Warum Sie trotz Inflation nicht an den Erdbeeren sparen sollten

Die aktuellen Ereignisse und ihre Folgen gehen auch an unserer Garten-Kolumnistin nicht vorbei. Billigbeeren aus dem Ausland kommen ihr aber nicht in die Tüte.

Unsere Autorin isst jede Menge Erdbeeren – nur die guten Bio-Beeren aus Deutschland allerdings.
Unsere Autorin isst jede Menge Erdbeeren – nur die guten Bio-Beeren aus Deutschland allerdings.Imago

Neulich lag ich wach. Es war die kürzeste Nacht des Jahres. Ich wälzte mich von einer auf die andere Seite, fühlte Wehmut und versuchte, zurück in den Schlaf zu finden. Während vor meinem Fenster die Himmelsfarben wechselten, dachte ich darüber nach, dass ich diese Nacht noch nie leiden konnte. Ein Sommeranfang, der gleichzeitig ein Abschied ist – wer, bitteschön, hat sich das ausgedacht?

Die Vögel fingen an zu flöten, es muss gegen 3 Uhr gewesen sein, ich stand auf und ging in den Garten. Da saß ich dann auf meiner rostigen Bank mitten im Gemüsebeet und schaute mich um. Was für ein seltsamer Frühling war das gewesen? Würde ich ohne Nachrichten leben, nur ich allein auf meiner kleinen, grünen Scholle, dann hätte ich niemals erfahren von all dem Grauen 800 Kilometer weiter östlich, dann wäre es tatsächlich ein respektabler Start in die Saison gewesen.

Ich hatte zur rechten Zeit den Kompost ausgebracht, die Rosen pünktlich geschnitten und gedüngt, den perfekten Moment erwischt, um Salat, Kohlrabi und Mangold zu säen. Beim Gärtnern geht es immer um den richtigen Zeitpunkt, Freizeitgärtnerinnen und -gärtner wie ich haben das schmerzvoll lernen müssen. Mein Blick fiel auf die zweite Runde Radieschen, die stramm stand im Beet, dahinter eine Reihe Rote Bete, links die Tomaten; folgsam setzten sie erste Früchte an.

Immer öfter wird auf Billigprodukte aus dem Ausland zurückgegriffen

Ich nickte zufrieden, das Gemüse machte weitestgehend, was es sollte. Auch der Rest des Gartens zeigte sich zugewandt. Die Rosenhecke „Heidetraum“ war kurz davor zu explodieren; der Lavendel daneben schob seine Ausläufer protzig in Richtung Sommernachtshimmel, und der Storchschnabel „Rozeanne“ blühte bereits seit Wochen verlässlich. Schön alles, eigentlich.

Nun lebe ich aber nicht ohne Nachrichten. Wir alle nicht, aber ich erst recht nicht. Ich bin Journalistin beim Fernsehen, schon von Berufswegen greife ich ab und an mal zur Zeitung oder schaue das „heute journal“. Der Krieg, der verdammte, er betrifft uns alle, und auch wenn wir versuchen, uns dem zu entziehen – es ist schwer. Nehmen wir nur mal die Sache mit den Erdbeeren, Sie wissen noch? Ein paar Wochen ist das nun her, da titelten die Gazetten: „Erdbeeren in der Krise – Bauern vernichten ihre Ernte!“ Ich musste schlucken, als ich diese Schlagzeile las.

„Selbst pflücken“ – viele Bäuerinnen und Bauern machen ihr Erdbeerfeld zum Selbstbedienungsladen.
„Selbst pflücken“ – viele Bäuerinnen und Bauern machen ihr Erdbeerfeld zum Selbstbedienungsladen.Imago

Regionale Erdbeerproduzenten drohten damit, ihre Ernte zu zerstören, aus Protest gegen Billiganbieter aus dem Ausland. Seit der Krieg in der Ukraine die Preise treibt, halten die Menschen ihr Geld zusammen. Wer also die Wahl hat zwischen einer Schale Erdbeeren aus Spanien für 1,99 Euro und einer aus Brandenburg für 3,20 Euro, entscheidet sich für … genau! Die konventionellen deutschen Anbieter können mit den Billiganbietern aus dem Süden nicht mehr mithalten. Gestiegene Energiepreise und der neue Mindestlohn wollen irgendwie finanziert werden. Gegen die erdrückende Konkurrenz aus dem Ausland gingen nun die Bäuerinnen und Bauern hierzulande auf die Barrikaden. Wer mag es ihnen verdenken?

Im Bio-Erdbeer-Anbau wird fast jede Arbeit von Hand verrichtet

Wie’s der Zufall will, war ich ohnehin mit einem Erdbeer-Produzenten für ein Interview verabredet. Einem Biobauern aus Niedersachsen. Der Mann war mir auf Anhieb sympathisch. Anfang 30, hochgeschossen und eeecht entspannt. Auf seinen Feldern kultiviert er neben Erdbeeren auch Pastinaken, Zwiebeln, Süßkartoffeln, Karotten und weiß der Himmel was noch.

Über Fruchtfolge, so viel steht fest, weiß der Mann alles. Das Feld zum Beispiel, auf dem dieses Jahr seine Erdbeeren stehen, lag im vergangenen Jahr noch brach. Da hat er Klee drauf wachsen lassen und diesen im Herbst als Gründüngung untergepflügt. Seine Beeren wechseln alle zwei Jahre den Standort, die Kartoffeln dagegen setzt er nur alle acht Jahre ins gleiche Feld. Ich fand das wahnsinnig spannend!

Echt ein Knochenjob – in Bioprodukten steckt ganz viel Handarbeit und kein chemischer Dünger.
Echt ein Knochenjob – in Bioprodukten steckt ganz viel Handarbeit und kein chemischer Dünger.Imago

„Im Bio-Erdbeeranbau“, erzählte mir der Bauer, „ist fast alles Handarbeit. Wir müssen das Stroh unter die Früchte legen und das Unkraut zwischen den Pflanzen hinausziehen. Dafür gibt es keine Maschinen.“ Stellen Sie sich das mal vor! Wir reden von tausenden Erdbeerpflanzen. Jede einzelne Diestel, jeder Giersch und jede Schnecke wird händisch entfernt. Die Auflagen für die Bioproduktion sind hoch, da kommt kein chemischer Dünger, kein Spritzmittel gegen Schädlinge zum Einsatz.

Die Erntehelferinnen und -helfer erledigen einen Knochenjob

Um nicht die ganze Zeit gebückt auf dem Feld stehen zu müssen, fahren die Bio-Bauern mit einem Wagen über das Feld. Der ist etwa vier Meter breit, hat eine Solaranlage auf dem Dach und bewegt sich im Schneckentempo durch die Fruchtreihen. Mit dem Bauch nach unten liegend, durch die Solarpanels über ihnen von der Sonne geschützt, rupfen dann vier oder fünf Erntehelfer das Unkraut aus dem Beet. Jeden Tag, stundenlang. Sie hören Musik, quatschen und lachen zwischendurch ein bisschen – aber Fakt bleibt: Das ist ein unfassbarer Knochenjob!

Als ich den Bauern besuchte, hängte er am Feldeingang ein Schild auf. „Erdbeeren zum Selberpflücken“ stand darauf. Wer hier eigenhändig die Beeren vom Strauch holt, kann sich während der Ernte den Bauch vollschlagen und zahlt nur den halben Preis. Sechs Euro pro Kilo. Ich finde, das ist ein verdammt fairer Deal, immerhin sind das Bio-Erdbeeren! Bis Ende Juli etwa läuft die Saison noch, und seit ich aus Niedersachsen zurück bin, esse ich Erdbeeren ohne Ende. Dreimal pro Woche mindestens eine Schale.

Der Wagen mit den Erntehelfern geht mir nicht mehr aus dem Kopf, der beeindruckte mich. Ich spare lieber an anderer Stelle, aber sicher nicht an Erdbeeren, die Bäuerinnen und Bauern verdienen unsere Unterstützung. Ausnahmsweise habe ich dieses Jahr auch keine eigenen im Garten, weil ich im Frühjahr verpasst habe, sie umzusetzen. Manchmal kommt das Verpassen des richtigen Zeitpunktes genau zum richtigen Zeitpunkt.