Warum Ostwestfalen die Provence Deutschlands ist

Nordrhein-Westfalen ist fast so schön wie Südfrankreich. Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie, was unsere Autorin aus den Lavendelfeldern Ostwestfalens berichtet.

Für die Gewinnung eines Liters Lavendelöl braucht man etwa 300 Kilogramm Blüten.
Für die Gewinnung eines Liters Lavendelöl braucht man etwa 300 Kilogramm Blüten.Imago

Seit ein paar Tagen reibe ich mir vor dem Zubettgehen Lavendelöl auf die Schläfen, auf der Gästetoilette habe ich einen Diffuser installiert und morgens laufe ich durchs Haus und versprühe Lavendel-Raumduft. Lavendel soll Stress abbauen, hilft bei Schlafstörungen und entspannt. Ich bilde mir ein, das klappt. Ich bin total relaxed. Meine Familie weniger.

„Lass das bitte,“ sprach erst gestern mein Mann und guckte streng. „Das riecht hier wie in einem Kosmetiksalon.“ Das ist natürlich Unsinn. Erstens, weil es nicht stimmt, und zweitens, weil der Mann in seinem Leben noch nie einen Kosmetiksalon von innen gesehen, geschweige denn gerochen hat.

Mein akutes Faible für den Duftstoff kommt nicht von ungefähr. Vergangene Woche nämlich half ich bei der Lavendelernte. Sie wissen, ich bin im Hauptberuf Gartenreporterin fürs Fernsehen, und am liebsten wäre ich natürlich in die französische Provence gefahren. Aber ich spreche  kein Französisch und das ZDF hätte eine derart weite Reise eventuell etwas überkandidelt gefunden. Also leierte ich meinem Boss eine Bahnfahrt nach Ostwestfalen-Lippe aus den Rippen.

Auf 16 Hektar Landfläche stehen tausende Lavendelbüsche

Da nämlich, in einem unscheinbaren Industriegebiet in der Nähe der Stadt Lage, wird ebenfalls Lavendel angebaut. Und wie! Auf 16 Hektar Landfläche stehen, ordentlich in Reih und Glied, tausende Lavendelbüsche. In aller Frühe, noch vor den Hummeln und Bienchen, stand ich in der Mitte eines dieser Felder und versuchte, mir die 60er-Jahre-Häuser im Hintergrund als Schloss vorzustellen. Schöner, ganz ehrlich, kann es in Südfrankreich auch nicht sein. Ich war umrahmt von einem lilafarbenen Blütenmeer, der intensive Duft zog mir in die Nase, und wenn ich versuchen müsste, diesen Moment mit einem Wort zu beschreiben, wäre es der Begriff „Ruhe“, der mir spontan in den Kopf kommt.

Die Sorte in Lage ist dieselbe wie in Frankreich: Lavandula Angustifolia. Das ist der Echte Lavendel, der, der für die Produktion von ätherischen Ölen genutzt wird. Und genau solche Öle produziert die Duftmanufaktur „Taoasis“, mitten in Ostwestfalen. Der Chef, Axel Meyer, hatte sich den Arbeitstag für uns freigeschaufelt, fuhr mit mir Traktor und kniete sich zwischen die duftenden Büsche.

Bei der Ernte von Lavendel kommt es beinahe auf die Minute an.
Bei der Ernte von Lavendel kommt es beinahe auf die Minute an.Imago

„Schauen Sie,“ sagte er und brach einen verholzten Stängel ab, „wenn die Blüten zu zwei Dritteln geöffnet sind, dann ist der richtige Zeitpunkt, um zu ernten.“ – „Also genau jetzt?“ Er schaute in den Himmel. „Noch etwa eine Stunde, wenn der Morgentau getrocknet ist.“

Dass es bei der Ernte von Lavendel fast auf die Minute ankommt, war eines der vielen Dinge, die ich an diesem Tag lernen durfte. Ebenso, dass man für die Gewinnung eines einzigen Liters Lavendelöl etwa 300 Kilogramm Blüten braucht. 300 Kilo! Stellen Sie sich das mal vor! Meyer ist der erste Landwirt in Deutschland, der Lavendel im großen Stil für die Duftmittelproduktion anbaut. Der Klimawandel machts möglich.

In Frankreich ist die Sommerhitze fast schon zu groß

„In Frankreich sind die Sommer mittlerweile fast zu trocken für Lavendel. Während bei uns die Bedingungen Jahr für Jahr besser für die Pflanze funktionieren“, sagte Meyer. Einerseits finde ich das schrecklich. Andererseits habe ich Respekt vor dem Wagemut von Menschen wie Meyer. Er packt die Chance bei den Hörnern und fährt volles Risiko. Dass Lavendelanbau in Ostwestfalen funktionieren kann, ist nämlich keine Selbstverständlichkeit, der Boden ist eigentlich ungeeignet. Zu lehmhaltig, zu fett und zu reichhaltig; Lavendel mag es karg und sandig.

Aber die Pflanze zeigt sich anpassungsfähig. Ebenso wie die Menschen in der Region. Auf anfängliche Skepsis folgte Begeisterung, die blühenden Lavendelfelder sind mittlerweile eine bekannte Sehenswürdigkeit in der Gegend. Wie in der Provence kommen ganze Busladungen voller gartenbegeisterter Rentnerinnen und Rentner, aber auch Yogis, Pflanzenfreundinnen und Instagrammer spazieren zwischen den Feldern und knipsen Fotos.

Mein Team und ich filmten den ganzen Tag. Wir interviewten den Chef, drehten die Pflanzen, den Destillationsprozess, die Abfüllmaschine und zum Schluss den Duft-Shop. Und auch wenn ich mich nie sonderlich für olfaktorischen Schnickschnack interessiert habe, gingen am Ende ein bisschen die Pferde mit mir durch. Als wir fertig waren, kaufte ich: Drei Bio-Raumsprays, einen Duftdiffusor mit Nachfüllpack, einen Lavendelöl-Roller für die Handtasche, die „Sauna Essenz zum Kennenlernen“ und ein Gelenkwohl-Spray für meinen Mann.

Tja, was soll ich sagen? Der ganze Kram muss jetzt hier im Haus an die Leute kommen. Meinem Mann stinkt das natürlich. Aber der soll sich nicht so haben. Vielleicht sprüh’ ich ihm heute Abend heimlich das Kopfkissen ein, damit er sich mal ein bisschen  entspannt.