Vor der Biathlon-WM muss sich Oberhof mit seiner Stasi- und Dopingvergangenheit auseinandersetzen: Schweigen im Thüringer Wald
OBERHOF, 5. Februar. Es ist eine durchaus repräsentative Meinung, die ein Leser in der Zeitung Freies Wort aus Suhl dieser Tage kundgetan hat. "Stoppt diesen Unsinn", fordert er in dem Leserbrief. "Menschen, die vielleicht einmal einen Fehler in ihrem Leben gemacht, daraus gelernt haben, zum Teil schlimmer als einen Verbrecher öffentlich zu diskriminieren, kann doch nicht normal sein." Der Artikel hängt aus am Pressespiegel der Biathlon-WM. Ganz offiziell. Man weiß nicht, ob damit allen Seiten in der Debatte über Stasi-Mitarbeit ein Forum gegeben werden soll oder ob der Leserbrief nicht auch die Meinung der WM-Organisatoren widerspiegelt, wenigstens teilweise. Die große Masse im Freistaat sieht die WM böswilligen Anfeindungen ausgesetzt und unterstellt denen, die Aufklärung betreiben, "Menschenjagd". So auch der Präsident des Organisationskomitees, Ralf Luther, CDU-Landrat in Schmalkalden-Meiningen. Er nennt die Stasi-Debatte ein "gefundenes Fressen für die Medien". Erst auf Druck von Parteifreunden aus der Erfurter Staatskanzlei wurde er tätig. Das Organisationskomitee hat sich mit einer Reihe von Stasi-Vorwürfen auseinandersetzen müssen. Zuerst wurde die Berufung von Karl-Heinz Wolf angeprangert. Er sollte in Oberhof als Wettkampfchef die Geschäfte leiten. Wolf, früher Major der Nationalen Volksarmee, wird in Stasi-Unterlagen als IM Ernst geführt. Er trat zurück und übergab den Posten an den unverdächtigen, weil aus Bayern stammenden Norbert Baier. Wolf ist in Oberhof freilich nach wie vor dabei - "in beratender Funktion", wie es heißt. Man wollte nicht auf sein Know-how verzichten. Da ist man in Oberhof sehr pragmatisch. Im Grunde hat sich nur in der Sprachregelung etwas getan.Inzwischen wurden weitere IM als Mitorganisatoren der Weltmeisterschaft entlarvt, IMS Falun alias Hans Hartleb und IM Bussard (Herbert Jäger). Und es ging munter weiter. Das Magazin Spiegel nannte neue Personen. Es war nicht weiter schwer. Oberhof bietet belastete Personen zuhauf. Die Namen erfolgreicher Biathleten (Holger Wick, Matthias Jacob) fielen. In der Broschüre "Staatsplan Sieg - Die Instrumentalisierung des DDR-Wintersports am Beispiel Oberhof" wirft Autor Thomas Purschke den Biathlon-Machern am Rennsteig überdies systematisches Doping vor und legt dar, dass die Oberhofer Szene in ein Netz von Stasi-Spitzeln eingesponnen war. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit im Thüringer Wald habe kaum stattgefunden. Purschke forscht seit Jahren zu diesem Thema. Er wohnt im selben Ort wie Wolf (Steinbach-Hallenberg), was die Betroffenen besonders wurmt, da man die Schuld nicht auf Journalisten aus dem Westen schieben kann, sondern von einem Einheimischen attackiert wird. "Ich habe die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst, weil sonst keiner hinhört", sagt Purschke, "es geht um die Aufarbeitung des Hormondopings im Armee-Sportklub Oberhof und die Instrumentalisierung von Menschen." Er wehrt sich gegen den Vorwurf, den WM-Termin bewusst auszunutzen. "Das ist auch keine kommerzielle Sache", sagt er. Die Broschüre kostet 2,50 Euro und wird vom Erfurter Bürgerkomitee herausgegeben. Bei der Buchpräsentation am Montag schlugen die Wellen hoch. Teilweise wurde im Rathaus Suhl konstruktiv diskutiert, freilich waren auch Zwischenrufe wie der einer Ärztin zu hören, die sich darüber erregte, dass "diese Sauerei" so kurz vor der WM ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht wird, außerdem sei Doping in der DDR weit weniger verwerflich gewesen als anderswo, weil es eben systematisch betrieben worden sei. Purschke kennt diese Anfeindungen. "Lügenbaron" nannte ihn unlängst der Chef des Landessportbundes, Peter Gösel, und schob nach: "Wissen Sie, was man mit so einem wie Ihnen in meiner Heimatgemeinde gemacht hätte: Den würde man ersäufen." Bei der Veranstaltung bestätigten frühere Aktive den Betrug mit blauen Pillen aus dem VEB Jenapharm: Jürgen Grundler, Juniorenweltmeister 1976 mit der Staffel, sowie Henner Misersky, der sich als Langlauftrainer der Dopingpraxis verweigerte und dessen Tochter Anke Misersky (heute Harvey) 1992 olympisches Gold im Biathlon gewann. Der Thüringische Skiverband kündigte eine Untersuchung und Gespräche an - allerdings nach der WM. So recht mag man nicht daran glauben, ist doch das Kartell des Schweigens und Verdeckens in Oberhof recht mächtig. "In Oberhof sind diese Geschichten nicht unbekannt", sagt OK-Pressesprecherin Claudia Götze. "Das war bei uns kein Thema, aber wir haben erwartet, dass es kommt." Sie sieht sich in ihrer Arbeit durch die IM-Diskussionen gelähmt. Der größere Rest in Oberhof verfährt nach einer anderen Strategie. "Hier herrscht Entrüstung, dass das Thema wieder diskutiert wird; dass damit der WM geschadet wird." Zur Causa Wolf meint Götze, sie habe den Eindruck, die Leute in Oberhof würden trotzig zu ihm halten. Motto: Jetzt erst recht. "Wir haben die Vergangenheitsbewältigung noch nicht abgeschlossen." Sie meint das in einem allgemeinen Bezug. Doch für Oberhof und seine Sportelite von einst trifft das ganz besonders zu."Wir haben die Vergangenheitsbewältigung noch nicht abgeschlossen. " Claudia Götze, WM-Organisationskomitee.Foto: Antreten am Rennsteig: Zum Schneeschaufeln abkommandierte Bundeswehrsoldaten bei der Pistenpräparation am WM-Ort Oberhof.