Scholz bei Putin: Er hat Nord Stream 2 gesagt!

Im deutsch-russischen Dialog in Moskau zeigte sich: Beide Länder haben Möglichkeiten und den Willen, die Krise zu entschärfen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) und Russlands Präsident Wladimir Putin
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) und Russlands Präsident Wladimir Putindpa/Kay Nietfeld

Die Börsen reagierten am Dienstag mit Kurssprüngen auf die Ankündigung Russlands, einige Truppen nach der Beendigung eines Manövers an der ukrainischen Grenze wieder in die Kasernen zurückzurufen. Auch der Rubel erholte sich und ebenso die Währungen mehrerer anderer Schwellenländer, während der Ölpreis nachgab. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte einen kurzen Videoclip, der zeigt, wie Panzer auf einen Zug verladen werden, ehe der Zug, von dem vier Waggons mit jeweils einem Panzer zu sehen sind, abfährt. Der ukrainische Außenminister Dimitri Kuleba sagte, man glaube erst an eine Deeskalation, wenn man sie sehe, und nicht, wenn man davon höre.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht allerdings laut AFP erstmals „Grund zu vorsichtigem Optimismus“. Stoltenberg begründete dies am Dienstag in Brüssel mit Signalen aus Moskau, dass der Wille zu einer diplomatischen Lösung bestehe. Bei den Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine gebe es aber noch kein Zeichen der Deeskalation, betonte der Nato-Generalsekretär. „Wir brauchen einen umfangreichen Truppenabzug“, forderte Stoltenberg mit Blick auf die mehr als 100.000 Soldaten, die Russland nach westlichen Angaben an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hat. Moskau habe „alles für einen neuen Angriff vorbereitet“. Der Kreml hatte zuvor von einem geplanten Teilabzug der Truppen gesprochen.

Deutlich zurückhaltender äußerte sich die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith. Die USA hätten die russischen Angaben zu einem Truppenrückzug „zur Kenntnis genommen“, sagte Smith. „Wir müssen überprüfen, ob das der Wahrheit entspricht.“ Sie verwies auf ähnliche russische Angaben im Dezember, die sich letztlich als falsch herausgestellt hätten. Die US-Regierung hatte in den vergangenen Tagen über verschiedene Kanäle wahlweise den 15., den 16. oder den 20. Februar als Datum für eine russische Invasion in Umlauf gebracht. Kreml-Sprecherin Maria Sacharowa sagte am Dienstag, die Tatsache des Abzugs der russischen Truppen sei ein Beleg, dass die Kriegsszenarien westliche „Propaganda“ gewesen seien, der Abzug sei erfolgt, „ohne einen einzigen Schuss abgeben zu müssen“.

In Moskau sprachen Bundeskanzler Olaf Scholz und Russlands Präsident Wladimir Putin drei Stunden lang und wirkten nach dem Gespräch durchaus entspannt. Der wichtigste Punkt sei nach Aussage von Scholz in der Bereitschaft der Ukraine zu sehen, die in den Minsker Vereinbarungen vorgesehenen Gesetze für einen Autonomie-Status des Donbass auf den Weg zu bringen. Scholz dürfte am Dienstag bei seinem Besuch in Kiew auf die ukrainische Führung eingewirkt haben, hier nach langem Zögern tätig zu werden. Die Regierung in Kiew hat ihrerseits kein Interesse an einem Krieg und hat das auch mehrfach betont. Die russische Staatsduma setzte ein taktisches Zeichen und forderte Putin in einer Entschließung auf, die abtrünnigen „Republiken“ Donezk und Luhansk anzuerkennen. Putin sagte bei der Pressekonferenz nach dem Treffen mit Scholz, dass dieser Entschluss den Mehrheitswillen der russischen Wähler abbilde und daher zu berücksichtigen sei. Scholz sagte dagegen, dass die Anerkennung zum Ende des Minsk-Prozesses und damit zu einer „Katastrophe“ führen würde – weshalb davon auszugehen ist, dass Putin dieses Votum als weiteres Element in die Verhandlungen mit dem Westen einbringen dürfte.

Diese Verhandlungen will Putin führen, und zwar nicht mit unverbindlichen Versprechungen, sondern mit rechtlich bindenden Vereinbarungen. Dies habe Moskau sich selbst als Vorgabe gesetzt. Daher begrüße Russland zwar einige Elemente in den Antworten der USA und der Nato auf russische Vorschläge zu Sicherheitsgarantien. Doch werde man sich nicht mit vagen Aussagen begnügen. Putin: „Wenn gesagt wird, die Ukraine wird nicht morgen der Nato beitreten. Und was ist übermorgen?“ Zu lange habe Russland dem Wort des Westens Glauben geschenkt, es werde keine Osterweiterung geben. Doch nun stünde die Nato an der russischen Grenze und daher müsse der Nichtbeitritt der Ukraine in verbindlicher Form zugesagt werden. Zu den Sicherheitsgarantien hatte Scholz wenig beizutragen. Allerdings unterlief dem Kanzler der Lapsus, zweimal von den Antworten der „EU und der Nato“ zu sprechen, was nicht zutreffend ist: Moskau hat der EU keine Vertragsentwürfe zugeschickt und daher naturgemäß keine Antwort erhalten. Der russische Präsident wahrte jedenfalls die Form und korrigierte den deutschen Gast nicht, obwohl Putin den Fehler sofort bemerkt hatte.

Scholz dagegen sah sich bemüßigt, eine Bemerkung Putins zu Jugoslawien zurechtrücken zu wollen – was ihm prompt einen harten Konter Putins eintrug: Scholz hatte den Angriff der Nato auf Belgrad ohne UN-Mandat damit gerechtfertigt, dass ein „Völkermord gedroht“ habe. Putin sagte, im Donbass habe ein Völkermord stattgefunden.

Die Pipeline Nord Stream 2 spielte nur am Rande eine Rolle. Putin sagte, Deutschland sollte froh sein, dass die deutschen Konsumenten und die Industrie Erdgas dank der Pipeline um ein Vielfaches billiger bekommen werde. Scholz sagte, „Nord Stream 2 ist ein privatwirtschaftliches“ Projekt. Die Zukunft des deutsch-russischen Verhältnisses hänge von möglichen Sanktionen ab, sagte Scholz, sichtlich darum bemüht, vor das heikle Thema Nord Stream 2 rasch wieder eine Nebelwand zu schieben.

Zum Konflikt um die Deutsche Welle und RT DE deuteten beide Politiker an, dass über das Thema gesprochen worden sei und offenbar hinter den Kulissen nach einer Lösung gesucht wird, damit beide Medien ihre Arbeit wieder aufnehmen können.