WARTEN AUF DIE OSCAR-NACHT - Keisha Castle-Hughes ist 13 und als Hauptdarstellerin nominiert. Vera Hofmanova ist 85. Sie schrieb das Buch zum nominierten Film "Zelary".: "Ich bin eine sehr gute Zuhörerin"
BRÜNN, 26. Februar. Hollywood ist weit weg für Vera Hofmanova in Brünn. Aber bei der Oscar-Verleihung in der Nacht zum Montag wird es vielleicht heißen: "Und der Gewinner ist Zelary!" Dann ginge der Name des Dorfes um die Welt, von dessen Leben die 85-Jährige in ihren Büchern erzählt. Vor drei Jahren hat die pensionierte Lehrerin unter dem Pseudonym Kveta Legatova mit der Veröffentlichung ihrer Kurzgeschichten begonnen, die sie vor Jahrzehnten schrieb. Ihr Landsmann Ondrej Trojan hat eine davon verfilmt. Und die Liebesgeschichte zwischen einer Medizinstudentin und einem Waldarbeiter zur Zeit des Zweiten Weltkrieges ist in der Kategorie des besten ausländischen Films für den Oscar nominiert.Atemberaubende SpracheBeim Besuch am Stadtrand von Brünn öffnet die Autorin selbst die Tür zur kleinen Wohnung. Das Gehen fällt ihr schwer, aber der Blick ist hellwach. "Seit fünfzig Jahren habe ich kein Deutsch mehr gesprochen", entschuldigt die alte Dame die gelegentliche Suche nach dem richtigen Wort. "Sie können über mich schreiben, was Sie wollen, meinetwegen auch, dass ich zwei Köpfe habe. Aber mein Deutsch müssen Sie korrigieren!", sagt die ehemalige Lehrerin für Tschechisch, Deutsch, Mathematik und Physik. Leser und Literaturkritiker in Tschechien bewundern ihre äußerst präzise Sprache. "Atemberaubende, naturalistische und schöne Lektüre von Anfang bis Ende" seien diese balladenhaft düsteren Geschichten aus den Beskiden, schrieb die Tageszeitung Pravo. In "Zelary" erzählt sie vom Dorfleben in den Bergen nahe der slowakischen Grenze in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. "Ich habe diese Gegend sehr geliebt, weil dort alles so rein war, auch die Sprache", sagt sie heute. Als junge Lehrerin war sie Ende der vierziger Jahre dorthin geschickt worden, eine Art Strafversetzung: Die selbstbewusste Frau, die nie der Partei beitrat, galt dem kommunistischen Regime als politisch unzuverlässig. "Das Leben in den Dörfern dieser Region war hart. Die Menschen waren sehr arm, die Regeln archaisch, aber ganz klar, auch für mich." Den Namen Zelary hat sie erfunden. "Aber diese Menschen hat es wirklich gegeben. Es sind Geschichten, die ich erlebt und gehört habe. Ich bin eine sehr gute Zuhörerin." In Schulheften notierte die Lehrerin alles, was sie hörte. Schon als Schülerin verfasste die Tochter eines Dorfschullehrers Sketche für das Radio in Brünn. Schon damals borgte sie sich zur Veröffentlichung den Namen einer Freundin aus. Das war in den dreißiger Jahren und endete, als die Nazis die Tschechoslowakei besetzten. In den fünfziger und sechziger Jahren veröffentlichte sie einige Novellen, Hörspiele und zwei Bücher, erneut unter dem Namen einer Freundin. Doch dann kam eine Pause von über zwanzig Jahren. "Ich konnte nicht alles schreiben, der politische Druck war zu groß." So schrieb sie nur noch für die Schublade.Nach Zelary verschlägt es in der nun verfilmten Erzählung "Jozova Hanule" (Josas Hanni) eine angehende Ärztin aus der Stadt. Es ist die Zeit des deutschen Protektorats Böhmen und Mähren in den letzten Kriegsjahren. Die junge Frau muss untertauchen, weil die Widerstandsgruppe aufgeflogen ist, für die sie Botengänge übernahm. Unter dem neuen Namen Hanna reist sie mit einem ehemaligen Patienten in dessen Heimatdorf. Im alltäglichen Zusammenleben beginnt die Akademikerin aus der Stadt die Menschen des Dorfes, ihre Sitten und Gebräuche zu verstehen und den Waldarbeiter Josa zu lieben. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der Medizinstudentin. "Hanna hat es so nicht gegeben", sagt die Schriftstellerin. "Aber meine Freundin war Ärztin und erlebte eine ähnliche Situation." Von der Einzimmerwohnung aus geht der Blick in Bäume. "Noch heute gehöre ich mehr dem Land als der Stadt." Als Mädchen teilte sie zu Hause auf dem Dorf ein Zimmer mit der Großmutter, die jeden Abend von früher erzählte. "Sie hatte nur die Volksschule besucht und lebte in der Illusion, alles Geschriebene sei intelligent und wirklich." Dass dem durchaus nicht so war, schon gar nicht während der deutschen Besatzung, davon konnte niemand die Großmuter überzeugen. "Sie sagte immer: Wenn man etwas schreibt, dann muss es die Wahrheit sein." Die Enkelin hat sich daran gehalten. Erst nach der Samtenen Revolution holte sie ihre Arbeiten hervor. Mit einem Hörspiel und dem Pseudonym Kveta Legatova gewann sie 1992 den Prix Bohemia. Die erste Auflage von "Zelary" betrug nur 500 Exemplare. "Legatova war damals eine ziemlich unbekannte Autorin", erläutert ihr Verleger. Inzwischen hat sich das Buch 47 000 Mal verkauft, die Erzählung "Josova Hanule" 38 000 Mal. Seit über einem Jahr gehören beide zu den Top Ten auf Tschechiens Bestsellerlisten. Im Deutschen Taschenbuchverlag erscheinen sie dieses Jahr auf Deutsch. Ungeliebter TrubelHeute schreibt Vera Hofmanova nur noch kürzere Geschichten. Und vielleicht Memoiren? "Nein, um Gottes Willen! Mein Leben war nicht so interessant." Die eigene Person hat sie ein Leben lang hinter den zahlreichen Pseudonymen verborgen gehalten. Den Namen Kveta Legatova hat sie von einer Freundin geliehen, mit der sie seit Jahrzehnten im Tierschutz engagiert ist. "Ich habe nie aus dem Schatten treten wollen", sagt die inzwischen gefeierte Schriftstellerin. Und schon gar nicht ins Rampenlicht von Hollywood. Zum Trubel um die Oscar-Vergabe meint Vera Hofmanova nur: "Das betrifft mich nicht." Sie hat sich den Film angesehen, kommentieren will sie ihn nicht. "Ich bin keine Filmkritikerin. Aber ich wünsche dem Film und den Darstellern das Beste."Foto: Berühmt mit geborgtem Namen: Vera Hofmanova.