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Ein Reisender, irgendwo in einem nächtlichen Zugabteil im Rußland des vorigen Jahrhunderts, eröffnet seinen Mitreisenden, er sei jener Posdnyschew, der seine eigene Frau umgebracht habe.Das ist der Schockeffekt, den Leo Tolstoi an den Anfang der "Kreutzersonate" setzt, um dann Zeile für Zeile jenen Posdnyschew eine äußerst befremdliche, doch fanatisch verfochtene Lebensphilosophie entwickeln zu lassen. Der entlarvt sich als Patriarch und Sittenprediger, wettert gegen die "tierischen Triebe", die ihn zum Mörder herabgewürdigt hätten.Auf der Bühne des Schloßparktheaters hat der Schauspieler Walter Riss hinter einem schlichten Schreibtisch Platz genommen. Vor sich mehrere Bücher, darunter eine Bibel, die er bei Bedarf seinem Publikum entgegenstrecken wird. Unablässig dreht er einen silbernen Schreibstift zwischen den Fingern. Im grauen Anzug, mit leicht geöffnetem Binder gibt dieser Posdnyschew unvermittelt das Bild des "Schreibtischtäters". Ein Durchschnittsmensch, vielleicht ein Behördenangestellter. Riss spielte seinerzeit im Barlog-Ensemble, ging über mehrere Zwischenstationen an deutschen Bühnen nach Salzburg und widmete sich in den letzten Jahren intensiv dem Werk Tolstois. Unter dem Titel "Play Tolstoi" hat er die "Kreutzersonate" selbst für das Theater eingerichtet.Behutsam wird der Zuschauer in jenes Rußland geführt. Riss markiert nur andeutungsweise das Zugabteil, imaginiert sparsam die Mitreisenden, um sich dann ganz der Psychologie dieses Mannes zu widmen. Riss spürt der leidenschaftlich-raffinierten Argumentation dieses Mörders nach. Er folgt seiner aggressiven Rede, macht sich deren Pointen zu eigen. Doch selbst wenn sich die moralischen Erkenntnisse dieses Mannes selbst disqualifizieren, zu keinem Moment gibt Riss seine Figur preis.Ein spannungsvoller Theaterabend, belebt von einfühlsamer, doch kritisch-wacher Darstellungskunst. +++