Tschechien untersucht Verbrechen an Deutschen: Ein Kreuz für die Opfer von Dobronin

BERLIN. 65 Jahre lang wurde das Thema beschwiegen. Jetzt beginnt Tschechien, sich mit den Verbrechen auseinanderzusetzen, die die Vertreibung der Deutschen unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg begleiteten. Den Anfang machte im Frühjahr ein erschütternder Film des Regisseurs David Vondracek mit dem provokativen Titel "Töten auf Tschechisch", der inzwischen auch im deutschen Fernsehen lief. Derzeit berichten die Zeitungen ausführlich über ein Massengrab, das in der Nähe der mährischen Gemeinde Dobronin (Dobrenz) gefunden wurde.Drei Millionen VertriebeneUnbekannte haben zu Wochenbeginn ein drei Meter hohes Holzkreuz neben dem Gräberfeld errichtet. In der Nacht vom 19. auf den 20. Mai 1945 sollen in der kleinen Gemeinde Dobronin nahe Jihlava 15 Deutsche, zumeist Bauern, mutmaßlich von offenbar betrunkenen tschechischen Revolutionsgarden ermordet und in einem Massengrab verscharrt worden sein. Die tschechische Kriminalpolizei ermittelt seit September vergangenen Jahres, doch erst jetzt erregt der Fall größeres öffentliches Aufsehen.Er registriere eine sprunghaft ansteigende Welle des Interesses, sagte der Ermittler Michal Laska der Zeitung Hospodarske noviny. Es sei nicht erfreulich, aber wichtig, die Wahrheit herauszufinden. "Ich begrüße es, dass wir darangehen, die weißen Flecken in unserer Geschichte zu füllen", sagte er. Per Dekret hatte der tschechoslowakische Staatspräsident Edvard Benes als Reaktion auf die Nazi-Verbrechen verfügt, dass die drei Millionen Deutschen auf tschechischem Staatsgebiet das Land zu verlassen hätten. Im Potsdamer Abkommen sanktionierten die Alliierten diese Politik. In der Region Jihlava, einer deutschen Sprachinsel auf der böhmisch-mährischen Höhe, wurden die Vorgaben vollständig umgesetzt.Die sterblichen Überreste von sechs Menschen konnten in Dobronin bislang exhumiert werden. Zur Identifizierung der Opfer forderten die Behörden Akten aus deutschen Archiven an. Wo es möglich ist, werden auch genetische Vergleiche mit in Deutschland lebenden Verwandten herangezogen. Einer der Tatverdächtigen sei noch am Leben, informierte Laska. Doch der 82-jährige wolle sich an nichts erinnern.Die Ermittlungen hatten vor einem Jahr der tschechische Journalist Miroslav Mares von der lokalen Tageszeitung Denik und die deutsche Autorin Herma Kennel mit einer Strafanzeige gegen Unbekannt in Gang gebracht. Die Schriftstellerin berichetete zuvor über die Vorfälle aus den Erinnerungen ihrer Verwandten in ihrem Buch "Bergersdorf". Eine tschechische Historikerkommission bezifferte die Zahl der offiziell als vermisst geltenden Deutschen auf 20 000 bis 40 000. Der 47-jährige Vondracek arbeitet seit geraumer Zeit an einer zweiten Dokumentation mit dem Arbeitstitel "Sag mir, wo die Gräber sind".