Verkehrssicherheits-Bilanz: Wieder mehr Unfallopfer im Berliner Straßenverkehr
Berlin - Für Erstklässler gibt es auffällige Mützen, für Autofahrer Aufkleber – diesmal mit der Bitte „ABC-Schützen schützen“. Was sich am Mittwoch in der Verkehrsschule Wilmersdorf abspielen wird, ist einer der angenehmeren Politikertermine. Eingerahmt von lachenden Kindern und Polizisten wird Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Startschuss für die diesjährigen Aktionen für sicherere Schulwege geben. Dabei gibt die Berliner Verkehrssicherheits-Bilanz kaum einen Anlass dafür, fröhlich zu sein. Sein wichtigstes Ziel hat der Senat nicht erreicht. 2011 ist die Zahl der Unfallopfer sogar wieder gestiegen. Jetzt will der Senat gegensteuern.
„Wir bereiten jetzt das Verkehrssicherheitsprogramm 2020 vor. Es soll möglichst noch in diesem Jahr beschlossen werden,“ sagte Daniela Augenstein, Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). Der Titel lautet: „Berlin sicher mobil“.
40 tote Fußgänger und Radler
Der Plan widmet sich vor allem den am stärksten gefährdeten Gruppen. Von den 54 Menschen, die im vergangenen Jahr in Berlin bei Unfällen starben, waren 29 zu Fuß und elf per Rad unterwegs. So lautet ein Motto der Planer: Tempo ’runter! Vorgesehen ist die Arrondierung von Tempo-30-Bereichen. Das heißt: Wo es zwischen solchen Abschnitten Lücken mit Tempo 50 gibt, sollen ebenfalls Tempo-30-Schilder aufgestellt werden.
Arbeitsauftrag Nummer zwei: noch mehr Radverkehrsstreifen! Radler sind sicherer unterwegs, wenn sie sich im Blickfeld der Kraftfahrer bewegen. Ziel Nummer drei: noch mehr Zebrastreifen! Seit 2001 hat der Senat fast 300 neue Überwege pinseln lassen, damit soll es weitergehen. Es soll auch mehr Mittelinseln geben und mehr „Gehwegvorstreckungen“ – an diesen Stellen wird der Bürgersteig bis an die Fahrbahnkante vorgezogen, damit die Fußgänger den Verkehr gut beobachten können und besser gesehen werden.
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Das neue Senatsprogramm sieht außerdem eine „Ausweitung, laufende Erneuerung und Modernisierung“ der Verkehrsüberwachung vor – also mehr oder modernere Blitzer. Geplant ist auch, parkende Autos und den Lieferverkehr stärker ins Visier zu nehmen.
Auffällig ist, wie viel Raum das Programm der Verkehrs- und Mobilitätsbildung gibt. So soll in Grundschulen das „Frühradfahren“ geübt werden, auch für die Klassen 5 bis 8 sowie 9 bis 11 soll es neue Unterrichtskonzepte geben. Trainingsangebote für Senioren sind ebenfalls vorgesehen, denn alte Menschen werden besonders häufig zum Verkehrsunfallopfer.
„Es geht nicht nur um Infrastruktur, auch um Verkehrsverhalten“, sagte Augenstein. Bei der Einhaltung der Regeln liegt noch viel im Argen. Von den 29 Fußgängern, die im vergangenen Jahr im Berliner Straßenverkehr tödlich verunglückt sind, haben laut Polizei 25 ihren Unfall verursacht oder mitverursacht. Bei den Radfahrern war das anders: An sechs der elf Todesfälle 2011 waren abbiegende Lkw- und Autofahrer schuld.
Schönes Wetter = mehr Verletzte
Mit dem Plan schreibt der Senat das erste Verkehrssicherheitsprogramm fort. Dessen wichtigstes Ziel war anspruchsvoll: 2010 sollte die Zahl der schwer Verletzten und Toten um 30 Prozent niedriger sein als 2004. Tatsächlich sank die Zahl aber nur um neun Prozent. 2011 nahm sie wieder zu – woran laut Senat vor allem das gute Wetter schuld war. „Es führte dazu, dass mehr und oft auch schneller gefahren wurde“, sagte Augenstein. In diesem Jahr kamen in Berlin bisher 25 Menschen bei Unfällen ums Leben, so viele wie im selben Zeitraum 2011. Dazu gehörten zwölf Fußgänger und sechs Radler.
Bei schmalen Radverkehrsstreifen dürfe es nicht bleiben, sagte Bernd Zanke vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). „Wir fordern breite Radspuren.“ Das Programm biete wenig Neues, so Jörg Becker vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC). Er hält es für sinnvoller, den Fahrradverkehr von den großen in kleine Straßen zu verlagern. „Wir brauchen ein separates Netz von Fahrradstraßen.“