Neo.Fashion 2022: 3 Tage, 11 Unis, 80 Graduierte, 900 Looks

Im Rahmen der Berlin Fashion Week fand die sechste Edition der Neo.Fashion in den Reinbeckhallen statt. Über 80 Graduierte präsentierten ihre Modekreationen.

Paul Kadjo, einer der Aspiring Designers, kreiert Looks, die zeigen: Kleidung hat kein Geschlecht.
Paul Kadjo, einer der Aspiring Designers, kreiert Looks, die zeigen: Kleidung hat kein Geschlecht.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Wer wissen möchte, wie die Mode von morgen aussehen könnte, der sollte einen Blick auf das Schaffen der Modehochschulen Deutschlands werfen. Das Projekt Neo.Fashion gab auf der Berlin Fashion Week in Showrooms und auf Runway-Shows Einblicke in die Modewelt des Nachwuchses, und umgekehrt konnte dieser seine Kreationen vor Publikum präsentieren. Das dreitägige Event in den Reinbeckhallen bot ein volles Programm: 15 Shows an drei Tagen mit über 900 Looks.

Elf deutsche Hochschulen schickten ihre Jahrgangsbesten in die Hauptstadt, insgesamt waren über 80 Graduierte vor Ort. Gründer und Veranstalter, Jens Zander, spricht davon, dass jungen Designern durch die Veranstaltung ein Ziel geboten würde, auf dass sie hinarbeiten können: Ihre Kollektionen auf der Berlin Fashion Week zu präsentieren, mit der Hoffnung darauf, am Ende einen der begehrten Awards mit nach Hause zu nehmen.

Auch sechs ukrainische Designer der Ukrainian Fashion Week aus dem Projekt „Look into the Future“ stellten bei Neo.Fashion ihre Arbeit vor. Ein Debüt feiert außerdem der Showroom „Aspiring Designers“, der die Werke von 15 aufstrebenden Modemachern ausstellte. Jene zeigten am letzten Tag in zwei Gemeinschaftsshows ihre Looks.

Immer begleitet von Beats und Bässen, trugen die Models in Slots von 30 Minuten Kollektion nach Kollektion über den Laufsteg. Die Schauen von Neo.Fashion verbanden mehrere künstlerische Genres miteinander, so waren einige Showcases mit Videos begleitet oder mit einem Voiceover aus dem Off bespielt. Statt starr zu laufen, interagierten die Models in einigen Shows auch mit dem Publikum oder untereinander. Unter der diversen Auswahl an Models fand man auch bekannte Gesichter wie Sarah Posch, „Germany’s Next Topmodel“-Siegerin 2020.

Bruch mit Konvention und Gendernorm im Programm

An der Mode der jungen Designer kann man ablesen, was diese Generation bewegt: Selbstfindung, Ausdruck von Emotionen, ein bewusster Umgang mit der Umwelt. Besonders fiel der Bruch mit klassischen Konventionen und Gendernormen auf. Die Kunsthochschule Burg Giebichstein aus Halle gilt auf der Fashion Week für ihre Nachwuchstalente bereits als renommiert. Ein Highlight der Show war der dekonstruierte Look eines Brautpaars, was von Nanyi Li designed wurde: Braut und Bräutigam trugen einen klassischen Schleier und Sakko, doch nach unten hin verabschiedet sich die gewohnte Tradition: Das Hochzeitkleid verläuft sich in Fetzen, der Bräutigam trägt einen langen dunkelblauen Rock. Nanyi Li erhielt einen von drei Neo.Fashion-Awards, in der Kategorie Sustainability.

Der Hochzeitlook von Preisträgerin Nanyi Li war eines der Highlights der Neo.Fashion-Shows.
Der Hochzeitlook von Preisträgerin Nanyi Li war eines der Highlights der Neo.Fashion-Shows.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Der Preis für Best Design ging an den Absolventen der HAW Hamburg Max Tautorus. Seine Kollektion „KINSHIP“ setzt sich mit der Tier-Mensch-Beziehung im Anthropozän, einer neuen geochronologischen Epoche, auseinander. Seine Outfits, die jeweils ein Tier repräsentieren, sollen es dem erwachsenen Träger erlauben, in sein inneres Kind zu schlüpfen und dessen Verhältnis zur Natur und Tierwelt neu zu erforschen.

Max Tautorus lässt die Models in seiner Kollektion „KINSHIP“ in Tierrollen schlüpfen.
Max Tautorus lässt die Models in seiner Kollektion „KINSHIP“ in Tierrollen schlüpfen.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Antonia Dannenberg von der Hochschule Niederrhein erhielt den Neo.Fashion-Award im Bereich Innovation.  In ihrer Kollektion „MELT DOWN“ drückt sie ihre Verbundenheit zur Natur und den Bergen aus. Die Kollektion zeigt designtechnisch anspruchsvolle, aber dennoch stilvolle Outdoorbekleidung. Auch sie präsentierte mit ihren Outfits futuristische Designs sowie neue Kombinationen verschiedener Stile, Stoffe und Farben. Vergeben wurden die Awards durch eine unabhängige Jury, bestehend aus verschiedenen Vertretern der Fashionwelt: Claudia Hofmann, Leyla Piedayesch, Timo Wolf, Sebastian Warschow, Nessie Degerli, Carina Bischof und Florian Müller.

„MELT DOWN “ von Antonia Dannenberg zeigt anspruchsvolle Outdoormode.
„MELT DOWN “ von Antonia Dannenberg zeigt anspruchsvolle Outdoormode.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Neben den Neo.Fashion-Awards wurde zum ersten Mal auch der etablierte European Fashion-Award FASH verliehen. Den ersten Preis in der Kategorie Studierende erhielt Viola Schmidt der Hochschule Reutlingen. In der Kategorie Bachelor belegte Idan Yoav den ersten Platz, gefolgt von Lihi Mendel. Beide Preisgewinner sind Modestudenten hier aus Berlin – der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.

Der lebhafte Runway von European-Fashion-Award-Gewinner Idan Yoav.
Der lebhafte Runway von European-Fashion-Award-Gewinner Idan Yoav.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Hussein Chalayan sorgt für eine besondere Show

Worauf wohl alle Gäste am Mittwochabend gewartet haben, war die Show der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin. In der Graduate-Show der HTW durften 14 Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Modedesign ihre Kollektionen präsentieren. Dass die Show von Professor Hussein Chalayan kurratiert wurde, lässt ganz besondere Looks erahnen. Der britische Modeschöpfer ist für seine besonderen Kreationen bekannt.

Seine Mode ist geprägt von intellektuellem Anspruch mit einem Hang zur Avantgarde. Markenzeichen des Designers sind provokante Shows – weshalb er auch von seinen Studierenden viel Risikobereitschaft fordert. Das erste Highlight sah man hier von Sophia Heins, die ihre Kollektion „SMYW – See my world“ präsentierte. In dieser thematisiert sie Kleidung für körperlich beeinträchtigte Menschen. Inklusive Kleidung, die man nicht sofort als solche erkennt. Fokus der Kollektion ist das Sehen bzw. Nichtsehen, weshalb zwei sehbeeinträchtige Models, die die Looks von Sophia Heins tragen, über den Laufsteg geführt werden. Diese wurden von im Morphsuit eingehüllten Führungsmodels begleitet.

Ein Highlight der Graduate-Show der HTW Berlin: Sophia Heins’ Kollektion „SMYW – See my world“.
Ein Highlight der Graduate-Show der HTW Berlin: Sophia Heins’ Kollektion „SMYW – See my world“.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Ein weiteres Highlight der Show war Kristin Amendts Kollektion „PSYCHE-O-PATH“ . Auch hier lassen sich die Einflüsse Chalayans erkennen. Die Kollektion zeigt alle Emotionen, ob positiv oder negativ, wie die Designerin sie selbst empfindet. Einer der sechs Looks wurde performt, indem das in einer schwarzen Leder-Kombi bekleidete Model in einem silbernen Stahlkasten über den Laufsteg gerollt wird.

Ein Outfit aus Kristin Amendts Kollektion „PSYCHE-O-PATH“, die alle Emotionen in Extremen darstellen soll.
Ein Outfit aus Kristin Amendts Kollektion „PSYCHE-O-PATH“, die alle Emotionen in Extremen darstellen soll.Neo.Fashion/Gerome Defrance

Auch ein  Panel-Talk zum Thema „Metaverse – a curse or a blessing?“ war Teil der Neo.Fashion 2022. Mit diversen Akteuren der Modeszene wurde die Zukunft des Berufsbildes des Modedesigners hinter dem Background der Herstellung digitaler Modeartikel diskutiert. Dass Neo.Fashion das Bewusstsein für aktuelle Geschehnisse und einen Blick in die Zukunft wirft, wurde nicht zuletzt durch die Realisierung einer digitalen Graduate-Show der Universität Kiew bewiesen.

3 Tage,11 Unis, 80 Graduierte, 900 Looks haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Die facettenreichen Werke der jungen Talente machen Lust auf die verantwortungsbewusste Mode von morgen und wecken die Vorfreude darauf auf die nächste die Neo.Fashion.