Wie die Bilder in den Palast der Republik kamen. Erinnerungen eines Beteiligten: Dürfen Kommunisten träumen?

Vor 25 Jahren drängten zum ersten Mal neugierige Besucher in den Berliner "Palast der Republik". Sicherlich kamen die meisten nicht wegen der sechzehn Gemälde, die zusammen mit der gläsernen Blume das Hauptfoyer schmückten, auch nicht um der Gobelins in den Restaurants willen, sondern um das vielfältige Freizeitangebot zu mustern, das dann 15 Jahre lang ausgiebig genutzt wurde.Dennoch wussten viele sehr wohl, dass in der DDR die bildende Kunst, ebenso wie andere Künste, wichtig genommen wurde. Sie war Indikator wie Instrument - und Prügelknabe - für Vorgänge im gesellschaftlichen Bewusstsein, in der ideellen Verarbeitung sozialer Realität. Deshalb wird mancher tags zuvor in der Zeitung "Neues Deutschland" gelesen haben, wie die "Gemälde im Foyer" als eine Art von Nationalgalerie erläutert wurden. Die "Betrachtung" stammte von mir, und ich war zufrieden, dass ich das Konzept des ganzen Vorhabens würdigen konnte. Es hätte auch anders kommen können. Drei Jahre zuvor hatte das Politbüro der SED den Bau beschlossen. Traditionsgemäß gehörte dazu eine Ausstattung mit Bildern, die die geltenden Wertvorstellungen veranschaulichten. Weil im Zusammenhang mit dem Palast auch die denkmalhafte Ehrung von Marx und Engels vorgesehen war, leitete ein Bildhauer, Fritz Cremer, das Kollektiv, das die Kunst im Palast planen sollte. Ich kann nur spekulieren, weshalb ich, damals Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, zur Grundsatzberatung des Kulturministeriums mit eingeladen wurde, in der am 23. 1. 1974 einigen Malern angeboten wurde, Bilder für das Foyer zu schaffen. Als einzige Vorgabe hatte Cremer das Rahmenthema formuliert: "Dürfen Kommunisten träumen?" Obwohl es auf Lenin zurückging, verblüffte es. Der "wissenschaftliche Sozialismus" setzte üblicherweise auf Gesetzmäßigkeit und Planbarkeit der Gesellschaftsentwicklung, nicht auf individuelle Träume. Aus Termingründen musste gleichzeitig gebaut und gemalt werden, und durch Heranziehung mehrerer Maler sollte die sozialistische Kunst der DDR als "Weite und Vielfalt" ausgewiesen werden. Für den in der DDR lebenden Katalanen Josep Renau, der mit der mexikanischen Wandmalerei vertraut war, bedeutete die Unmöglichkeit, am Bau noch etwas zu verändern, dass "wir in einem Käfig träumen müssen". Er zog sich enttäuscht zurück.Am 23. 10. 1974 konstituierte sich der kleine künstlerische Beirat für die Bilder im Foyer. Wir sprachen über die seit dem Frühjahr entstandenen Entwürfe und stritten mit über das Verhältnis der Bilder zum Bau. Die Architekten wollten größtmögliche stilistische Einheitlichkeit statt Wettstreit von Individualitäten. Cremer stellte daraufhin seine Beteiligung an der Bilderplanung ein, obwohl am "Vielfalt"-Prinzip festgehalten wurde. Schon zuvor hatten die Vertreter von Ministerium und ZK kaum Erfolg damit gehabt, den Malern Themen - etwa Volksarmee - einzureden, zu denen diese keine Lust hatten. Erst Anfang März 1976 bekam der Beirat die fertigen Bilder zu sehen: Die meisten spannungsvoll komponiert und starkfarbig. Viele Zitate aus bekannten Bildern stellten das neue Schaffen nachdrücklich in bedeutsame Traditionszusammenhänge. Allegorische und gleichnishafte Motive verlangten Entschlüsselung ihres oft widersprüchlichen Sinns. Die Bilder wurden ins Foyer gehängt. Jeder Einspruch gegen ein Bild hätte eine leere Stelle zur Folge gehabt. Ab 27. 3. fanden festliche Abende für tausende Bauarbeiter und andere statt, die irgendwie zur Errichtung des Baus beigetragen hatten. Erst danach rief mich eines Abends Fritz Donner, der Hauptabteilungsleiter Bildende Kunst im Kulturministerium, an, dass er bis zum nächsten Morgen für Minister Hoffmann und Kurt Hager, den für Kunst Zuständigen im Politbüro, eine Argumentationshilfe zu den Gemälden brauche. Hagers Meinungen über Kunst wurden keineswegs von allen Politbüromitgliedern geteilt, das Gremium musste aber sein Plazet geben. Bedrohlich stand im Hintergrund eine Analyse aus dem Institut für Gesellschaftswissenschaften des ZK, die ideologische Schwächen und Übernahme "westlicher" Formen kritisierte. Dagegen schrieb ich zu jedem Bild kurz auf, warum es ein Beitrag zum sozialistischen Realismus sei. Das war nicht mehr als die nachträgliche theoretische Legitimierung einer von den Künstlern längst vollzogenen Abkehr von der alten Ansicht, dass sich eine Gesellschaft oder eine "Zeit" in einem einzigen "Stil" ausdrücke, und erst recht von der Ansicht, sozialistischer Realismus müsse so aussehen wie sowjetische Kunst der frühen fünfziger Jahre. Meine Nachtarbeit wurde "oben" offenbar akzeptiert, denn zwei Wochen später bat mich das "Neue Deutschland" um den erwähnten Artikel, der ohne Korrektur erschien. Meine Zufriedenheit, dass sich dieses Konzept durchgesetzt hatte, und nicht länger verlangt wurde, dass jedes Bild allen zusagen müsse, ließ mich das Ganze loben und Kritik auf ein Minimum beschränken. Eine lebendigere Kunst insgesamt für mein Land war mir wichtiger als die Tatsache, dass auch mir nicht jedes Bild gleichermaßen zusagte. Meine Lesart der Bilder blieb freilich noch blind für die Symptome einer erschütterten Zuversicht in die Richtigkeit des Weges der eigenen Gesellschaft.Heute ist die Galerie im Palast, dieses konzentrierteste Zeugnis für den Anteil der Malerei am politischen und geistigen Zustand der DDR in den 70er-Jahren, leider nur noch ein Postkartenmäppchen des Deutschen Historischen Museums. Unser Autor, freier Kunsthistoriker in Berlin, war zu DDR-Zeiten Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität und Mitglied der Akademie der Künste.Die Kunst war Indikator wie Instrument - und Prügelknabe für Vorgänge im gesellschaftlichen Bewusstsein.BPG Bildende Kunst wurde wichtig genommen: Hochzeit in der Palast-Galerie.