniert und wichtige Sachen besprochen“, erzählt er weiter. „Aber jede Sekunde hat sich gelohnt!“

Nach der Show ist vor der Show: Kreativdirektor Max Kobosil in Mailand.
Nach der Show ist vor der Show: Kreativdirektor Max Kobosil in Mailand.Valerio Mezzanotti

Wer nach der Fashionshow der 44 Label Group gleich zum Ausgang hastete, der verpasste die Überraschung, die in der Nachbarhalle hinter den schwarzen Kunststoff-Panelen wartete. Dort gab es dann eine richtig anständige Sause im Berlin-Style. Mit DJ, Bar und einem Soundsystem, das sich hören lassen konnte. Claudio Antonioli tanzte direkt vor den Boxen, wofür er unseren vollsten Respekt verdient. Wir hatten jedenfalls ein Pfeifen im Ohr, als wir den Fußmarsch zum Hotel antraten. Denn: Die Taxi-Situation war während dieser Milan Fashion Week mal wieder eine Katastrophe.