„Miu Miu Women’s Tales“: Die therapeutische Qualität von Kurzfilmen

Subtil unterwandert der neue Miu-Miu-Film von Lila Avilés den galoppierenden Mainstream – durch eine zart erzählte Episode im Herzen von Mexiko-Stadt.

Kurz vor dem wichtigen Casting sitzen Lucian (Alan Pingarrón) und Luz (Akemi Endo) zusammen – ein Moment, in dem sich Zuneigung andeutet.
Kurz vor dem wichtigen Casting sitzen Lucian (Alan Pingarrón) und Luz (Akemi Endo) zusammen – ein Moment, in dem sich Zuneigung andeutet.Miu Miu

„Woran erkennst du, dass du jemanden magst?“, fragt das Mädchen ihren blinden Gesangslehrer, während sie ihn schüchtern von der Seite anschaut.

Er reagiert verlegen, zögert die Antwort hinaus, dann öffnet sich eine Tür – und der intime Moment weicht einem wichtigen Termin, auf den die stille Luz den gesamten Kurzfilm über hingearbeitet hat: das Casting für die Rolle der Madame Butterfly in einem großen Theater im Herzen von Mexiko-Stadt.

So wichtig das Training mit Mentor Lucian für Luz’ Stimme ist, so göttlich ist die Geometrie, die sie von ihrer japanischen Freundin Chio lernt, um sich auf der Bühne richtig zu bewegen. „Dein Mund ist doppelt so groß wie dein Auge“, erklärt Chio und zitiert damit den Titel des Films.

„Eyes Two Times Mouth“ ist der 25. Beitrag in Miuccia Pradas Kurzfilmreihe „Miu Miu Women’s Tales“, die es inzwischen seit über zehn Jahren gibt. Alle Kurzfilme feiern die Schönheit der Weiblichkeit, die sich nicht nur in Kostümen oder Körpern, sondern genauso in leisen Dialogen und Momenten intensiver Melancholie zeigt. Behutsam inszeniert von ihren Schöpferinnen, unter denen bereits Chloë Sevigny, Miranda July oder Dakota Fanning waren.

Die Sopranistin Akemi Endo spielt die Rolle der Luz, Hauptdarstellerin im Kurzfilm „Eyes Two Times Mouth“ von Lila Avilés. 
Die Sopranistin Akemi Endo spielt die Rolle der Luz, Hauptdarstellerin im Kurzfilm „Eyes Two Times Mouth“ von Lila Avilés. Miu Miu

Der aktuelle Beitrag Eyes Two Times Mouth von Lila Avilés fesselt durch die Zartheit der Hauptdarstellerin und ihre gleichzeitige Stärke, wenn sie beginnt, kraftvoll und klar zu singen. Sie jobbt in einer Galerie, in der sich die zeitgenössische Kunst als brutales Spiegelbild einer untergehenden Zivilgesellschaft lesen lässt. Luz interessiert das kaum, ihr Ziel ist es, Madame Butterfly zu werden.

In den knapp 24 Filmminuten, in denen der Zuschauer Luz auf dem Weg zum Ziel beobachten kann, werden die kleinen Sensationen des Lebens offenbar – die eigentlich ständig um uns herum sind, von unserem Gehirn aber oft aussortiert werden: der wunderliche Klang eines Wortes, die Farbe eines Stoffes oder vom Wind bewegtes Papier. Der neueste Miu-Miu-Film ist wie viele seiner Vorgänger eine philosophische Zäsur, die zu mehr Einfühlsamkeit aufruft, zuallererst mit sich selbst. Denn nur dann können wir auch sensibel gegenüber unserer Umwelt sein. Das hat fast eine therapeutische Qualität, oder nicht?

Unter diesem Link finden Sie alle Filme, die bisher in der Reihe „Miu Miu Women’s Tales“ erschienen sind.