Wie die Aufzeichnungen eines jüdischen Historikers zum Roman wurden: Geschichten der Geschichten
Gute Geschichten liefern Stoff für weitere gute Geschichten. Das weiß auch der Hamburger Schriftsteller Moritz Carlsen. Als Writer in Residence stößt er am Centerville College in Vermont auf die autobiographischen Aufzeichnungen von Julius Steinberg. In der Geschichte des jüdischen Historikers, der vor dem NS-Regime flüchtete, in den USA mühsam eine neue Existenz aufbaute und schließlich in der McCarthy-Ära erneut in die Mühlen des Staatsapparats geriet, wittert der von Schreibblockaden geplagte Carlsen den Rohstoff für seinen neuen Roman. Im Klima von Terrorangst und Kriegspatriotismus nach 9/11 bringen ihn die Recherchen jedoch selbst ins Visier der amerikanischen Behörden."Die Schatten der Ideen" enthalten, was man von einem Roman Klaus Modicks erwarten kann: Einen soliden Plot, einen Protagonisten aus dem Literaturbetrieb, einen ironischen Tonfall und spielerische Verweise auf Werk und Leben von Schriftstellerkollegen. Indem er die antiliberale McCarthy-Epoche mit der neokonservativen Bush-Ära kurzschließt, steuert Modick die "Die Schatten der Ideen" in schweres politisches Fahrwasser.Den Aufenthalt als Gastdozent an der Ostküste der USA verdankt Carlsen einem alten Studienfreund, der als Germanist am abgelegenen Centerville College Karriere gemacht hat. Für den Schriftsteller aus dem alten Europa wird er zum Cicerone durch die schöne neue Campuswelt, in der Toleranz und Vielfalt gepredigt werden, aber politischer Opportunismus und Selbstzensur herrschen. Die Atmosphäre des akademischen Zauberbergs, auf dem Intrigen blühen und wissenschaftlicher Tiefsinn vom Schwachsinn kaum zu unterscheiden ist, fängt Modick gekonnt ein. Als Gastdozent verschiedener Colleges ist ihm diese Lebenswelt bestens vertraut.Die Aufzeichnungen von Julius Steinberg, die Carlsen zufällig entdeckt, verknüpfen die Schneekugelwelt des Campus mit der großen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Steinbergs Autobiographie zerfällt in zwei Teile. Die Abschnitte über die Verfolgung im NS-Regime wirken wie aus einem Handbuch kopiert. Stationen wie Hitlers Machtantritt, die Bücherverbrennung, die Nürnberger Gesetze oder der Novemberpogrom von 1938 werden pflichtschuldig bis lustlos abgehakt.Weitaus spannender ist dagegen Steinbergs Weg durchs amerikanische Exil. Bevor der Gelehrte wieder im vermeintlich sicheren Hafen der Wissenschaft anlegt, muss er allerlei Fährnisse als Taxifahrer in New York, als Gewerkschaftsfunktionär in New Jersey und als Holzfäller in Vermont überstehen. Dort trifft er auf einen anderen Emigrantenaußenseiter, der in den Grünen Bergen an der Ostküste als Farmer arbeitet: Carl Zuckmayer.Noch abenteuerlicher als der Aufstieg ist der erneute Fall des Hochschullehrers Steinberg. Die Gewerkschaftsarbeit bringt ihn Anfang der 50er Jahre vor den berüchtigten "Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten", und das FBI jagt ihn wegen seines wissenschaftlichen Interesses für Giordano Brunos kryptische Gedächtnistheorie. Für Steinbergs autobiographische Aufzeichnungen und Notizen über Bruno interessieren sich Geheimdienste, emeritierte Hochschullehrer und Informatiker auch vierzig Jahre später so sehr, dass Carlsen unversehens Opfer einer Kabale wird. Die reichlich verwickelten Handlungsfäden behält Modick sicher im Griff. Damit bewahrt er die Geschichte vor dem Absturz zur Räuberpistole. "Die Schatten der Ideen" bewegen sich so spielerisch zwischen Campusroman, Kriminalgeschichte und Politthriller.------------------------------Foto: Klaus Modick: Die Schatten der Ideen. Eichborn, Frankfurt 2008. 456 S. 19,95 Euro.