Vor hundert Jahren promovierte die Physikerin Elsa Neumann an der Friedrich-Wilhelms-Universität: Das erste Fräulein Doktor in Berlin
Plötzlich war sie ein Medienstar. Ihr Name stand in allen Berliner Nachrichtenblättern. "Fräulein Doktor, wir grüßen Dich!", schrieb ein Redakteur der Vossischen Zeitung enthusiastisch, als Elsa Neumann ihre Doktorprüfung im Fach Physik abgelegt hatte. Zu ihrer Promotionsfeier am 18. Februar 1899 kamen alle, die in der Berliner Wissenschaft Rang und Namen hatten, darunter der prominente Physiker und spätere Nobelpreisträger Max Planck. Die erste weibliche Doktorin der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: Humboldt-Universität) galt als Sensation. Heute erinnert sich indes kaum noch jemand an das Fräulein Doktor. Um Elsa Neumann vor dem Vergessen zu bewahren, veranstaltete die Humboldt-Universität vergangene Woche zum hundertsten Jahrestag der Promotion ein Festkolloquium. "Elsa Neumann war eine Besonderheit", sagte Universitätspräsident Hans Meyer in seiner Begrüßungsrede. "Sie könnte unseren Nachwuchswissenschaftlern als Leitfigur dienen."Die junge Frau mußte sich ihren Doktortitel hart erkämpfen. Nicht die Physik bereitete der begabten Forscherin Schwierigkeiten, wie ihre anspruchsvolle Dissertation über "Die Polarisationscapacität umkehrbarer Elektroden" zeigt. Das Gesetz sah eine Hochschulkarriere für Frauen nicht vor. Frauen durften in Preußen zwar von 1895 an als Gasthörerinnen die Universität besuchen sofern es ihnen die Professoren gestatteten. Sie konnten aber kein Abitur machen. Ohne Abitur wurde jedoch kein Student zum Abschlußexamen zugelassen, ebensowenig zur Promotion. "Frauen waren daher auf Unterstützer angewiesen, die ihnen halfen, ihre gesellschaftlich gewollte schlechte Schulbildung zu kompensieren", betonte Annette Vogt vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte bei der Gedenkfeier.Elsa Neumann wurde schon als Mädchen von ihren Eltern gefördert. Aus einer reichen jüdischen Bankiersfamilie stammend, erhielt sie Privatunterricht in allen Fächern auch in Mathematik und Naturwissenschaften. So konnte sie später selbstbewußt an "Seine Exzellenz den Staatsminister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten" schreiben, daß sie nach dem Urteil all ihrer Lehrer "das Pensum eines Realgymnasiums bewältigt, zum Teil schon überschritten" habe. In dem Brief beantragte sie eine Sondererlaubnis, um ohne Abitur zur Promotion zugelassen zu werden mit Erfolg. Die Ressentiments gegenüber Frauen in der Wissenschaft blieben jedoch bestehen. Zum Frauenstudium befragt, hob sogar Planck hervor, daß "die Natur selbst der Frau ihren Beruf als Mutter und Hausfrau vorgeschrieben" habe. Ein Fall wie Elsa Neumann sei demnach "als Ausnahme zu betrachten". Was Frauen gegen Ende des 19. Jahrhunderts an einer Wissenschaftslaufbahn hinderte, erschwert ihnen auch heute noch die Karriere an der Universität. "Von einer fairen Verteilung der Chancen zwischen Mann und Frau sind wir im Jahr 1999 oft allzu weit entfernt", sagte Dagmar Schipanski, ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats und Kandidatin für das Bundespräsidentenamt. Sie hielt den Festvortrag bei der Jubiläumsfeier zu Ehren Elsa Neumanns. Zwar steige die Zahl der Studienanfängerinnen stetig. Unter Doktoranden, Habilitanden und Hochschullehrern seien Frauen aber deutlich unterrepräsentiert. Beispielsweise seien nur 11 Prozent aller deutschen Professoren weiblich, unter den Physikprofessoren liege der Frauenanteil bei nicht einmal einem Prozent. "Viele in unserem Land können sich auch heute kaum vorstellen, daß Frauen tatsächlich imstande sind, alle Funktionen in Wissenschaft und Gesellschaft auszufüllen", sagte Schipanski. Zu Elsa Neumanns Zeiten gab es an der Universität überhaupt keine weiblichen Lehrer oder Assistenten. Der Doktorin blieb nur ein Ausweg: Sie mußte Privatgelehrte werden. So mietete sie sich in einem chemischen Laboratorium ein, um dort in Eigenregie Experimente zur Elektrochemie zu machen. Ihre Forscherkarriere nahm allerdings schon bald ein jähes Ende. Im Juli des Jahres 1902, vier Wochen vor ihrem dreißigsten Geburtstag, fand ein Kollege Elsa Neumann tot im Labor. Sie hatte sich mit Blausäure vergiftet, vermutlich aus Unachtsamkeit. Berlins Wissenschaftler waren betroffen. Und die Zeitungen schrieben, sie habe mit ihrem Wesen "auch manchen Gelehrten" gewonnen, "der von der Frauenbewegung nicht viel wissen wollte".Zwei Jahre später stiftete Elsa Neumanns Mutter der Universität einen Preis zum Gedenken an ihre Tochter. Er sollte jedes Jahr für die beste Arbeit in Mathematik oder Physik überreicht werden. Bis die Inflation das Stiftungsgeld entwertete, wurde die Auszeichnung jedoch nur zwölfmal verliehen alle zwölf Preisträger waren Männer.