Wie ein Forscherteam aus Adlershof zum Gelingen der Europäischen Währungsunion beiträgt: Der Euro legt sich nicht mehr quer
BERLIN, 25. Januar. Wenn Ralf Knöfel für die Landeskriminalämter auf Spurensuche geht, läßt Ingo Henze stapelweise Euromünzen über eine Verpackungsmaschine rollen. Dabei hat weder Knöfel schon einmal einen Fall gelöst noch sein Kollege je einen Euro im Original in der Hand gehalten. Die beiden sind Bildverarbeiter in der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) am Wissenschaftsstandort Berlin-Adlershof. Der eingetragene Verein einst von Wissenschaftlern der Berliner Akademie der Wissenschaften gegründet zog Anfang der 90er Jahre nach Adlershof und ist heute eine begehrte Adresse für Firmen, die für komplizierte technologische Abläufe praktische Lösungen suchen. Spurensuche erleichtertBeispiel Euro: Für den Druck der neuen Münzen hat die Neue Geldzählmaschinengesellschaft (NGZ) den Auftrag zum Bau neuer Münzzähl- und -Verpackungsanlagen erhalten. Unter anderem sollte die bisher manuelle Kontrolle der eingeschweißten Geldrollen durch eine Software-Lösung ersetzt werden. Das Problem: "Beim Einschweißen legt sich hin und wieder eine Geldrolle quer, manchmal fehlte auch eine Rolle ganz", sagt Ingo Henze. Das wurde bisher manuell überwacht und korrigiert.Henze fand eine bessere Lösung. Das Transportrollenband wird durch eine Kamera überwacht. Liegt eine Rolle quer oder fehlt eine, registriert das die Kamera und gibt über den Rechner ein Signal an den nachfolgenden Stapelroboter weiter. Der läßt die fehlerhafte Packung einfach durchlaufen. "Das klingt zwar einfach, aber eine solche Lösung wäre vor fünf bis zehn Jahren wirtschaftlich überhaupt noch nicht vertretbar, weil viel zu teuer gewesen", sagt Gerd Stanke, Chef der GFaI-Bildverarbeitung. Demnächst will auch die Berliner Münze eine Maschine mit der Lösung der GFaI in Betrieb nehmen. Für die Berliner Münze und andere deutsche Prägestandorte ist die Erfindung der Adlershofer von großer Bedeutung: Bis zur Erstausgabe des Euro im Jahr 2002 werden allein in Deutschland 12,1 Milliarden Münzen geprägt und verpackt. Aus Berlin kommen 20 Prozent der deutschen "Euro-Erstausstattung" das ist ein bisher noch nie dagewesener Auftragsboom. Für die GFaI war der unerwartete Beitrag zur Europäischen Währungsunion ein weiterer Mosaikstein im abwechslungsreichen Forschungsprogramm. "Etwa die Hälfte unserer Aufträge kommen aus der Industrie", sagt Stanke. Oftmals sind das Einzellösungen im Rahmen großer Forschungsprojekte, Nischenprodukte eben, die von großen Instituten nicht berücksichtigt werden. "Doch der Teufel steckt im Detail", sagt Stanke. Der 55jährige Informatik-Professor hält die Augen stets offen. Wo immer etwas passiert, überlegt er nach einer Lösung mit Hilfe der Bildverarbeitung. So stecken hinter den GFaI-Projekten oft eigene Ideen. Um sie zu verwirklichen, sind die Forscher aber auf Fördermittel angewiesen. Beispiel Spurensuche: Bisher werden an Tatorten gesicherte Fußspuren wie vor 100 Jahren archiviert: schlicht auf Karteikarten, in die alle möglichen Erkennungsmerkmale eingetragen werden. Die GFaI bot dem Landeskriminalamt Brandenburg an, dafür eine Software zu erarbeiten. In enger Zusammenarbeit mit den Kriminalisten entwickelte die GFaI eine Bilddatenbank. In ihr können nicht nur Spuren gespeichert, sondern gleichzeitig mit einer Vielzahl von Profilerkennungsmerkmalen, die von den Forschern in das Programm eingearbeitet wurden, verglichen werden. Ralf Knöfel: "Das erleichtert den Kriminalisten erheblich die Arbeit, sie können zudem viel schneller und exakter die Schuhspuren analysieren." Inzwischen arbeiten neben Brandenburg auch die Landeskriminalämter in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Saarland sowie die Polizeipräsidien in Münster, Dortmund und Aachen mit der GFaI-Lösung. "Insgesamt haben wir das Programm bereits zwölfmal verkauft", sagt Knöfel. Er begann wie Henze als Absolvent und ist heute fester Mitarbeiter. Beide sind nicht die einzigen, die auf diese Weise nach Adlershof kamen. Insgesamt beschäftigt die GfaI 70 Mitarbeiter. Die Liste ihrer Forschungsergebnisse und Vorhaben ist lang und vor allem sehr praxisorientiert. Das derzeit vielleicht spektakulärste Forschungsvorhaben gehört zu den 23 weltweiten Expo-2000-Projekten Berlins. Mit Hilfe von Computern wollen die GFaI-Forscher aus Kupferkopien 100 Jahre alter Wachswalzen, die verschimmelt, gesprungen oder auf andere Weise unbrauchbar geworden sind, wieder Musik erzeugen. Für Furore hatte die GFaI vor eineinhalb Jahren gesorgt: Damals gelang es ihr erstmals, mit einer selbstentwickelten, industrietauglichen Kamera statt Licht Geräusche abzubilden. Auf diese Weise war es weltweit erstmals möglich, die Lage komplizierter Schallquellen sichtbar zu machen. Die Kamera kann unter anderem zur Untersuchung von Maschinen- und Motorengeräuschen zur Verbesserung des Lärschutzes genutzt werden.Vermessung von Radsätzen"Die Welt ist visuell", sagt Stanke. Überall müßten Erscheinungsbilder kontrolliert werden. In den USA seien zehn Prozent aller Arbeitsplätze mit visueller Kontrolle verbunden. "Da ergeben sich für uns noch viele Aufgaben", sagt Stanke und nennt Beispiele: die Kontrolle optisch kaum wahrnehmbarer Brüche in Solarzellen, ein Vermessungsgerät für Kieferorthopäden, ein optischer Großmeßtisch, die Vermessung der Radsätze von Straßenbahnen: "Uns schwebt vor, daß die Radsätze von Straßenbahnen, die das Depot verlassen oder hineinfahren, automatisch aufgenommen und gemessen werden." Die GFaI-Forscher arbeiten überdies an einer Methode, Rinder zu identifizieren. Wie die Finger beim Menschen ist bei Kühen das Flotzmaul zwischen Nüstern und Oberlippe unverwechselbar. "Wir fotografieren das Maul, analysieren per Rechner die Strukturen und geben das Ergebnis jederzeit abrufbar in eine Zentrale Datenbank."Auftragsboom für Münzbetriebe: Bedarf: Für die Europäische Währungsunion müssen 70 Milliarden Münzen geprägt werden, allein in Deutschland werden rund 12,1 Milliarden Geldstücke benötigt.Berliner Münze: An der Prägeanstalt Berliner Münze sollen 20 Prozent der deutschen "Euro-Erstausstattung" geprägt werden. Die ersten Euros rollten im August 1998 aus den Prägeautomaten.Adlershof: Die GFaI, die eine Teillösung für eine neue Münzverpackungsmaschine erarbeitete, hat seit Jahren ihren Standort am Wissenschaftsstandort Berlin-Adlershof (WISTA).Firmen: Auf dem WISTA-Gelände arbeiten inzwischen 284 Firmen und Institute mit 4 400 Mitarbeitern. Allein 1998 kamen 818 neue Stellen dazu. Im Februar wird das Innovationszentrum für Informatik eröffnet.