Weil das Diakonische Werk der EKD in Stuttgart so prächtig mit Schalck zusammenarbeitete, müssen bald auch westdeutsche Kirchenmitarbeiter vor den Stasi-Ausschuß: Diskrete Absprachen in der verschwiegenen Leipziger KoKo-Villa

Die Gäste aus Stuttgart legten Wert auf Diskretion: Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1980 buchten der Vizepräsident des Diakonischen Werks der EKD, Ludwig Geißel, und seine Mitarbeiter Edelgard Orth und Norbert Helmes keine Hotelzimmer in der Pleißestadt, sondern ließen sich ein "Privatquartier" vermitteln. Eins von der besonderen Art - eine alte, verschwiegene Villa in der Leipziger Hoyerstraße 2.Das Anwesen hatte erst ein Jahr zuvor den Besitzer gewechselt. Ein aus der DDR ausreisendes Ehepaar verkaufte das Grundstück im Leipziger Stadtteil Schleußig an das DDR-Außenhandelsministerium, Bereich Kommerzielle Koordinierung. Gäste der besonderen Art Das Devisenimperium des Alexander Schalck-Golodkowski und die Stasi betreuten hier Gäste der besonderen Art: So weilten neben den EKD-Vertretern auch die West-Berliner Schalck-Vertraute Christa Wachsen und Strauß-Amigo Josef März zu diskreten Aufenthalten in der Schleußiger Stasi-/KoKo-Villa - Geschäftspartner, die das Licht der Öffentlichkeit mitunter scheuten.Auch Ludwig Geißel, der im Diakonischen Werk jahrelang quasi in Alleinregie den geschäftlichen Teil des Häftlingsfreikaufs mit der DDR abwickelte, hatte oftmals delikate Absprachen mit seinen DDR-Partnern von der KoKo zu führen. Ein solch brisantes Thema war zu jener Zeit, als Geißel die Leipziger Villa bewohnte, die Hilfe der evangelischen Kirche bei der Transferierung von Erbschaften, die DDR-Bürger im westlichen Ausland gemacht hatten.Die rechtlichen Vorschriften machten eine einfache Überweisung der Guthaben auf die DDR-Staatsbank unmöglich. Auch bei Besuchen der Erben in der Bundesrepublik durften sich diese maximal 6 000 Mark pro Jahr auszahlen lassen. Die gleiche Obergrenze galt für Einkäufe über den Geschenkdienst "Genex". Aus dieser Zwickmühle halfen der KoKo die bundesdeutschen Kirchen. Neben der katholischen Kirche engagierte sich hierbei vor allem das Diakonische Werk der EKD in Stuttgart. Der Trick war, daß die DDR-Erben eine Schenkungsurkunde in Höhe des Erbschaftsguthabens, beispielsweise zugunsten des Diakonischen Werkes der EKD, unterschrieben. Das Geld gelangte anschließend im Rahmen der normalen deutsch-deutschen Kirchengeschäfte auf ein KoKo-Konto. Die Erben in der DDR erhielten vier Fünftel des Guthabens in DDR-Mark - Verhältnis 1:1! - ausgezahlt, den Rest in Forum-Schecks. Ein Geschäft, das sich für die KoKo auszahlte. Immerhin fielen jährlich einem vertraulichen Stasi-Papier zufolge zwischen 80 und 120 Erbschaftsfälle an, die einen Umfang von mehr als 100 000 Mark hatten. Verläßliche Kader Die enge Liaison der EKD-Angestellten mit der KoKo ließen Geißel, Helmes und Edelgard Orth Mitte der achtziger Jahre in das Blickfeld der Stasi rücken: In einer Liste mit bundesdeutschen "Kontaktpersonen", auf die die Stasi im Spannungsfall zurückgreifen wollte, tauchen die drei Namen neben den von 15 weiteren, bereits als Stasi-Kader identifizierten West-Unternehmern, auf. Bei dieser Gruppe besonders loyaler Geschäftspartner sollte - so lautete der Befehl Mielkes - durch "finanzielle Zuwendungen die materielle Abhängigkeit weiter ausgebaut" werden. Wieweit sich Schalck und Seidel an Mielkes Weisung gehalten haben, ist bislang nicht festgestellt worden. Bekannt ist allerdings, daß Ludwig Geißel nach seiner Pensionierung Anfang der achtziger Jahre weiter den Kontakt mit der KoKo pflegte. Als Wirtschaftsberater unterstützte er hauptsächlich Firmen, die im Osthandel aktiv waren. Auch für einen DDR-Bürger, so enthüllte Geißel gegenüber der "Zeit", sei er als privater Berater seit 1982 tätig gewesen: Alexander Schalck-Golodkowski.Als in Ost-Berlin die KoKo zusammenbrach, war Ludwig Geißel einer der ersten, der aushalf. Schalck war getürmt, Seidel verhaftet - und so fuhr Geißel am 6. Dezember 1989 in Pankow-Niederschönhausen vor, um die Bücher des KoKo-Flaggschiffs Intrac durchzusehen. Sein Fazit: Alle Vorwürfe gegen seinen Freund Seidel seien ungerechtfertigt, die Geschäfte seien sämtlichst sauber verlaufen. Ein "Freundeskreis" werde daher auch den Anwalt für den inhaftierten Schalck-Vize stellen. Ausgeguckt hatte sich Geißel einen Lichtenberger Rechtsanwalt: Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, der 1992 mit 17 Millionen aus dem KoKo-Erbe spurlos verschwand.Die Kontakte der westdeutschen EKD-Mitarbeiter werden wohl bald auch den Stasi-Untersuchungsausschuß der EKD beschäftigen. EKD-Pressesprecher Schöb wollte jedenfalls nicht ausschließen, daß sich das Gremium in absehbarer Zeit auch mit westdeutschen Kirchenmitarbeitern befassen wird, die ihre Amtsbefugnisse im Umgang mit DDR-Oberen überschritten haben. +++