Welthandel: Nur wer sich an Werte hält, darf mitmachen

US-Finanzministerin Yellen kündigt eine Reform des Welthandels an: Statt „fair“ soll der Handel „sicher“ sein. Es ist eine Botschaft an Russland und China.

Rana Foroohar von der Financial Times mit US-Finanzministerin Janet Yellen auf dem Atlantic Council am 13. April.
Rana Foroohar von der Financial Times mit US-Finanzministerin Janet Yellen auf dem Atlantic Council am 13. April.AFP

US-Finanzministerin Janet Yellen fordert, dass internationaler Handel künftig wertebasiert erfolgen solle. Yellen forderte auf einer Veranstaltung des Atlantic Council in Washington ein neues Bretton-Woods-Rahmenwerk und eine Überarbeitung der IWF- und Weltbank-Institutionen. Beide halten diese Woche ihre jährlichen Treffen ab. Yellen sprach erstmals offen aus, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und Chinas Weigerung, sich den USA und mehr als 30 anderen Nationen in Sanktionen gegen Russland anzuschließen, einen Wendepunkt der internationalen Wirtschaftsordnung darstelle. Die US-Handelspolitik werde künftig nicht mehr nur Märkte sich selbst überlassen, sondern die Wahrung bestimmter Prinzipien einfordern. Diese reichen von nationaler Souveränität über eine regelbasierte Ordnung bis hin zu Sicherheit und Arbeitnehmerrechten. Amerikas Ziel, so Yellen, sei die Ablösung des Begriffs „fairer Handel“ durch die Idee des „sicheren Handels“. Der Begriff „Sicherheit“ zielt in diesem Zusammenhang auf geopolitische Ziele und ist im internationalen Kontext auch immer militärisch konnotiert.  Yellen sagte, es dürfe Ländern nicht gestattet werden, ihre „Marktposition bei wichtigen Rohstoffen, Technologien oder Produkten zu nutzen, um unsere Wirtschaft zu stören oder unerwünschten geopolitischen Einfluss auszuüben“.

Mit dieser Bezugnahme auf die russischen Energieexporte zeigte Yellen, in welche Richtung es gehen könnte. Allerdings trifft die Einhegung im Grunde auf alle Länder zu, die stark exportorientiert arbeiten – insbesondere bei Rohstoffen, bei Chips oder Seltenen Erden, wo China eine globale Dominanz ausübt. Yellen prägte ein neues Wort für diese postneoliberale Ära: „Friend-Shoring“ (im Gegensatz zu „Off-Shoring“). Die USA würden künftig „das Friend-Shoring von Lieferketten in eine große Anzahl vertrauenswürdiger Länder“ bevorzugen, die „eine Reihe von Normen und Werten darüber teilen, wie man in der Weltwirtschaft agiert“. Washington wolle auch versuchen, prinzipienbasierte Allianzen in Bereichen wie digitale Dienste und Technologieregulierung zu schaffen. Ausdrücklich nannte Yellen das globale Steuerabkommen des vergangenen  Jahres. Führende Ökonomen erhoben am Dienstag die Forderung, ein globales „Vermögensregister“ einzuführen. Mit diesem sollten vordergründig die „Oligarchen“ der Welt erfasst werden, so die Ökonomen der Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation (ICRICT), einer Allianz von NGOs zur Steuergerechtigkeit.

Yellen sieht deutlich, dass die Verknüpfung von Werten und Handel zu einem globalen Streit führen dürfte. Sie sagte, sie hoffe, dass „wir nicht in einem bipolaren System enden“, insbesondere angesichts dessen, wie sehr China selbst vom „neoliberalen“ System profitiert habe. Doch Yellen sieht in Peking ein Problem: „China verlässt sich in vielerlei Hinsicht auf staatseigene Unternehmen und betreibt Praktiken, die meiner Meinung nach unsere nationalen Sicherheitsinteressen auf unfaire Weise schädigen.“ Multinationale Lieferketten hätten sich, so habe die Pandemie gezeigt, als „nicht widerstandsfähig erwiesen“.

Zu einer ersten Auseinandersetzung der Systeme dürfe es bei den internationalen Finanz- und Wirtschaftsgesprächen in Washington kommen, die am Montag begonnen haben. US-Finanzministerin Janet Yellen kündigte an, die USA würden G20-Sitzungen boykottieren, wenn dort russische Vertreter präsent sein sollten. Wie aus französischen Regierungskreisen verlautete, erwägen laut AFP auch Vertreter anderer Industrienationen einen Boykott der Sitzungen mit russischen Teilnehmern. Die Vertreter der Bundesregierung werden dagegen auch an Gesprächen teilnehmen, wenn Russland dort Präsenz zeigt. „Wir wollen an den Sitzungen trotz der möglichen Anwesenheit russischer Vertreterinnen und Vertreter teilnehmen“, hieß es am Dienstag aus Berliner Regierungskreisen laut AFP. Man wolle die „wichtige multilaterale Arbeit nicht direkt oder indirekt von Russland sabotieren lassen“. Vereinfacht dürfte die Administration der Konfrontation durch die Tatsache werden, dass die Veranstaltungen hybrid abgehalten werden: Nur einige der Teilnehmer sind vor Ort, andere werden virtuell zugeschaltet.

Eine gemeinsame Abschlusserklärung der G20 wurde in deutschen Regierungskreisen nicht erwartet, da auch Russland zum Kreis der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zählt, ebenso wie China. Stattdessen würden voraussichtlich die Vertreter Indonesiens, das derzeit die G20-Präsidentschaft innehat, eine Zusammenfassung schreiben, hieß es am Dienstag. Inwiefern eine Abschlusserklärung der IWF- und Weltbanktagung gelinge, sei offen.

Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen würden bei allen Gesprächen das wichtigste Thema sein, hieß es in Berlin weiter. Daneben gehe es um eine gerechtere weltweite Verteilung der Corona-Impfstoffe, um die „zunehmende Divergenz“ zwischen den Industrieländern und dem Rest der Welt sowie um die Bekämpfung der Klimakrise.