Einmal mit alles: Was Berlins Restaurants wirklich zu bieten haben

Die Literaturkritiker Denis Scheck und Anne-Dore Krohn stellen ihre Berliner Lieblingslokale vor und erzählen die Geschichten dazu.

Mustafa’s Gemüse Kebap am Mehringdamm ist eine Institution. Aber ist der Döner dort wirklich so gut?
Mustafa’s Gemüse Kebap am Mehringdamm ist eine Institution. Aber ist der Döner dort wirklich so gut?Imago

„Wie schmeckt eigentlich Heimat?“, fragte die Lufthansa im vergangenen Jahr und stellte anhand dieser Leitfrage für mehrere deutsche Städte die Menüs für ihre Business-Class neu zusammen. Für Frankfurt am Main wurde die berühmte Grüne Soße mit jungem Grünkohl und französischen Macaire-Kartoffeln neu interpretiert, Hamburg kam in Form eines Garnelensalats mit einer Rote-Bete-Kartoffelterrine auf den Teller, das Traditionsgericht Leipziger Allerlei wurde zu einem Hähnchensalat mit Knollensellerie, Wacholder und schwarzen Walnüssen umgewidmet.

Und Berlin? Tja, Berlin sei nun mal die Heimat der berühmten Currywurst, stellten die Caterer schnöde fest – und man darf wohl schon froh sein, dass sie dem klischeehaftesten aller hauptstädtischen Gerichte nicht noch Pommes an die Seite legten oder eine Schrippe, sondern wenigstens sautierte Kartoffeln. Sie ist einfach nicht auszumerzen, die Idee, dass man das kulinarische Berlin am besten über die Currywurst beschreiben kann – das stellen auch Denis Scheck und Anne-Dore Krohn in ihrem neuen Buch „Hungrig auf Berlin“ fest.

Reflexartige Reduktion der Hauptstadt auf Currywurst und Bulette

„Armes Berlin“, konstatieren die Autoren, die gar nichts einzuwenden haben gegen eine gut gemachte Wurst. Aber: „Die reflexartige Reduktion“ der Hauptstadt auf Currywurst oder Bulette tue der „vielfältigen gastronomischen Gegenwart Berlins bitter unrecht“. Wohl auch ein Grund, warum sich die eigentlich als Literaturkritiker bekannten Autoren dazu entschlossen haben, ein Berlin-Buch zu schreiben. Und zwar eines, das als Reise angelegt ist zu 32 empfehlenswerten kulinarischen Adressen in dieser Stadt.

Auch so eine Lieblingsadresse: Denis Scheck und Anne-Dore Krohn im Cookies Cream in Mitte
Auch so eine Lieblingsadresse: Denis Scheck und Anne-Dore Krohn im Cookies Cream in MitteBenjamin Pritzkuleit

Darunter befinden sich viele Lokalitäten, die man als Berliner schon gut kennt oder von denen man zumindest schon oft gehört hat, obschon man sich ein Essen dort als Normalsterblicher nicht leisten kann. Tim Raues Sternerestaurant in der Rudi-Dutschke-Straße zum Beispiel oder Marco Müllers Rutz in der Chausseestraße, Berlins erstes und einziges Restaurant mit drei Michelin-Sternen.

Es geht aber auch bodenständiger: zum Einkaufen ins Mitte Meer, zum Picknicken in den Garten des Jüdischen Museums oder einfach nur auf ein Heißgetränk ans Coffee Bike auf dem Tempelhofer Feld. Was dieses Büchlein von anderen Restaurantführern unterscheidet? Zu jeder Adresse gibt es nicht nur eine Einschätzung zum Essen dort, sondern auch die Geschichte des Ortes und der Menschen, die dort kochen und wirken.

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Benjamin Pritzkuleit
Das Buch
In Berlin gibt es rund 10.000 Gastronomiebetriebe – eine Vielfalt, die sich in keinem Buch der Welt abbilden lässt. Denis Scheck und Anne-Dore Krohn haben sich auf 32 Kapitel beschränkt und versammeln bekannte Berliner Adressen: vom Horváth übers KaDeWe und die Markthalle Neun bis zum Borchardt oder Grill Royal.

Denis Scheck und Anne-Dore Krohn: „Hungrig auf Berlin“, Merian, 240 Seiten, 20 Euro.

Was Claus Hipp mit einem berühmten Kreuzberger Döner zu tun hat

Und an dieser Stelle wird es interessant: Denn natürlich kennt jeder Mustafa’s Gemüse Kebap am Mehringdamm, aber wussten Sie, wie der dort gereichte Döner mit dem gegrillten Gemüse so berühmt werden konnte, dass sich heute die Leute vor dem Laden die Beine in den Bauch stehen? Denis Scheck und Anne-Dore Krohn schreiben darüber, wie Betreiber Tarik Kara im Jahr 2005 seine kleine Bude eröffnete, die er Mustafa nannte, „weil das so schön orientalisch klingt“. Oft habe er zwölf Stunden am Tag hinter dem Tresen gestanden und Döner zubereitet – mit Hähnchenfleisch oder vegetarisch.

In Reiseführern tauchte Karas Laden nicht auf, auch lange Schlangen gab es nicht – bis eines Tages zwei junge Werber vorbeischauten, die für ein Uniprojekt einen Betrieb suchten, für den sie eine Kampagne entwickeln konnten. So kam Mustafa’s Gemüse Kebap zu einer tollen Website mit witzigen Slogans – und zu einem eigenen Kinospot, der die bekannte Werbung für Hipp-Babybrei persiflierte. Der Clip gipfelte darin, dass der Döner-Chef nebst knackigen Möhren auf einem sonnenbeschienenen Acker steht und sehr ernst in die Kamera sagt: „Davor stehe ich mit meinem Namen.“

Der Rest ist eine Kreuzberger Erfolgsgeschichte: Die Presse berichtete über Tarik Kara, die Schlangen wurden länger – und der Bayer Claus Hipp schrieb persönlich: „Wenn Ihre Döner so gut sind wie Ihre Werbung, über die ich herzlich gelacht habe, dann komme ich bei meinem nächsten Berlin-Besuch gerne vorbei.“

Bei so einer Geschichte, befinden auch Scheck und Krohn, ist es eigentlich fast zweitrangig, ob der gehypte Gemüsedöner nun wirklich der beste der Stadt ist und die ellenlangen Wartezeiten rechtfertigt. Nur so viel: „Das Fladenbrot ist heiß und knusprig, da sind Süßkartoffeln, Kartoffeln, Lauchzwiebeln, Zucchini, Auberginen, Salat, Karotten, Tomaten und Zwiebeln, erfreulicherweise auch ganze frittierte Knoblauchscheiben, ein Hauch von Zitrone spielt mit hinein, und obendrauf krümelt Schafskäse. Es ist ein wirklich guter Döner, den wir jederzeit wieder essen würden.“

Der Literaturkritiker ist Stammgast im Cookies Cream in Mitte

Auch wenn Denis Scheck, Fernsehzuschauern vor allem als Moderator des ARD-Büchermagazins „Druckfrisch“ bekannt, und Anne-Dore Krohn, Literaturredakteurin beim Kulturradio des RBB, hauptberuflich mit Büchern und nicht mit Restaurants befasst sind, so liegt für sie der Weg zum eigenen Gourmetführer trotzdem auf der Hand. „Wir sind auf der Suche nach guten Geschichten – und die gibt es natürlich auch in der Gastronomie“, sagt Krohn. Scheck erinnert an berühmte Literaten, die auf diesen Pfaden unterwegs waren: „Es gibt ja schon Spuren gastrokritischen Engagements bei Theodor Fontane oder bei Kurt Tucholsky, der sich über die deutsche Speisekarte beschwerte und Ratschläge gab, wie man die Ernährung reformieren sollte: weniger Fleisch, mehr Gemüse, leichtere Mahlzeiten. Da war er wie in so vielem seiner Zeit voraus.“

Beim Stichwort „mehr Gemüse“ ist Scheck, dessen Großmutter die Köchin von Theodor Heuss war, dann auch bei seinem persönlichen Lieblingsrestaurant in Berlin. Der Kritiker kommt zwar aus Stuttgart und wohnt heute in Köln, ist aber bei seinen häufigen Hauptstadtbesuchen immer wieder im Cookies Cream hinter der Komischen Oper zu Gast, dem Scheck auch im Buch hohes Lob angedeihen lässt: „Nie haben wir Stephan Hentschels Restaurant verlassen ohne eine Anregung für ein neues Produkt, ein uns bislang unbekanntes Kraut oder Gemüse oder eine neue Zubereitungsart.“

Der mit diesen Worten geadelte Sternekoch, der in Berlin als einer der ersten auf fleischlose Spitzenküche setzte, und zwar lange bevor veganes und vegetarisches Essen ein Trend wurde, freut sich natürlich über die Werbung – gerade nach zwei harten Corona-Jahren. Das Cookies Cream habe sich zwar durch einen in Rekordzeit aufgebauten, deutschlandweiten Lieferservice gut über Wasser halten können, aber er sei froh, dass nun auch der „echte“ Restaurantbetrieb wieder anlaufe, sagt Stephan Hentschel. Noch seien zwar die internationalen Food-Touristen nicht zurück und er auch noch nicht wieder jeden Abend ausgebucht wie in vorpandemischen Zeiten. Aber der Berliner Gastro-Pionier glaubt fest daran: „Die Leute werden sich wieder persönlich treffen, sie werden sich austauschen, und sie werden wieder essen gehen.“

Ob nun im Sterne-Lokal oder im Imbiss um die Ecke: Berlin bietet für jeden etwas. Das beginnt mit dem Nobelhart & Schmutzig, dem das Buch attestiert, dass dort „die Zukunft der Berliner Gastronomie“ liege. Und es endet noch lange nicht in den Kantinen der BSR: „Ein Ort, an dem man sich bedenkenlos, mit offenem Herzen und leerem Magen in die kumpelhafte Mahlzeitkultur stürzen kann und am Ende – versprochen – fröhlich und satt und zufrieden wieder herauskommt.“