Wie Berliner Türken die traditionelle Beschneidungszeremonie feiern: Serdar freut sich auf den kleinen Schnitt

Der kleine Schnitt ist unerläßlich, um den Knaben zum Mann zu machen, heißt es in der Türkei. Die Berliner Türken sehen das genauso und feiern die Beschneidung mit einem großen Fest. Den Eingriff führt in vielen Fällen der einzige in Deutschland lebende türkische Beschneider Afik Özcan durch. Während früher ein scharfes Rasiermesser genügen mußte, arbeitet er mit einem elektronischen Messer.Sonnabend abend im zweiten Hinterhof eines Kreuzberger Hauses. Der in einer ehemaligen Fabriketage eingerichtete Festsaal "Gürsoy Dügün Salonu" ist mit 300 Gästen nahezu voll. Auf langen, mit weißen Tischtüchern bedeckten Tischen stehen Cola- und Weinbrand-Flaschen. Eine Live-Gruppe spielt den populären türkischen Song "Hepsi seninmi?" (Gehört alles Dir?), und junge, gut angezogene Damen und Herren schwingen auf der Tanzfläche die Hüften. Normalerweise werden hier türkische Hochzeiten gefeiert. Heute aber gibt es eine besondere Veranstaltung: "Sünnet Dügünü", das Beschneidungsfest. Bald ein richtiger Mann Die wichtigste Person des Abends ist der siebenjährige Serdar Baladin. Mit seinem weißen Kostüm und der turbanartigen Mütze thront er wie ein kleiner Maharadscha auf einem Eisenbett. Neugierig beobachtet der Beschneidungskandidat das bunte Treiben im Saal. Serdar gehört zu den über tausend türkischen Jungen, die jährlich in Berlin beschnitten werden. Diese vor 3 000 Jahren entstandene Tradition wird auch unter den in Deutschland lebenden türkischen Familien gepflegt. Mit einem kleinen operativen Eingriff wird dabei dem Jungen die Vorhaut des Penis entfernt. "Ein Mann wird erst zu einem richtigen Mann, wenn er beschnitten ist und seinen Wehrdienst geleistet hat", heißt es im türkischen Volksmund.Noch ist der "Sünnetci", der Beschneider, nicht in Sicht. Die Gäste sind damit beschäftigt, Kanapees und Käsehäppchen zu verzehren, während die Gruppe einen Hit nach dem anderen spielt. Serdar gehört nicht zu den Jungen, die verängstigt auf die Prozedur warten. Er freut sich auf die Beschneidung: "Weil es Spaß macht. Ich werde ein Mann, und später werde ich heiraten." Serdars Wünsche sind aber noch die eines kleinen Jungen: Ein ferngesteuertes Auto, eine Spinne, eine Schlange und ein Spielhaus hat er auf die Geschenkeliste gesetzt. Traditionsgemäß werden dem Jungen zu diesem Anlaß auch Geldscheine und Goldmünzen geschenkt. Serdar weiß genau, was er mit dem Geld machen will: "Ich lege es auf die Bank, keiner kann es holen. Wenn ich groß bin, kaufe ich mir damit ein Auto." In einer Woche verheilt Gegen 22 Uhr kommt Akif Özcan in den Saal. Der einzige in Deutschland lebende türkische Beschneider kommt schnell zur Sache: Nach einer örtlichen Betäubung legt er sein Elektronikmesser an die Vorhaut des Jungen und führt schnell den Schnitt aus. Anschließend bekommt Serdar einen speziellen Verband. Eine Woche später kann er wieder auf den Spielplätzen hüpfen. Nach der Zeremonie bekommt Serdar seine Geschenke, und die Gäste gehen wieder auf die Tanzfläche. 34 Jahre Berufserfahrung Özcan packt seine Sachen zusammen. Er ist ein routinierter Beschneider. Dennoch ist der 56jährige jedes Mal sehr vorsichtig. "Es ist eine kleine Operation an einem wichtigen Organ, man muß sehr aufpassen", sagt er mit ruhiger Stimme. "Ich kann das zwar inzwischen machen, ohne hinzuschauen, aber es ist besser, etwas Angst zu haben. Dann paßt man besser auf." Akif Özcan hat es in seiner 34jährigen Karriere auf 3 000 Beschneidungen gebracht. Sein Debüt gab er 1960 in der ostanatolischen Stadt Urfa. Diesen ersten Einsatz kann Özcan bis heute nicht vergessen. Er habe große Angst gehabt, richtig gezittert, sagt er rückblickend.Vielleicht fühlte er sich auch deshalb so unsicher, weil seine eigene Beschneidung alles andere als komplikationslos verlief. "Ich war elf Jahre alt. Es hat sehr weh getan, und ich wurde zwei Monate lang nicht gesund", erzählt Özcan, während sein Gesichtsausdruck immer ernster wird. Sein Vater habe den Beschneider mitgebracht. "Ich glaube, der hatte keine Ahnung. Es tat sehr weh und hat ständig geblutet. Ein Verwandter von uns war Stadtarzt. Er hat mich dann behandelt."In der Tat gab es früher in der Türkei nicht genügend gut ausgebildetes Personal. Nicht selten übernahmen Friseure, die ein scharfes Rasiermesser besaßen, diese Aufgabe. Oft wurde der Beruf auch vom Vater auf den Sohn vererbt. Heute gibt es in fast jeder großen türkischen Stadt medizinische Schulen, wo die Beschneider ausgebildet werden. Nach dem Examen sammeln sie meist Erfahrungen an der Seite eines älteren Kollegen, ehe sie sich selbständig machen. So begann auch die Karriere von Akif Özcan.Nach elfjähriger Tätigkeit als Beschneider in verschiedenen türkischen Städten kam Özcan 1971 nach Berlin und arbeitete zunächst als Krankenpfleger im Kreuzberger Urban-Krankenhaus. Vor acht Jahren kündigte er seine Arbeit und begann hauptberuflich als "Sünnetci" zu arbeiten. Nach langen Verhandlungen wurde sein türkisches Diplom vom Berliner Senat anerkannt. Seitdem fährt der Mediziner quer durch die Republik und beschneidet etwa 200 Jungen im Jahr. Inzwischen hat Özcan auch viele deutsche Kunden. Deutsche Männer, die moslemische Frauen heiraten oder zum Islam übertreten, lassen sich von ihm beschneiden. Eingriff bei Deutschen Auch bei Erwachsenen läßt sich der kleine Eingriff relativ problemlos durchführen. Nur eine Schwierigkeit gibt es: "Bei den Männern bekommt der Penis manchmal beim Heilen eine Erektion. Dadurch wird die Wunde gespannt und heilt nicht so schnell wie bei kleinen Kindern", erklärt Özcan. "Aber es dauert höchstens zehn Tage, dann sind auch die Männer kerngesund." Dank moderner Medizin läuft die Beschneidung ohne große Schmerzen und Blutungen in wenigen Minuten ab, und der Patient kann nach kurzer Zeit wieder laufen.Die Beschneidung nimmt in der türkischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Dementsprechend wird auch dem Beschneider eine wichtige Rolle zuteil. Akif Özcan genießt seine besondere Stellung in Deutschland. Dennoch will der grauhaarige Diplombeschneider demnächst in die Türkei zurückkehren und im südlichen Antalya eine Praxis einrichten. +++