Venedig war seine Wahlheimat. Und auch fast 60 Jahre nach seinem Toderzielen die phantastischdekadenten Plissee-Gewänder des Universalkünstlers Mariano Fortuny hier noch ihre ganze Verführungskraft: Im Paradies der Fältchen

Unter der venezianischen Balkendecke im alten Palazzo streut das Licht schmetterlingsleichter textiler Leuchten milde auf Seide und Samt, die sich zu Kissentürmen und Stoffgebirgen auf antiken Truhen und Bänken stapeln. Heikle Plissee-Hemden und zierlich gefältelte Endlosgewänder in köstlichen Farben hängen auf Stummen Dienern, im mondblassen Licht schimmern die Perlen an ihren Nähten wie feuchte Tautropfen.Der Schauraum und zugleich eines der fünf Geschäfte von "Venetia Studium" in der märchenhaften Stadt am Canal Grande ist ein immerwährender üppiger Gabentisch und eine einzige Versuchung für jede Venedig-Besucherin, sich lustvoll und mit Genuss durchzufummeln, jedes Täschchen, Tüchlein, alles aus der Auslage zu zerren und sämtlichen butterweichen Fältchen nachzuspüren.Sensiblen Naturen schwinden im Angesicht der reinseidenen Roben im Stil griechisch-antiker Chitons schon mal die Sinne vor Glück: Dahinein gehüllte Frauen gleichen nämlich vom Himmel gefallenen Rauschgoldengeln. Zu ihren Füßen läuft das Gewand in eine Art Fächer aus. Mariano Fortuny hat diese phantastischen Plissiergewänder schon 1907 entworfen. Inzwischen fertigt sie das Unternehmen "Venetia Studium" nach Maß. Man trägt sie nackt und am besten im Stehen. Schwitzen und sitzen darf man in ihnen nämlich nicht. Das nehmen Seide und Fältchen krumm.Der spanische Maler, Fotograf, Textilgestalter und Bühnenbildner Mariano Fortuny ist bald schon 60 Jahre tot, und der Palazzo Orfei, heute Palazzo Fortuny in San Marco, in dem er seit Anfang des letzten Jahrhunderts lebte, lag lange in einer Art Dornröschenschlaf. Wem es dennoch gelang, hineinzuschlüpfen, der konnte noch originale Lampen Fortunys finden, Wandbehänge, Gemälde und ein paar märchenhafte Gewänder, an denen der Zahn der Zeit nagte. Ein verwunschener Ort.Jetzt zeigt der Palazzo Fortuny, der zugleich das städtische Fortuny-Museum ist, bis in den Hochsommer hinein eine Ausstellung der belgischen Papierkünstlerin Isabelle de Borchgrave. Die hat mehr als 80 Kleider im Stil Mariano Fortunys geschaffen. Hauchzarte plissierte Schleier werden von ihr derart behandelt, dass daraus lauter deliziöse Augentäuschungen werden. Und nur wer nahe genug an die Gewänder herantritt, sieht, dass sie statt aus Seide aus allerfeinstem, Kleenex-artigem Papier sind.Isabelle de Borchgrave, deren lebensgroße, raschelnde Kleider-Objekte hinter Glas schon eine Weile die Wände der Bar des Hotels Cipriani auf Giudecca schmücken, hat auch gleich noch den Museumsshop im Palazzo mit allerlei Papierpreziosen aus der Welt des Mariano Fortuny (1871-1949) gefüllt: aufklappbare kleine Schrankkoffer mit Laden, auf denen Glitzerknöpfe stecken, Fortuny-Püppchen und freche Pop-Up-Bücher. Alles aus Papier, versteht sich.Fortuny war eine Art Magier seiner Zeit, dessen Strahlkraft noch heute wirkt. Er wurde in Granada geboren, darum ziert auch das Motiv des Granatapfels manchen seiner Stoffe. Marcel Proust hat ihn sehr verehrt. Seinerzeit, in den 1920er-Jahren trugen die eleganten Damen von Welt seine verführerischen Delphos-Roben: Isadora Duncan, Lillian Gish, Gloria Vanderbilt, Peggy Guggenheim. Und die unvergleichlichen Seidenlampen Fortunys kann man heute sogar aus Glas bekommen. Sie sind allerdings nur eine grobe Kopie des seidenen Originals, die auf Murano hergestellt werden, der Laguneninsel, auf der venezianisches Glas in jede erdenkbare Form gebracht wird.Und die alte Manufaktur Mariano Fortunys auf der Insel Giudecca, wo auch das Hotel Cipriani ist, die gibt es immer noch. Mit dem Familienunternehmen "Venetia Studium" hat sie nichts zu tun. Wer den Schauraum ansehen möchte, sollte vorher einen Termin vereinbaren. Am liebsten möchte schließlich jeder in Venedig seinen Anteil am Allroundkünstler Fortuny haben. Da kracht es schon mal.Lino Lando von "Venetia Studium" war gerade mal 17 Jahre jung, als er nach des Künstlers Tod das erste Mal den Palazzo Fortuny betrat, ein Museum inzwischen. Ein trauriger Ort, denn Fortunys seidene Lampen zerfielen langsam zu Staub. "Dort begann meine Liebe zu den Dingen", erinnert sich Lando. 1984 begründete er "Venetia Studium". Rezepte des großen Meisters gab es allerdings nicht. Es musste probiert werden. Immer wieder. Und Lino Lando reiste ganz romantisch auf Fortunys Spuren bis nach Asien. Mittlerweile organisiert sein Sohn Matteo Verkauf und Vertrieb, und Luca widmet sich konzentriert der Produktion der seidenen Fortuny-Lampen: Wie schimmernde Drachen schaffen sie eine unvergleichliche Atmosphäre, tauchen Häuser auf der ganzen Welt in märchenhaftes orientalisches Licht, finden sich an den verschiedensten Orten in Venedig. Und die berühmte Delphos-Robe, die gibt es in sagenhaften 76, immer in Maßanfertigung. Auch die Stoffe sind eine wahre Pracht: Tulipani, Turchino oder Trifoglio heißen ihre Muster. Lino Lando lässt 700 Jahre alte venezianische Muster wiederaufleben, längst haben sich seine eigene Ideen in der Fortuny-Welt verselbstständigt.In fünf Läden im Herzen Venedigs kann der Besucher in der Fortuny-Welt schwelgen. Fast alles, was man dort kaufen kann, ist aus Seide und Samt, die Beletage im Palazzo Zuccato ist wie geschaffen zur richtigen Inspiration. Dort hängen sogar ein paar Originale aus Mario Fortunys eigener Werkstatt, waschechte Antiquitäten, Reisemitbringsel aus Asien und dem Orient sowie ein Wurf kostbarer Stoffe mit Granatapfelmotiven aus Lino Landos kreativer Werkstatt.------------------------------Fortuny in VenedigDie Ausstellung "Un Mondo Di Carta. Isabelle de Borchgrave trifft Mariano Fortuny" ist bis 21. Juli zu sehen im Museo Fortuny, San Marco 3958 (Vaporetto-Haltestelle - Linie 1 - Sant' Angelo), Di-So 10-18 Uhr.www.museiciviciveneziani.itwww.isabelledeborchgrave.comVenetia Studium, San Marco 2425, Telefon: 0039/041/52 36 953. www.venetiastudium.comFortuny Tessuti Artistici, Giudecca 805, Fondamenta San Biagio, Tel.: 0039-041-522 40 78. Garten und Showroom können nach Anmeldung besichtigt werden.www.fortuny.comFortuny Bar im Hotel Cipriani, Giudecca 10, www.hotelcipriani.com------------------------------Fotos :Besonders geeignet für Stehempfänge: das berühmte Delphos-Gewand, dessen hauchzart gefältelter Seide Sitzen und Schwitzen so gar nicht bekommt.Schöner Hängen: Die filigrane Fortuny-Hängelampe aus handbemalter Seide, verziert mit Murano-Perlen, baumelt selbstverständlich auch an reinseidenen Schnüren von der Zimmerdecke.