Volker Hesse verlässt das Gorki-Theater nach politischen Divergenzen mit Thomas Flierl: Ich muss nicht betteln

Herr Hesse, Ihr Vertrag als Intendant des Maxim-Gorki-Theaters endet 2006, Sie verlängern ihn nicht. Warum geben Sie auf?Wir sind im Moment in einer guten Situation. Wir registrieren eine innerbetriebliche Energie, Erfolg beim Publikum, aber wir sind auch unterfinanziert. Seit diesem Jahr fehlen uns 400 000 Euro, das ist viel bei einem Etat von 8,3 Millionen, wenn man weiß, welche Kosten im Theater feststehen. Wir haben die Kürzungen akzeptiert, weil sie durch andere organisatorische Modelle kompensiert werden sollten, etwa durch ein neues Werkstattkonzept. Aber die Senatsverwaltung hat kein Werkstattkonzept. Ich habe im technisch-administrativen Bereich elf Stellen abgebaut, wir sind nur noch 159 Mitarbeiter, und ich hatte das Haus schon schlank übernommen. So etwas kann man nicht endlos weiter betreiben, dann funktioniert Repertoire-Theater wie dieses nicht mehr. Finanzielle Garantie konnte mir der Kultursenator nicht geben. Im nächsten Doppelhaushalt droht die nächste Sparrunde.Aber deswegen gehen Sie nicht.Senator Thomas Flierl wirft mir vor, dass ich mich seiner Verwaltungsreform widersetzt hätte. Er wollte aus den Verwaltungen des Gorki-Theaters und des Deutschen Theaters eine Zentralverwaltung herstellen. Beide Häuser haben das geprüft und verworfen. Das brächte fast keine Einsparung - in unserem Haus vielleicht eine von fünf Stellen. Es sei denn, man macht das Gorki-Theater zu einer DT-Spielstätte. Das sparte den Intendanten.Das würde sparen. Wie laufen solche Vertragsverhandlungen ab? Flierl fragt: Wollen Sie noch? Sie antworten: Ich brauche wieder mehr Geld. Er entgegnet: Hab ich nicht. Und Zürich ist doch auch schön. Das sagt er nicht.Er hat auch richtige Argumente?Es gibt ernsthafte künstlerische Divergenzen. Herr Flierl stellt offenbar in Abrede, dass ich dem Ost-Erbe des Hauses mit dem nötigen Verständnis gegenüber stehe. Dass ich die politische Funktion des Theaters in den achtziger Jahren genügend würdige. Mein Verweis auf die Werkstattinszenierung über 40 Jahre DDR im nächsten Spielplan, dass wir hier sehr differenziert mit Geschichte an diesem Ort umgehen, findet Flierl angreifbar. Es hat ihm sehr missfallen, dass DDR-Geschichte bei uns als Glaubensbekenntnis läuft, dass wir sie in dem Zyklus "Glauben Zwei" abhandeln. Was geht ihn das an? Ach, er streitet mit mir auch über das Banken-Stück. Flierl hat es vorgestern erst gesehen und es hat ihn bestärkt in der Meinung, dass es hier so nicht weiter gehe. Er fand die Wirkung des Abends fatalistisch: die Revolution zerbrösele, die Wirkung des Abends sei, dass man Veränderungsenergie bezweifele. Mit so einer Denkweise könne er nicht umgehen. Man könnte das als liebevolle Zensur bezeichnen. Castorf und Peymann würden sich das verbitten. Warum beugen Sie sich Flierls ideologischen Argumenten?Ich habe ihm geantwortet, dass er auch ein Stück wie "Dantons Tod" tief verachten müsste. Aber wenn meine Nicht-Ost-Beziehung, meine Art, ein aktuelles Thema zu behandeln, meine Art, ökonomische Forderungen zu stellen, wenn das alles mit den Auffassungen des Senators unvereinbar ist, kann ich hier nicht fruchtbar weiter arbeiten. Ich muss nicht betteln um eine Weiterbeschäftigung. Ein Theater und sein Kultursenator sollten eine gemeinsame Energie entfalten. Und es ist das Recht des Senators zu sagen, dass er ein anderes Team will. Ist es möglich, dass Sie Entgegenkommen in zu viele Richtungen gezeigt haben?Es gab tatsächlich Suchbewegungen. Mein erstes Jahr war publikumsmäßig ein Einbruch. Ich hatte mit mehreren neuen Stücken nicht die nötige Resonanz. Dann habe ich tatsächlich etwas anderes gemacht, ein paar bekannte Stücke auf die Bühne gebracht. Kurswechsel, ja. Aber in dieser Spielzeit kam der Erfolg. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?Ich fühle mich schlecht behandelt, ja. Ausgerechnet jetzt, wo wir hier Tritt fassen, wo wir eine gute Spielzeit abschließen, nicht nur besuchermäßig. Ausgerechnet jetzt, wo wir unser Profil deutlicher zeigen, werden wir gestoppt. Fühlen Sie sich denn wohl in Berlin? Die Stadt soll beliebig, ignorant, ja abweisend wirken auf fremde Theatermacher. Ich komme tatsächlich aus anderen, südlichen Gegenden und wollte mir meine Wärme und Sinnlichkeit vom kalten preußischen Wind nicht nehmen lassen wollte. Mit dem Vorhaben bin ich nicht gescheitert, gerade im "Bankenstück", das immer ausverkauft ist, spüre ich diese Kraft und Energie - die Leute johlen. Mir tut es leid, dass diese selbstbewussten, vitalen Schauspieler sich wieder anders orientieren werden. Ich wollte ganz klar weiter machen. Was sagt das Ensemble? Man hört, es sei zerstritten, Künstler und Techniker harmonierten nicht.Auch aus der Senatskulturverwaltung heißt es, die Stimmung sei schlecht. Das macht mich gereizt, denn es ist grundfalsch. Es gibt Abende, da schuften alle gemeinsam bis zur letzten Minute und liegen sich dann glücklich in den Armen. Und wie kann eine Senatsverwaltung, die uns anhält, jede frei werdende Stelle nicht neu zu besetzen, eine Stimmung monieren? Die beschlossen hat, dass die Techniker ihre Arbeit jetzt in 35 Stunden schaffen müssen und sie nur noch dafür bezahlt. Wenn da Unzufriedenheit aufkommt, wen wundert das? Kann es sein, dass Flierl den Riss im Ensemble zwischen den Alten und Jungen meint?Das ist am Anfang schwierig gewesen, da prallte alte und neue Schule aufeinander. Aber es ist Zeit vergangen, es wurden geschichtliche Erfahrungen gemacht. Viele haben voneinander gelernt. Das gehört zu dem Positiven, was ich hier erlebt habe. Es haben Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Denkweisen, Kunstmethoden zusammengearbeitet. Inzwischen überwiegen Aufführungen, wo die Leute gemeinsam hinter dem stehen, wofür sie gearbeitet haben. Sehen Sie eine Zukunft für das Ensemble-Theater? Diese Wärme zwischen Schauspielern und Publikum, von der ich sprach, geht auf Dauer nur, wenn Teams auf der Bühne sind. Ich habe mich entschlossen, nicht nach den A-Schauspielern zu suchen. Das Ensemble wird inzwischen auch von jüngeren Leuten getragen, die ich von der Schauspielschule engagiert habe. Gehen Sie nach Zürich zurück?Wie kommen Sie darauf? Ich habe lange dort gelebt und noch eine Wohnung da, aber Zürich ist natürlich im Vergleich zu Berlin die viel langweiligere Stadt.Aber was für ein angesehener Theatermacher Sie dort waren!Oh ja. Wenn ich durch die Zürcher Altstadt ging, hatte ich das Gefühl, als jubelten einem alle zu, sie sagten: "Ah, der Herr Hesse." Das passiert in Berlin nicht.Das Gespräch führten Ulrich Seidler und Birgit Walter.------------------------------Eine Karriere // Volker Hesse (59) inszeniert seit 1972. Er war Mitglied im Leitungsteam des Düsseldorfer Schauspielhauses und wurde mehrmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 1993 übernahm er mit Stephan Müller die Leitung des Zürcher Neumarkt-Theater, das er aus einer Existenzkrise zu internationalem Erfolg führte. 2001 löste er am Gorki-Theater den Intendanten Bernd Wilms ab. Der Vertrag läuft bis 2006 und wird nicht verlängert.Das Ensemble und die Mitarbeiter stellen sich in einem offenen Brief an den Senator ausdrücklich hinter Volker Hesse und können die Entscheidung nicht nachvollziehen.------------------------------Foto: In zwei Jahren ist er weg: Volker Hesse neben dem Intendantensessel des Maxim-Gorki-Theaters.