Wenig Bekanntes aus dem Leben des Flugpioniers Otto Lilienthal: Am liebsten spielte er den Räuberhauptmann
Otto Lilienthal - der Flugpionier. Die meisten jedenfalls kennen ihn nur unter dieser Bezeichnung. Dabei war der erste erfolgreiche Flugzeugkonstrukteur der Geschichte dies nur nebenbei. Sein Geld verdiente er als Fabrikbesitzer in Berlin, wo er in der Köpenicker Straße 113 eine Maschinenfabrik unterhielt.Otto Lilienthals "Specialität" waren "gefahrlose Dampfkessel". Er ließ in seiner Fabrik auch "Heizungen, Transmissionen und schmiedeeiserne Riemscheiben" produzieren. Der vielseitig begabte Tüftler konnte dabei auch seine eigenen Erfindungen vermarkten. Insgesamt zwanzig Patente hatte er zusammen mit seinem Bruder Gustav erworben. Das wichtigste: der Schlangenrohrkessel, für den - so heißt es in einem Werbeprospekt der Firma - weder Kesselhaus noch Fundament gebraucht werden. Auch eine Schrämm-Maschine hatten die Brüder erfunden, die, im sächsischen Bergbau vielfach genutzt, großen Gewinn abwarf. Bausteine für Fröbel Ein früheres Patent ist weltberühmt geworden: die Anker-Bausteine aus Rudolstadt. Angeregt durch den Pädagogen Friedrich Fröbel, den "Kindergarten-Erfinder", suchten die Lilienthals nach einem Material für Baukästen als Kinderspielzeug. Sie fanden es in einem Gemisch aus Firnis, Kreide, Sand und Farbe und stellten auf eigens dazu entwickelten Maschinen daraus Würfel, Prismen, Säulen, Bogen und Pyramiden her, wie sie auch dem Maurer als Bauelemente zur Verfügung standen. Mangels barem Geld verkauften sie dieses Patent für 1 000 Mark an Adolf Richter, der 1882 die Massenproduktion der steinernen Spielbaukästen begann und damit ein Vermögen erwarb. Die Schöpfer gingen leer aus. Das, so hatten sie sich geschworen, durfte ihnen nur einmal widerfahren. Volksbühnen-Gründer Dabei waren die Lilienthals keine "protzigen, engherzigen und ungebildeten Bourgeois", wie Theodor Fontane ihre Standesgenossen beschreibt, sondern sozial denkende und engagierte Menschen. Sie beteiligten ab 1890 ihre Arbeiter mit 25 Prozent am Gewinn der Firma, und Gustav gründete zur Abwehr der immer stärker werdenden Wohnungsnot in Berlin 1895 die Baugenossenschaft "Freie Scholle". Sie existiert noch heute in Tegel. Beide Brüder waren Anhänger der damals modernen "Freiland-Bewegung", die bei Oranienburg die Obstbau-Kolonie "Eden" ins Leben rief.Im Jahre 1892 hatte Otto Lilienthal für das Berliner Ostend-Theater, einen prachtvollen Bau mit 1 200 Plätzen in der Großen Frankfurter Straße, eine Heizungsanlage geliefert. Dabei war er mit Max Samst, dem Direktor, ins Gespräch gekommen. Der klagte über die schlechte finanzielle Lage des Hauses, jammerte insbesondere über niedrige Besucherzahlen.Alsbald faßten Lilienthal und der Direktor den Plan, "eine Volksbühne" ins Leben zu rufen. "Ich hatte die Idee, Lilienthal etwas Geld, und zum dritten holten wir uns einen Mimen, den späteren Kammersänger Richard Oeser", erinnerte sich Samst.Der "Ökonomische Direktor" Lilienthal beglich zunächst einmal die Schulden des Ostend-Theaters, renovierte es auf seine Kosten, stellte Pflanzschalen auf, benannte es in "National-Theater" um und ging daran, die zwei Hauptprobleme des Theaters - ungefülltes Haus und leere Kasse - zu lösen: Er senkte die Eintrittspreise. Eine Karte kostete zwischen zehn und 50 Pfennig. Das war der Renner, das Publikum strömte. Und das Geld floß, denn allabendlich war das Theater ausverkauft. Die Einnahmen waren damit zwar noch nicht ausreichend, aber bedeutend gestiegen. Die Verluste hielten sich in Grenzen. Sie wurden von Otto Lilienthal stillschweigend ausgeglichen. Auf die Bühne kamen vorrangig die Dramen von Lessing, Shakespeare und Schiller. Pseudonym: Carla Pohle Als der Darsteller des Herold in Schillers "Jungfrau von Orleans" eines Tages erkrankte, übernahm Lilienthal zum Entsetzen der anwesenden Familie dessen Rolle. Dem Beinahedurchfall beim Publikum setzte er das Versprechen entgegen: "Ich werde von nun an öfter spielen, um mich zu üben." Am liebsten trat er als Räuberhauptmann in dem Volksstück "Preciosa" auf.Da es seiner Meinung nach dem Theater an gegenwartsbezogenen Stücken fehlte, schrieb der schauspielernde Unternehmer kurzerhand unter dem Pseudonym Carla Pohle selbst ein sozialkritisches Drama. Es stellte den "Gewerbeschwindel" seiner Zeit dar. Lange arbeitete Lilienthal am Schluß. Kurzerhand machte er dann zur Uraufführung am 13. Mai 1896 aus dem tragischen Ende ein Happy-End: Ein befreundeter Bierfahrer bewahrte einen lebensmüden Unternehmer vor dem Schlimmsten. Nicht so gut für die Wirkung des Stückes - dennoch wurde es am Ostend-Theater neunmal gespielt. Auch noch nach jenem 9. August 1896, an dem der erfolgreiche Flugzeugkonstrukteur Otto Lilienthal mit seinem vielfach erprobten Standardeindecker am Gollenberg bei Stölln abstürzte. Einen Tag später starb er in der Bergmannschen Klinik in Berlin.