Paris Fashion Week: Rasiermesserscharfe Eleganz bei Saint Laurent
Unser Kolumnist weiß, dass der Saint-Laurent-Kreativdirektor Anthony Vaccarello bei seiner aktuellen Kollektion ganz tief in den Archiven des Modehauses kramte.

Die breiten, gepolsterten Schultern bei Saint Laurent sind zurück! 1988 durfte ich das erste Mal hinter die Kulissen dieses berühmten Pariser Modehauses schauen und begriff schnell, was den Unterschied ausmacht zwischen diesem ganz besonderen Handwerk der Luxusmode und dem, was auf der Straße getragen wird. Denn nicht der Entwurf des Designers zählt, sondern auch dessen meisterhafte Umsetzung.
Der liebenswürdige Mann, der mir alles erklärte, wird mir ewig im Gedächtnis bleiben. Sein Name: Jean Pierre Derbord. Der legendäre Schnitttechniker hauchte den Visionen des großen Yves Saint Laurent über fast vierzig Jahrzehnte lang Leben ein. Jean Pierre weihte mich bei meinem Besuch in alle seine Geheimnisse ein. So weiß ich, dass auch heute noch vieles auf seinen Entwicklungen basiert. Auch die Raffinesse der Entwürfe des heutigen Chefdesigners Anthony Vaccarello. So werden die typischen Saint-Laurent-Schultern der Jacken während ihrer Herstellung immer wieder zurechtgebügelt – und das stundenlang: „Zunächst muss die Schulter gerade gebügelt werden, dann wiederum so geformt werden, dass sie perfekt sitzt“, erzählte Jean Pierre. Ein vergleichsweise riesiger Aufwand, der bis heute unter anderem die Meisterschaft des Hauses Saint Laurent ausmacht.
Keine Logos, dafür Chic und Raffinesse
Als Vaccarello seine neue Saint-Laurent-Kollektion kürzlich auf der Pariser Fashion Week zeigte, bemerkte man seine starke Hinwendung zur Eleganz. Auch andere Häuser zeigten formellere Mode, weit weg von der Sportswear der vergangenen Saisons. Man sah weder Logo-Sweatshirts noch aggressives Branding auf den Kleidungsstücken. Die Luxusmarken setzen dieser Tage wieder auf ihre Alleinstellungsmerkmale, denn die hohen Preise müssen sich auf Dauer vor den Kunden rechtfertigen lassen. Und diese investieren natürlich eher in erkennbare Schneiderkunst, edle Materialien und das ganz spezielle Knowhow der Pariser Couture.


Vaccarello nutzt dafür das Wissen und Können, das seit der Gründung durch Yves Saint Laurent und Pierre Bergé 1962 meisterhaft entwickelt und perfektioniert wurde. Chic, Raffinesse und rasiermesserscharfe Pariser Eleganz sendet er in allen seinen sechzig Looks ganz klar und deutlich über den Runway. Auch das Dekor der Modenschau versetzte die Besucher in jene Zeit, die der Designer ganz vortrefflich ins Heute transportierte: am Boden der berühmte Moiré-Teppich, der von Jaques Grange exklusiv für das Haus entworfen wurde, und an der Decke die goldenen Lüster des ehemaligen Sitzes in der Avenue Marceau.
Zurück in die Zukunft
Die Parade der Looks, kein Modell ohne große mondäne Sonnenbrille, beschwört die Codes herauf, die Yves Saint Laurent zu Weltruhm verhalfen. Smokings, Oversized-Jacketts mit breiten Schultern, dazu Tartanblusen mit Schleifen, Plaids und große Bomber-Lederjacken im Mideighties-Stil, die Claude Montana 1983 erstmals modern machte. Alles auf den Punkt. Man spürt, wie Vaccarello das Archiv der Marke bemüht hat. Zwar sind alle Haute-Couture-Modelle in den YSL-Museen in Paris und Marrakesch ausgestellt, doch das eigentliche Archiv befand sich in den Händen des Modehistorikers Olivier Chatenet. Die Marke Saint Laurent erwarb die mehr als 5000 Kleidungsstücke und 4000 Accessoires jedoch 2020 zurück und kann jetzt darauf zurückgreifen. Und wie sich gerade wieder gezeigt hat, sind die Vintage-Kollektionen unglaublich wichtig für die Zukunft des Hauses. Denn die definiert sich aus der Symbiose von Vergangenheit und Gegenwart. Saint-Laurent-Fans werden Schlange stehen für diese großartige Kollektion.