Durch die Hintertür: Sitzt Putin plötzlich wieder am Tisch der EU?

Die Wahlen in Ungarn und Serbien haben die Position von Russlands Präsident Wladimir Putin in Europa gestärkt.

01.02.2022, Russland, Moskau: Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, und Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, stoßen nach ihrem Gespräch im Kreml an.
01.02.2022, Russland, Moskau: Wladimir Putin (r), Präsident von Russland, und Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, stoßen nach ihrem Gespräch im Kreml an.Foto: Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Viktor Orbán und Aleksandar Vučić sind seit vielen Jahren eng mit Russlands Präsident Wladimir Putin verbunden. Am Sonntag haben beide wichtige Wahlen gewonnen. Die Wahlen sind offenbar demokratisch ordnungsgemäß abgelaufen. So urteilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit bezüglich Ungarn am Montag: „Die ungarischen Parlamentswahlen verliefen gut und boten deutliche Alternativen, wurden jedoch durch das Fehlen gleicher Wettbewerbsbedingungen untergraben.“ Ähnliches schrieben die Beobachter über Serbien: „Die Wahlen in Serbien boten vielfältige politische Optionen, aber Mängel in der Organisation führten zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen.“

Diese Beurteilungen sind bemerkenswert, handelt es sich doch bei Ungarn um ein langjähriges EU-Mitglied. Orbáns überragender Sieg am Sonntag, der dem Ministerpräsidenten eine fünfte Amtszeit ermöglicht, ist auf einen konsequenten Umbau der staatlichen Strukturen zurückzuführen. Mit einer absoluten Mehrheit erreicht Orbán eine Zweidrittelmehrheit – was ihm im Westen den Vorwurf des Totalitarismus eintrug. Doch faktisch hat Orbán mit seiner Verfassungsreform lediglich eine Art Mehrheitswahlrecht eingeführt – das dem Prinzip „the winner takes it all“ folgt, wie es sich in Großbritannien und den USA seit Generationen bewährt hat.

Allerdings hat Orbán mit seinen herablassenden Attacken auf politisch Andersdenkende viele demokratische Strukturen zerstört: So wurde am Sonntag ein Referendum abgehalten über ein Gesetz, das die Rechte von Homosexuellen drastisch beschneidet. Das Referendum wurde wegen des verfehlten Quorums abgelehnt: Die Opposition hatte dazu aufgerufen, die Stimmzettel durch Parolen ungültig zu machen.

Nun bleibt das schwulenfeindliche Gesetz in Kraft, das Mittel des Referendums wurde ad absurdum geführt. Das Medienumfeld in Ungarn hilft Orbán seit vielen Jahren: Er vertrieb die ausländischen Medienhäuser aus dem Land, die nach 1990 vorübergehend die wichtigsten Medien kontrollierten. So wurde die auflagenstärkste Zeitung Népszabadság Eigentum des Hamburger Verlags Gruner + Jahr – wo sie einige Jahre Schwesterzeitung der Berliner Zeitung war. Sie wurde später wieder renationalisiert und 2016 eingestellt, womit die linke Intelligenz ihre wichtigste Stimme verlor. Die wichtigsten ungarischen Medien sind staatlich oder in Händen von regierungsnahen Oligarchen – eine Entwicklung, die es auch in anderen Demokratien wie der Türkei und Israel gibt. Auch im EU-Land Polen hat es eine freie Presse schwer. In Serbien wurden ebenfalls alle ausländischen Eigentümer vertrieben: Das betraf unter anderem den WAZ-Konzern, der sich nach der Wende die älteste Zeitung Politika gesichert hatte und unter dem früheren Schröder-Minister Bodo Hombach einen expansiven Kurs auf dem Balkan fahren wollte. Heute gleichen die Medienlandschaften der russischen eher als der des Westens.

In Ungarn wie in Serbien konnten die Amtsinhaber allerdings vor allem deshalb ihre Macht sichern, weil sie dem Grundkonsens der Wähler folgen: Serbien ist traditionell ein enger Verbündeter Russlands, was auf die orthodoxen Kirchen zurückzuführen ist. Diesem „abendländischen“ Kurs hat sich auch das katholische Ungarn angeschlossen, obwohl man dort mit dem brutalen Einmarsch der Sowjets im Jahr 1956 eine schwere Verwundung davongetragen hat.

Doch sind selbst ältere Leute heute der Auffassung, man sollte mit Russland keine Feindschaft aufbauen, wie die New York Times in einer Reportage berichtet: Die Zeitung zitiert einen Ungarn mit den Worten, der Westen habe den Krieg in der Ukraine provoziert, weil er das Land zu einer „Militärbasis für die USA“ gemacht habe.  In Belgrad wiederum hat man nicht vergessen, dass die Nato die Stadt bombardierte, als es um den Kosovo ging – wo sich heute in Ferizaj das Camp Bondsteel befindet, einer der wichtigsten US-Militärstützpunkte außerhalb der USA.

Präsident Vučić, der seine Wahl deutlich gewann, ist allerdings im Parlament auf einen Partner angewiesen: Er dürfte sich mit der Partei der ethnischen Ungarn SVM zusammenschließen, die unter dem Einfluss der im Nachbarland Ungarn regierenden Fidesz-Partei steht. Vučić betonte, dass er den europäischen Weg fortsetzen wolle, zugleich aber gute Beziehungen zu Russland wünsche. Diese Worte könnten auch von Viktor Orbán stammen. Für Putin sind die Wahlsiege ein Versprechen: Er hat weiter die Option, die Geschehnisse in der EU zu beeinflussen - wenn eben auch nur durch die Hintertür.