Wie viel Tram braucht Berlin?

Ulfs Testfahrten sind nur der Auftakt. Nach dem Siemens-Produkt, für das die Wiener Linien fast 2,4 Millionen Euro bezahlt haben, werden im kommenden Jahr weitere Züge in Berlin erprobt. Voraussichtlich im April schickt Bombardier eine Straßenbahn, wie sie in der französischen Stadt Nantes fahren wird. Danach kommt eine Variobahn, wie sie unter anderem in Chemnitz verkehrt. Für diese Leistungsschau gibt es einen Grund: Noch in diesem Jahrzehnt beginnen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der Ausmusterung ihrer Tatra-Züge, von denen ein Teil dann rund 30 Jahre alt sein wird. Für die einst in Prag gebauten und in den Neunzigerjahren modernisierten Bahnen muss Ersatz gefunden werden. Der Test dient noch einem weiteren Zweck, sagt Betriebsvorstand Thomas Necker: "Wir wollen eine Diskussion anstoßen: Wie viel Straßenbahn braucht und finanziert diese Stadt?" Denn die Zahl der Neubestellungen hängt davon ab, welche Strecken auch in Zukunft betrieben werden. Die BVG-Chefs halten Straßenbahnen nur dort für sinnvoll, wo es auch genug Fahrgäste gibt. Doch jüngste Zählungen zeigen, dass die Auslastung zum Beispiel im Köpenicker Netz schlecht ist. Auf vier Abschnitten seien nicht mal fünf Prozent aller Plätze belegt: auf den Linien 26 und 67 am Krankenhaus, auf der Linie 60 kurz vor dem Wasserwerk Friedrichshagen, der Linie 62 in Wendenschloss und auf der Linie 68 in Schmöckwitz. In Rahnsdorf bewege sich die Auslastung der Linie 61 zwischen fünf und zehn Prozent, was auch für die Linien auf dem Sterndamm gelte. BVG-Sprecherin Petra Reetz: "Wir müssen uns fragen, ob sich der Verkehr in Teilen Köpenicks nicht genauso gut mit Bussen abwickeln ließe." Solche Überlegungen würden aber erst dann akut, wenn die Gleise saniert werden müssen - was in den nächsten Jahren nicht der Fall sei. Zu den ersten Kandidaten könnte die zuletzt 1988 erneuerte Rahnsdorf-Linie gehören, sagen Experten. Auch für Weißensee und Pankow lässt die BVG-Statistik wenig Gutes ahnen. Die Auslastung der Linie 1 in Heinersdorf und der 52 in Nordend liegt unter fünf Prozent. So ist der Nordteil der 52 im Stadtentwicklungsplan Verkehr des Senats für 2015 als stillgelegt eingezeichnet. "So redet man Stadtviertel platt", kritisiert der Fahrgastverband IGEB. Die Debatte verunsichere die Bürger. Dabei seien die Züge im Schüler- und Berufsverkehr überfüllt - im Umkreis wurde viel gebaut. "Darum ist es auch nur konsequent, wenn die 52 im Dezember zur Metrolinie aufgewertet wird", hieß es. Senatsplaner Jürgen Murach hält die Straßenbahnen in den Außenbezirken für zukunftsfähig. "Wir erwarten auch dort Zuwächse, wenn die Parkraumbewirtschaftung ausgedehnt wird und weitere Pendler auf den Nahverkehr umsteigen." Elektrische Züge seien sauberer als Busse. Wo eine Straßenbahn sinnvoll sei, entscheide die Politik, so Christian Gaebler (SPD): "Wenn die BVG Strecken nicht mehr betreiben will, muss sie uns das nur sagen. Dann schreiben wir die Linien aus."