„Wo sind von der Leyens Nachrichten an den Pfizer-Chef?“

Ursula von der Leyen hat mit Pfizer-Chef Bourla über die Impfstoffe verhandelt. Was steht in den SMS zwischen den beiden? Oder wurde schon alles gelöscht?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Pfizer-CEO Albert Bourla (vorne), Belgiens Premier Alexander De Croo (L) und BioNTech-Wissenschaftlerin Ozlem Tureci, während eines Besuchs des Pfizer-Werks in Puurs, Belgien, am 23. April 2021. 
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Pfizer-CEO Albert Bourla (vorne), Belgiens Premier Alexander De Croo (L) und BioNTech-Wissenschaftlerin Ozlem Tureci, während eines Besuchs des Pfizer-Werks in Puurs, Belgien, am 23. April 2021. AFP/John Thys

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zu Beginn der Corona-Krise monatelang mit Pfizer-Chef Albert Bourla verhandelt, um schließlich 1,8 Milliarden Impfdosen von Pfizer für die EU zu erwerben. Worum es bei diesen Verhandlungen ging, wollen EU-Parlamentarier seit Monaten wissen und fordern die Herausgabe der vorwiegend via SMS, Textnachrichten und Chats geführten Kommunikation zwischen von der Leyen und Bourla. Doch die Abgeordneten beißen mit ihrer Forderung nach Transparenz auf Granit. Zuerst erklärte die EU-Kommission, man habe sich an alle Vorschriften gehalten, was die Archivierung und Dokumentation der offiziellen Kommunikation bezüglich der Pfizer-Gespräche betrifft.

Doch nun teilt die Vize-Präsidentin der Kommission in einem Schreiben an die liberale niederländische Abgeordnete Sophie in ’t Veld mit, SMS und Textnachrichten enthielt „ihrer Natur nach nur kurzlebige“ Nachrichten und keine „wichtigen Angelegenheiten“. Demnach, so folgert Sophie in ’t Veld, sei die Kommission der Auffassung, dass diese Nachrichten nicht den Transparentanforderungen unterliegen und „systematisch gelöscht“ werden können. Der Spiegel fragt: „Wo sind von der Leyens Nachrichten an den Pfizer-Chef?“

Die Frage wird von dem Magazin nicht ohne Grund gestellt: Als Bundesverteidigungsministerin war Ursula von der Leyen 2019 in die Kritik geraten, weil die Nachrichten von zwei ihrer Diensthandys gelöscht worden waren. Daher könnte es auch im Fall der Pfizer-Verhandlungen schwierig werden, herauszufinden, was zwischen Pfizer und der EU wirklich abgelaufen ist.

Die New York Times hatte im November 2021 enthüllt, dass von der Leyen im Februar 2021 mit dem Rücken zur Wand gestanden habe, weil ihre Gegner ihr vorwarfen, nicht schnell genug im großen Stil Covid-19-Impfstoffe gekauft zu haben. Ihr habe der Vorwurf des politischen Versagens in der Pandemie gedroht. In dieser Situation sollte sich ihre Beziehung zu Pfizer-Chef Bourla als Überlebensgarantie erweisen: Bourla sagte der New York Times, er und von der Leyen hätten „enge Bande“ geknüpft. Er sei in dieser Zeit mit  „Staatschefs, Königen und den Chefs der großen internationalen Organisationen“ in Kontakt gewesen, doch kaum einer habe so viel Verständnis wie von der Leyen gezeigt.

Die NYT schreibt: „Bourla sagte, er und Frau von der Leyen hätten ,ein tiefes Vertrauen entwickelt, weil wir in intensive Gespräche geraten sind‘. Er sagte: ,Sie wusste Details über die Varianten, sie wusste Details über alles. Das hat die Diskussion viel engagierter gemacht.‘“ Am Ende der „intensiven Gespräche“ sei ein Deal gestanden, bei dem Impfdosen bis in die Jahre 2022 und 2023 gekauft wurden. Von der Leyen bestritt im Gespräch mit der Times, dass sie unter politischem Druck stand. Im Ergebnis schloss von der Leyen einen Deal ab, mit dem Pfizer zum unangefochtenen Impfstoff-Lieferanten für die EU wurde. 

Die Times schreibt, dass damals schon Bedenken wegen einer zu starken Dominanz von Pfizer geäußert worden seien: „Länder und Experten befürchten, dass die Europäische Union zu sehr von Pfizer abhängig wird und sich im Falle von Problemen mit dem Impfstoff oder seiner Herstellung nicht absichert.“ Die Zeitung zitiert einen Experten aus Brüssel: „Ich würde davor warnen, sich nur für Pfizer/Biontech zu entscheiden“, sagte Prof. Peter Piot, ein Mikrobiologe, der Frau von der Leyen berät. „Das ist wissenschaftlich gesehen ein zu hohes Risiko für mich“, sagte Piot, allerdings mit dem Hinweis, „dass mRNA-Technologie-Impfstoffe wie der von Pfizer bisher gut funktioniert haben.“ Schließlich wurden auch andere Impfstoffe gekauft, aber in deutlich geringeren Mengen.

Was genau von der Leyen mit Bourla verhandelt hat, ist bisher geheim. Für die EU-Parlamentarier ist dieser Zustand nicht hinnehmbar. Die Kommission habe ein Problem mit Demokratie, sagte Sophie in ’t Veld der Berliner Zeitung. Sie fühlte sich nicht „den Bürger in Europa rechenschaftspflichtig zu sein“. Sie missachte „das Parlament und die Wähler“. Doch in ’t Veld will die Sache nicht auf sich beruhen lassen: „Es ist gerade in einer Krise wichtig, dass die parlamentarische Kontrolle ausgeübt wird. Frau von der Leyen muss vor das EU-Parlament geladen werden um Auskunft zu geben. Sie muss uns sagen, ob sie die Nachrichten gelöscht hat und wenn ja warum, oder ob die Nachrichten noch bestehen und warum sie nicht herausgegeben werden oder sie muss die Nachrichten herausgeben.“

Sollte die Nachrichten gelöscht worden sein, könnte das für von der Leyen Folgen haben: Rechtlich dürfte eine Löschung nicht mit dem aktuell geltenden EU-Transparenzgesetz vereinbar sein. Politisch könnte das EU-Parlament sogar einen Misstrauensantrag stellen und von der Leyen stürzen. 1999 war die Kommission Santer im Zuge solcher Vorgänge zurückgetreten - bevor sie gestützt werden konnte. Sophie in ’t Veld: „Wir haben Frau von der Leyen zu Beginn ihrer Amtszeit in einer Abstimmung unser Vertrauen ausgesprochen. Das heißt aber nicht, dass sie eine carte blanche erhalten hat. “

Alice Stollmeyer vom NGO Defend Democracy fordert die Offenlegung der Kommunikation, ebenso wie die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt sagte dem EU-Observer: „Die Europäische Kommission hat milliardenschwere Verträge mit Pfizer abgeschlossen. Wir haben das Recht zu erfahren, was die Kommissionspräsidentin mit dem Pfizer-CEO besprochen hat.“

Auch der liberale Abgeordnete Martin Hojsik schlägt im EU-Observer in dieselbe Kerbe. Erst kürzlich musste in Österreich Bundeskanzler Sebastian Kurz abtreten. Der Grund: Entlarvende SMS und Textnachrichten, die die Machenschaften seines Netzwerks sichtbar machten und die eigentlich niemals hätten in die Öffentlichkeit gelangen sollen.