Was hat Vizeadmiral Schönbach wirklich gesagt?
Der Rücktritt des Marine-Chefs zeigt: Militärs sollten sehr vorsichtig sein, wenn sie sich politisch äußern.

Für den Chef der Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, muss die Veröffentlichung seiner Ausführungen zur geopolitischen Lage wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen sein. Schönbach, ein bisher völlig unbescholtener Offizier, der seine Karriere unter anderem als Adjutant beim legendären Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan begonnen hatte, war bei einem vertraulichen Treffen mit indischen Diplomaten bei der Denkfabrik Manohar Parrikar Institute for Defense Studies and Analyses (MP-IDSA) in Neu-Delhi gefragt worden, wie er die Situation mit Russland in Europa und in der Nato einschätzte.
Was Schönbach offenbar nicht bewusst war, dass der Auftritt gefilmt wurde – über den der Business Insider berichtete –, später tauchte ein etwa zweiminütiger Videoausschnitt auf Twitter auf.
Innerhalb weniger Stunden zog am Samstag ein Orkan über Schönbach auf. Politiker aller Couleur forderten seinen Rücktritt. Seinem Rauswurf kam Schönbach durch seine Bitte an die Bundesverteidigungsministerin um Versetzung in den Ruhestand nach.
Im wesentlichen hatte Schönbach Folgendes gesagt: Jedes souveräne Land sei berechtigt, der Nato beizutreten, wenn es den demokratischen Standards der EU entspreche.
Niemals gäbe es „ein Recht Russlands auf ein Veto“. Wenn Schweden und Finnland der Nato beitreten wollten, gäbe es keinen Grund, das abzulehnen. Auch Georgien erfülle die Bedingungen, es wäre jedoch „nicht klug („smart“), Georgien zum jetzigen Zeitpunkt aufzunehmen.
Die Ukraine erfülle die Bedingungen dagegen nicht, „weil ein Teil des Landes von einem anderen Land besetzt wurde“, nämlich der Donbass, und zwar „von der russischen Armee, oder wie Russland behauptet, von Milizen“. Er glaube nicht, dass Russlands Präsident Wladimir Putin „wegen eines kleinen Landstrichs“ in der Ukraine „einmarschieren“ werde, das zu glauben sei „Nonsens“.
Putin, dem man entgegentreten müsse, nutze die Situation, um die EU zu spalten. Schönbach weiter: „Die Halbinsel Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen, das ist eine Tatsache.“ Schönbach sagte, was Putin „wirklich will, ist Respekt auf Augenhöhe. Und – mein Gott – jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet fast nichts, kostet nichts. Also würde man mich fragen – aber man fragt mich nicht –: Es ist leicht, ihm den Respekt zu geben, den er fordert – und den er vermutlich auch verdient.“
Er sehe die größere Bedrohung in China, sagte Schönbach: „Selbst wir, Indien, Deutschland, brauchen Russland, weil wir Russland gegen China brauchen.“ Dies sagte Schönbach offenbar, um seine indischen Gesprächspartner einzubeziehen. Zwischen Indien und China tobt seit Jahren ein erbitterter Grenzstreit, der immer wieder auch zu militärischen Zwischenfällen geführt hat.
Schönbach sagte, dass er als katholischer Christ sich näher zum christlich-orthodoxen Russland hingezogen fühle, auch wenn Putin ein Atheist sei. Europa und die EU hätten mehr mit Russland gemeinsam als mit China. Diese These ist eine der Kernthesen des führenden geopolitischen Strategen der USA, Henry Kissinger, zuletzt ausgeführt in seinem Buch „Weltordnung“.
Schönbach hat militärische Einsätze im Rahmen der Operation Enduring Freedom und der Operation Atalanta hinter sich. Vor seiner Ernennung zum Chef der Marine arbeitete Schönbach als stellvertretender Abteilungsleiter Strategie und Einsatz im Bundesverteidigungsministerium. Der grüne Außenpolitik-Experte Reinhard Bütikofer schrieb auf Twitter zu den Aussagen von Schönbach: „Unbefuckinglievable.“
And here’s a second part of the video pic.twitter.com/DIio1EXgYN
— Mathieu von Rohr (@mathieuvonrohr) January 22, 2022