Balanceakt bei Balenciaga: Wer hat hier die Hosen an?
Nichts wünschte sich der Balenciaga-Chefdesigner Demna mehr als das schnelle Ende dieser Show. Dabei war die Idee mit den Hosen richtig gut.

„Ich wollte noch nie, dass eine Show schon zu Ende ist, bevor sie überhaupt angefangen hat“, sagt Demna, der Kreativdirektor von Balenciaga. Hände mit Smartphones strecken sich in Richtung seines Mundes. Er ist umringt von einer Traube Journalisten. Der Designer wirkt fragil, ganz anders als sein bisweilen brachiales Werk. Sanft beantwortet er ein ums andere Mal die immer gleiche Frage: Ob seine aktuelle, superschlicht gehaltene Modenschau denn eine Reaktion auf den großen Skandal sei. „Die Idee, mich diesmal nur auf die Kleidung zu konzentrieren, hatte ich schon davor“, sagt Demna. „Aber die derzeitige Situation hat mir nur bestätigt, dass das jetzt der richtige Ansatz ist.“
Wir befinden uns im Backstage-Bereich, gerade wurde die neue Balenciaga-Winterkollektion präsentiert. Es gibt keinen Champagner und keine Häppchen. Nur Küsse, Umarmungen und ehrlich wirkende Antworten. Diese Schau war auf der Paris Fashion Week mit großer Spannung erwartet worden, denn die Luxusmarke hatte kürzlich viele unschöne Schlagzeilen am Hals – und diese hängen ihr immer noch nach. Zwei Werbekampagnen hatten für große Entrüstung auf Social Media gesorgt, in den Fotos ließen sich Bezüge zwischen Kindern und Pornografie herauslesen. Pseudomoralisch und verschwörerisch angefeuert durch den konservativen Fox-News-Moderator Tucker Carlson, entstand die Empörungswelle wohl zunächst in den USA und schwappte dann schnell nach Europa rüber. Balenciagas Entschuldigungen für die missverständliche Bildsprache und die Millionen-Spenden an Einrichtungen für traumatisierte Kinder interessierten danach niemanden mehr.
Niemand braucht jetzt noch mehr Drama
Am Sonntag stand nun also in Paris die erste Balenciaga-Show nach dem großen Drama an. Weil es in den USA unter anderem zu Randalen in den Balenciaga-Boutiquen gekommen war, hielt man den Veranstaltungsort bis zum Vorabend geheim, die Gäste wurden um Diskretion bezüglich der Adresse gebeten. Zwar sieht man in Frankreich die ganze Sache längst nicht so wild, aber sicher ist sicher. Herumgesprochen hatte sich bereits, dass man nicht mit dem Brachland-Bombast vergangener Shows à la Schlamm- und Schneewüste zu rechnen hätte.
Die auserwählte Location: Das Untergeschoss des Carrousel du Louvre, einer Shoppingmall, wo bis zum Beginn der Nullerjahre die meisten Pariser Schauen liefen. Weil die Räumlichkeiten vor allem durch ihre Schlichtheit bestechen, wanderten die Luxusmarken peu à peu an glamourösere Orte ab, allen voran Karl Lagerfeld mit seinen legendären Chanel-Schauen ins Grand Palais. Heute zeigt hier kaum noch jemand Mode. Die Balenciaga-Show hier stattfinden zu lassen, war also ebenfalls ein Zeichen. Die Gäste erwartete ein weißer Raum mit schnurgeradem Runway und schwarzen Stühlen zu beiden Seiten. Das wars.

Die Geister, die Demna gerufen hatte – dass die Menschen in der Vergangenheit mehr über das Balenciaga-Set gesprochen hatten als über seine Mode –, diese Geister trieb er er seinem Publikum nun wieder aus. Nun zählte nur noch die Kollektion. Denn was tatsächlich in der letzten Zeit ob all seiner abgedrehten Modenschauen ein wenig unterging, ist ja sein Können als Modemacher. Mit den neuen Entwürfen frischte er die Erinnerung daran auf, das überzeugte auch viele Kritiker.
Ein gelungener Balanceakt mit Hose
Ein Kernthema der Kollektion, die umgeschneiderte Hose, die sich an den Blazer- und Mantelsäumen als Bund zeigt, ist genial. Damit findet Demna eine Lösung zwischen dem für ihn typischen Witz und edler Couture. Aber das ist noch nicht alles, man sieht raffinierte Blumenkleider, die bei näherer Betrachtung aus einem Seidenoberteil und einem Kalbslederrock bestehen. Die Tasche – ebenfalls im gleichen Muster – verschwindet, obwohl sie riesengroß ist, camouflageartig im Outfit. Die Ärmel der Kleider sind teilweise so lang wie die Rocksäume, eine Weiterentwicklung des Überlange-Ärmel-Trends. Später im Verkauf werden sie allerdings kürzer ausfallen, erklärt man bei Balenciaga. Die Kundin müsse es ja schließlich tragen können, ohne dabei handlungsunfähig zu sein.

Die runden, aufgepolsterten Schultern an vielen Looks sind ein Verweis auf traditionelle Entwürfe von Cristóbal Balenciaga, des einstigen Gründers des gleichnamigen Modehauses. Die Buckeloberteile wiederum, die zunächst abstoßend wirken, sind eine aufblasbare Spielerei von Demna – eine Art abgewandelte Sicherheitsweste. Auffällig ist, das kaum Logos noch übermäßig viele Accessoires zu sehen sind. Will man Fettnäpfchen vermeiden? Dazu sagt der Balenciaga-Designer nach der Show: „Ich wollte Synergien zwischen meinen typischen gestalterischen Elementen schaffen. Ich wollte sehen, wie sie in einer Kollektion koexistieren können. Ganz ohne Branding und die Dinge, die auf Marketing abzielen. Einfach das pure Design, nur das wollte ich.“ Ja, und das ist ihm wirklich gelungen. Und zufälligerweise sind diese puristischen Tendenzen ja gerade auch bei vielen anderen Designern zu bemerken. Ein gelungener Balanceakt von Balenciaga!
Es kommen also elegante Zeiten auf uns zu, liebe Leserinnen und Leser. Und noch etwas wurde während dieser Pariser Modewoche klar: Die Kunstfreiheit ist ein Privileg der Kunst und nicht der Mode. Am Ende kommt es vielleicht doch nur darauf an, dass wir in der Mode schön aussehen. Oder nicht?
Das Blazer-Schnittmodell des ersten und zweiten Looks der neuen Kollektion kann man derzeit als PDF herunterladen – und sich also seinen eigenen Balenciaga-Blazer schneidern lassen.