Viele halten Reinhard Schult für einen Aussteiger - doch er mischt weiter in der Politik mit: "Das Neue Forum ist faktisch nicht auflösbar"
FREDERSDORF. Eigentlich sollte es die Partei Neues Forum schon gar nicht mehr geben. Und eigentlich gilt Reinhard Schult, glaubt man Berichten in den Medien, als Aussteiger. Doch das sind "Missverständnisse", betont der 48-Jährige, der die wichtigste Oppositionsgruppe der DDR vor gut einem Jahrzehnt mitbegründete und heute so etwas wie ihr heimlicher Vorsitzender ist. Schult ist über die Berichte verärgert. Oberflächlich betrachtet könnten sie gleichwohl stimmen. Der Landesverband Thüringen, dem bundesweit die meisten Mitglieder der auf rund 400 Aktive arg geschrumpften Partei angehören, hatte tatsächlich die Auflösung beschlossen. Und wer Schult an seinem Wohnsitz - er ist vor einigen Jahren nach Fredersdorf in der Uckermark gezogen - zwischen all dem Geflügel, der Kneipe "Zur Linde" und den gepflegten Vorgärten besucht, kommt rasch auf den Gedanken, dass sich hier jemand aus der Politik verabschiedet haben muss. "Aber das Neue Forum ist faktisch nicht auflösbar", versichert der Mann in seiner ländlichen Arbeitskluft. Wenn ein Kreisverband bestehen bleibt, existiert laut Satzung auch die Partei weiter. "Da können die Thüringer beschließen, was sie wollen." Schult jedenfalls ist quer durch den Osten gefahren, um Mitglieder persönlich von der Zukunft der Partei zu überzeugen.Doch nicht nur im Neuen Forum mischt der einstige DDR-Staatsfeind munter mit: er sitzt im Gemeinderat, ist stellvertretender Bürgermeister in Fredersdorf und Mitherausgeber der Zeitschrift "Horch und Guck". Ins Dorfleben fühlt er sich längst integriert. Seine Ausdauer hat dazu beigetragen, dass man sich an das Neue Forum noch erinnert: Jetzt wird den Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs der mit 150 000 D-Mark dotierte "Nationalpreis" verliehen. Die von Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) gegründete Deutsche Nationalstiftung mit Sitz in Hamburg würdigt damit Mut und Zivilcourage der rund 30 Gründer. Jene "Andersdenkenden", die sich am 9. September 1989 im Garten von Katja Havemann in Grünheide (Oder-Spree) trafen, um die Bürgerbewegung ins Leben zu rufen, werden am 26. Mai in der Berliner Gethsemanekirche geehrt. Zwei Monate nach seiner Gründung hatte das Neue Forum mehr als 200 000 Unterschriften gesammelt. Zu den wichtigsten Köpfen zählten damals Bärbel Bohley, Jens Reich, Joachim Gauck, Sebastian Pflugbeil, Werner Schulz, Ingrid Köppe, Rolf Henrich. "Viele schmücken sich noch heute mit unserem Namen", erzählt Schult, der dem Berliner Parteivorstand angehört, "aber sie sind gar nicht mehr in der Partei." So wurden die beiden prominentesten "Revolutionsmütter", wie Bohley und Havemann oft spöttisch genannt werden, aus der Mitgliederkartei gestrichen, "weil sie ihren Beitrag nicht mehr bezahlt haben". Der überzeugte Basisdemokrat Schult hält die Arbeit der Partei nach wie vor für notwendig, auch wenn sich die Themen inzwischen stark gewandelt haben. "Es hat sich aber nicht erübrigt, sich einzumischen." Die Abschaffung der Geheimdienste, die Erweiterung der Bürgerbeteiligung - dahinter stünden die Bündnisgrünen, zu denen viele frühere Forum-Mitstreiter wechselten, längst nicht mehr. Schult kann man mangelnde politische Konsequenz gewiss nicht nachsagen. Der gelernte Baufacharbeiter mit Abitur, der später sein Theologie-Studium abbrach, verkörpert wie kein Zweiter aus der DDR-Bürgerbewegung den Typ des "ewigen Oppositionellen". Dabei hat ihn das Landleben gemeinsam mit dem ehemaligen PDS-Vorstandsmitglied Karin Dörre in manchen Fragen auch versöhnlicher gestimmt. In Fredersdorf nahe Prenzlau, wo das Paar seit 1995 abends die Kneipe "Zur Linde" betreibt, zählen die beiden längst zur Prominenz. Ihr Engagement macht sie aber auch zum Feindbild der rechten Szene. Der frühere Stasi-Auflöser wurde im August 1997 Opfer eines Überfalls von rund 30 kahlrasierten Jugendlichen aus Nachbardörfern, die ihn nach einem Dorffest auf seinem Grundstück zusammenschlugen. "Einige Täter haben wir dann selbst ermittelt", erzählt er. Insgesamt fünf junge Männer wurden letztlich angeklagt. Noch heute kommen, wie Schult vermutet, hin und wieder junge NPD-Kader in die "Linde", um für Verunsicherung zu sorgen. Allerdings vergeblich. Karin Dörre, die wegen des unaufrichtigen Umgangs der SED-Erben mit ihren enttarnten Stasi-Spitzeln die PDS verließ, arbeitet inzwischen im "Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus" für die Kreise Barnim und Uckermark. Gerade die vielerorts braune Jugend zählt auch für Schult zu den Themen, denen sich die Partei stärker widmen müsse. Das Neue Forum jedenfalls wird weitermachen.BERLINER ZEITUNG/GEZETT Reinhard Schult, den "ewigen Oppositionellen", hat das uckermärkische Fredersdorf nicht zum Aussteiger gemacht.