Ultramar

Nie hatte die Welt ein Reich wie das spanische gesehen. Erst im 15. Jahrhundert war es entstanden, als Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragonien geheiratet hatten; und durch Heiratspolitik wuchsen die Gebiete in Europa unaufhörlich weiter. König Karl I. (1516 56) war als Karl V. zugleich Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen, Ungarn und Neapel, er beherrschte Mailand, Burgund, die Niederlande und zahllose weitere Gebiete. In seine Regierungszeit fällt die Eroberung der Neuen Welt: 1519 war Cortés nach Mexiko, 1535 Pizarro nach Peru vorgedrungen, und Amerika von Kalifornien bis Feuerland wurde spanisch. Sein Sohn Philipp erwarb nicht nur die nach ihm benannten Philippinen hinzu, sondern verleibte sich auch das benachbarte Portugal und damit das einzige andere Kolonial-Imperium ein, das hinzubrachte, was Spanien noch fehlte: Brasilien, die Kontrolle der afrikanischen Küste, Ceylon, Oman, Malakka, Formosa und, am wichtigsten, die Gewürzinseln.Doch noch zu seinen Lebzeiten begann der langsame Niedergang. Holland fiel ab und begann, Portugals Handelsprivileg mit Asien zu untergraben. England vernichtete die Armada und schickte seine Piraten los, um die spanischen Gold- und Silberflotten in der Karibik abzufangen. Frankreich verdrängte die Habsburger vom spanischen Thron und zwang diesem die eigene Herrscherfamilie auf, die Bourbonen. Und als Napoleon in Spanien einfiel, nutzten die vier Vizekönigreiche in Amerika die Gelegenheit, sich in langen Kriegen selbständig zu machen.Als Spanien die abgebildete Briefmarke 1875 mit der Inschrift "Ultramar" herausbrachte, als geböte es noch über die Länder jenseits des Meeres schlechthin, war nur noch ein kläglicher Restbestand vorhanden: Cuba und Puerto Rico in Mittelamerika gehörten dazu, die Philippinen in Ostasien und Guam im Stillen Ozean. Das Ende dieses Restreichs kam 1898, im Spanisch-Amerikanischen Krieg. Schon längst hatten die USA ein Auge auf diese Inseln geworfen. Den Vorwand, sie einzukassieren, lieferte die Explosion eines amerikanischen Schiffes im Hafen von Havanna. Auf nennenswerten spanischen Widerstand trafen die daraufhin einrückenden US-Truppen nicht.Am meisten von allen spanischen Kolonien vernachlässigt worden war Guam. Monatelang hatte dort kein Schiff mehr angelegt, und dem spanischen Gouverneur war darum unbekannt, daß sein Land sich im Kriegszustand mit den USA befand. Als das amerikanische Kanonenboot "Charleston" erschien, jubelte die ganze Insel über den Besuch, und als es zu feuern begann, ließ der Gouverneur den vermeintlichen Begrüßungssalut höflich erwidern. Kurz darauf fand er sich an Bord der Charleston als Kriegsgefangener wieder. So endete das Reich, in dem die Sonne nicht untergegangen war.