Türkei: Der Apokalyptiker an Erdogans Seite
Er ist einer der schillerndsten Medienmenschen der Türkei – und ein ausgewiesener Verschwörungstheoretiker. Er vermutet hinter den landesweiten Protesten gegen die Regierung des konservativ-religiösen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Koalition der jüdischen Zinslobby, der CIA und der BBC, angeführt von der deutschen Lufthansa: Yigit Bulut, 41 Jahre alt, geschieden, Finanzexperte, Fernsehtalkmaster und Zeitungskolumnist, wurde vergangene Woche zum neuen ökonomischen Chefberater Erdogans berufen. Seither rätseln politische Beobachter in der Türkei, ob ihr Ministerpräsident womöglich den Kontakt zur Realität verloren hat.
Bulut galt bis vor wenigen Jahren als beinharter Kemalist und scharfer Erdogan-Gegner. Noch 2008 hatte der aus dem westtürkischen Edirne stammende Absolvent der französischen Elite-Uni Sorbonne davor gewarnt, dass die islamistische AKP das Land auf den gleichen Weg in den Polizeistaat führe wie Hitler einst Deutschland. Als er nun plötzlich im innersten Zirkel des Regierungschefs auftauchte, erinnerten Kommentatoren jedoch daran, dass Bulut sich als Chefredakteur der regierungsnahen Nachrichtensender Habertürk und Kanal-24 schon länger als glühender Erdogan-Apologet erwiesen habe.
Tod durch Telekinese
Unmittelbar nach seiner überraschenden Ernennung gab Yigit Bulut der regierungsnahen Zeitung Yeni Safak ein Interview, in dem er erneut ominöse Mächte für die Proteste im Gezi-Park verantwortlich machte. „Die globale Koalition und ihre Helfer im Land wollen nicht, dass Ministerpräsident Erdogan im Amt bleibt“, sagte er und behauptete, dass die Lufthansa den Aufruhr steuere, weil sie durch Erdogans Plan, in Istanbul den weltgrößten Flughafen zu bauen, ihr Drehkreuz Frankfurt bedroht sehe. Überhaupt seien Deutschland und England die Urheber der Unruhen. Auf dem Höhepunkt der Protestwelle im Juni hatte Bulut sogar von „einer andauernden Operation, Erdogans Tod durch Telekinese und andere Ferneinflüsse herbeizuführen“ gesprochen.
Das klingt verrückt? Das ist verrückt. Inzwischen hat Yigit Bulut auch eine Theorie, warum der Westen sich gegen Erdogan verschworen habe. „Zuerst wollen sie Tayyip Erdogan stürzen, dann die Regierungspartei AKP und schließlich das alte System wieder einführen“, sagte Bulut im Interview und bezeichnete den Sturz Mohammed Mursis in Ägypten als Vorspiel dazu. „Die Islamische Union hatte zwei Säulen: die Türkei und Ägypten. Eine Säule haben sie zerbrochen. Davon profitiert vor allem Israel.(…). Das nächste Ziel ist deshalb die Türkei.“
Der apokalyptische Ton, der auch Erdogans Reden zunehmend auszeichnet, lässt türkische Kommentatoren erschauern. Buluts Ernennung, schreibt der prominente Linke Elcin Poyrazlar im türkischen Internetportal T-24, sei ein Menetekel der „ernsten Folgen für die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes, falls sich die Überzeugung breitmacht, dass Erdogan in einer dunklen Phantasiewelt lebt“.