Studien zum Nationalkomitee "Freies Deutschland": Für immer zwischen allen Fronten

"Hitler führt Deutschland in den Untergang." Mit diesem Bekenntnis wandte sich im Juli 1943 das Nationalkomitee "Freies Deutschland" (NKFD) aus der Sowjetunion an die deutsche Öffentlichkeit. 13 deutsche Exilanten, vor allem Kommunisten, und 25 Kriegsgefangene hatten das Manifest unterschrieben. Bis heute hat ihr Widerstand gegen den Nationalsozialismus kaum Gerechtigkeit erfahren; die SED stilisierte sie zu Vorläufern der DDR, in Westdeutschland galten sie meist als "Landesverräter".Der Militärhistoriker Gerd Ueberschär hat nun zusammen mit deutschen und russischen Wissenschaftlern einen hervorragenden Band herausgegeben, dessen 20 Beiträge den Forschungsstand zum NKFD neu definieren. Nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad regte Stalin selbst die Gründung eines "Volksfrontkomitees" an; gescheitert waren zuvor Versuche, politisch auf die deutsche Front einzuwirken. Kurzfristig war sogar eine deutsche Exilregierung geplant, wie der Politologe Helmut Müller-Enbergs in seinem Beitrag zeigt. Doch dieses Ziel gaben die Sowjets auf; so glich das Komitee bei seiner Gründung eher "einem Arbeiter- und Soldatenrat". Generäle gehörten zunächst nicht zum NKFD; höchster Offizier war ein Oberst.Deshalb bemühten sich sowjetische Funktionäre, prominente Heerführer zu gewinnen; im September 1943 gründeten Generäle den Bund Deutscher Offiziere (BDO). Sein Präsident, General von Seydlitz, schlug am 22. September 1943 vor, zum Kampf gegen Hitler eine Armee aus Kriegsgefangenen aufzustellen. Unbekannte Dokumente dazu veröffentlicht der russische Historiker Leonid Reschin in deutscher Übersetzung. Doch Geheimdienst-Chef Berija und Stalin waren gegen eine solche Verstärkung der Roten Armee. So beschränkte sich das NKFD auf Propaganda an der Front und in den Gefangenenlagern. Gegen fanatisierte Nazis unter den Kriegsgefangenen hatten freilich die Männer von NKFD und BDO mit ihrem "nüchternen Patriotismus", so der russische Historiker Arkadij Krupennikow, keine Chance; sie blieben wie alle anderen Widerstandsgruppen eine "Mini-Minderheit", berichtet der Zeitzeuge Willi Belz.Hitler ließ den BDO-Präsidenten General Seydlitz in Abwesenheit zum Tode verurteilen. Und als Seydlitz sich nach dem Krieg weigerte, in die DDR zu gehen, verurteilte ihn ein sowjetisches Gericht zu 25 Jahren Haft; erst 1955 entließ man ihn. Bis heute sind das Nationalkomitee "Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere umstritten. Der Widerstands-Fachmann Peter Steinbach zeigt in diesem Band, wie die Geschichte beider Organisationen zu antikommunistischer Polemik benutzt wurde. Konservative diffamierten und diffamieren die bewußte Entscheidung der Soldaten gegen Hitler als "Kameradenverrat". Die Männer vom NKFD seien keine Widerstandskämpfer, lautet das Argument. Damit würden ehemalige Wehrmachtssoldaten ihr Fehlverhalten während des Krieges rechtfertigen, argumentiert Peter Steinbach, Doch die bis heute oft als "Verräter" verfemten Männer der Bewegung "Freies Deutschland" hatten ihr patriotisches Bekenntnis schon im ersten Manifest formuliert: "Für Volk und Vaterland. Gegen Hitler und seinen Krieg!"Gerd R. Ueberschär: (Hrsg.) Das Nationalkomitee "Freies DeutschIand und der Bund Deutscher Offiziere. Fischer Taschenbuch 12633 Frankfurt/Main 1996. 304 Seiten, 24,9O Mark. +++