A1-Privatisierungs-Skandal: Die Gier des Finanz-Zombies
Am 30. September 2013 treffen unter anderem Vertreter der Unicredit Bank AG eine brisante Entscheidung, die Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vier Jahre lang geheim halten wird. Am Wochenende deckte die Berliner Zeitung den Vorgang auf. An dem entscheidenden Tag vor vier Jahren drohen die Herren des Konsortiums A1 Mobil den Vertretern des Verkehrsministeriums damit, dass sie den Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer angespannten Finanzlage kündigen könnten. Ein außergewöhnlicher Vorgang, denn die rund eine Milliarde schwere Beziehung sollte noch 25 Jahre währen.
Das Konsortium A1 Mobil bewirtschaftet einen 72,5 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen Hamburg und Bremen. Eine öffentlich private Partnerschaft (ÖPP), angelegt auf 30 Jahre. Baukonzerne betreiben die Autobahn und kassieren dafür die Maut. Die Banken finanzieren. Die Verträge solcher Geschäfte mit dem Staat bleiben streng geheim. Vergangene Woche nun wurde bekannt, dass A1 Mobil die Bundesrepublik Deutschland auf 645 Millionen Euro verklagt. Denn das unterstellte Verkehrswachstum, das die Einnahmen aus der Lkw-Maut in die Konzernkassen spülen sollte, blieb einfach aus. Dabei hofften sie auf rund zwei Milliarden Euro und eine Kooperation mit der öffentlichen Hand: eigentlich ein sicheres Investment.
Die Prognose immer längerer Lkw-Karawanen auf der A1 war eine Finanzwette, die von der Wirklichkeit überrascht wurde, von einer noch größeren Wette. Das passiert unglücklicherweise nur einen Monat, nachdem der Konzessionsvertrag mit dem Staat über 30 Jahre unterzeichnet worden war. Lehman Brothers kippte, und stieß einen faulen Bankkredit nach dem anderen um; sie kippten wie Dominosteine. Wenige Monate später ebbte der Lastverkehr zwischen Bremen und Hamburg ab. Statt des erhofften Wachstums um 20 Prozent hielt die Realität 20 Prozent Schrumpfen bereit. Denn die A1 ist besonders eng mit dem Containerverkehr aus Übersee und dem internationalen Warenverkehr verwoben.
Bald reichen die Einnahmen nicht einmal mehr, um die Kreditlinie zu bedienen. Denn das sind die höchsten Kosten bei diesem Deal: die Finanzierung der acht Konsortialbanken. 518 Millionen Euro machen sie bei diesem Autobahnprojekt aus; für den eigentlichen Bau veranschlagen sie 515 Millionen Euro.
Krise als eine Art Naturkatastrophe
Zwar war die Finanzierung über eine exakte Berechnung der Lkw-Maut die Grundlage der Ausschreibung für dieses Projekt. Doch nachdem A1 Mobil 2008 den Zuschlag bekommen hatte, wollten die Finanzprofis nachverhandeln. Ab 2013 lautete die Strategie: Ein Ausstieg aus dem bisherigen Vertrag, eine Änderung musste her. Ihre Argumentation: Die Finanzkrise stelle etwas Unkalkulierbares dar, eine Art Naturkatastrophe, von „höherer Gewalt“ soll die Rede gewesen sein. Solche Risiken seien nicht vertraglich fixiert gewesen. Da sollte der Staat aushelfen.
Nach Informationen der Berliner Zeitung fordert das Konsortium von der öffentlichen Hand nun neben den Mauteinnahmen eine monatliche Zahlung von knapp 2,49 Millionen Euro bis 2038. Zusammen also rund 645 Millionen Euro.
Ende November 2013 treffen sich deswegen ein Direktor der Unicredit und Vertreter der A1 Mobil mit Staatssekretär Enak Ferlemann. Der hatte sich bereits in Krisengesprächen zwei Jahre zuvor wenig kompromissbereit gezeigt. Auch an diesem Tag soll er die privaten Partner daran erinnert haben, dass sie nicht nur Gewinne machen können, sondern auch Risiken zu schultern hätten. Doch er kommt den Managern entgegen, zeigt Änderungsbereitschaft. Das Konsortium solle ein neues Verkehrsgutachten erstellen.
Alexander Dobrindt wird erst drei Wochen nach diesem Gespräch Verkehrsminister. Ob er mit seinem Parteifreund und Amtsvorgänger Peter Ramsauer (CSU) über die dramatische Lage sprach? Eine Anfrage der Berliner Zeitung, ob und wann die Unionsfraktion in die seit Jahren drohende Pleite und die Schlichtungsgespräche mit dem Konsortium involviert war, beantwortete die Pressesprecherin ausweichend: Die Fraktion habe „die auch der Allgemeinheit zugänglichen Informationen zu ÖPP-Projekten“ gehabt. Das Verkehrsministerium antwortet gar nicht.
Bis zum Sommer 2015 folgen nach Informationen der Berliner Zeitung mindestens vier weitere Krisengespräche über eine Vertragsanpassung. Je länger diese Gespräche dauern, umso prekärer wird die finanzielle Lage des Konsortiums. Es droht an den Zinsforderungen der Banken zu ersticken. Die Einnahmen durch die Maut reichen nicht einmal zur Kostendeckung. Die Gesellschaft könnte die Pleite rutschen. Nur weil die Banken weitere Zahlungsforderungen aussetzen, überlebt das Konsortium.
A 1 Mobil ist nun ein öffentlich-privater Finanz-Zombie. Scheinbar am Leben gehalten durch die leitende Konsortialbank Unicredit, die Caja Madrid, die DZ Bank AG sowie fünf weitere Kreditinstitute.
Konstruktion wie geschaffen, um Staat unter Druck zu setzen
Die Banken sind die treibenden Kräfte in diesem Spiel um Macht und Geld. Ihnen droht der Verlust knapp einer halben Milliarde Euro. Wenn sie nicht stillhalten, schreibt ein Sachverständiger, den die Bankiers beauftragen, wäre die Gesellschaft des Konsortiums „spätestens zum Dezember 2017 ‚illiquide‘“. Es bleibt also kaum eine andere Wahl, als zunächst von ihren Forderungen abzusehen. Denn bei der Gesellschaftskonstruktion des Konsortiums ist wohl nicht viel zu holen. In der A1 Mobil GmbH & Co KG haften Johann Bunte GmbH & Co KG und die John Laing Infrastructure Ltd. mit wenigen zehntausend Euro. Für Experten wie den Verwaltungswissenschaftler Horst Mühlenkampf ist diese Konstruktion wie geschaffen dafür, den Staat unter Druck zu setzen. Denn der kann eine Autobahn nicht einfach abschreiben.
Die Vertreter des Konsortiums unternehmen alles, um die Partner des Ministeriums und der Banken zu überzeugen. Sie gründen eine Steuerungsgruppe, in der ein Geschäftsführer und Berater von PricewaterhouseCoopers Berechnungen liefern. Sie überzeugen die Banken von der hohen Wahrscheinlichkeit eines juristischen Erfolgs und vereinbaren mit ihnen das Stillhalte-Abkommen.
Im Sommer 2015 endet die erste Schlichtungsrunde. Es heißt, Vertreter der Kapitalseite hätten den Eindruck gewonnen, dass die Partner des Verkehrsministeriums ihre Verhandlungsbereitschaft nur vorgetäuscht hätten. Es folgt ein zweites Schlichtungsgespräch ab Herbst. Dafür wird ein Schlichtungsausschuss gebildet, bestehend aus fünf Personen. Dazu zählen drei Präsidenten von Landes- und Oberlandesgerichten.
Es geht immer um die Anpassung der Vergütung für die A1 Mobil. Die Berufsrichter sollen sich in diesem privaten Schlichtungsverfahren zugunsten des Konsortiums geäußert haben. Es liege eine Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, vor. Wenn das Konsortium allein das Risiko der Verkehrsmenge zu tragen habe, könne es Situationen geben, in denen die weitere Vertragserfüllung nicht mehr zugemutet werden könne. Bei A1 Mobil träfe die zu,, weil das „Projekt für beide Seiten Pilotcharakter hatte“, soll es in einer Einschätzung der Richter heißen. Dies sollen sie im April 2016 dem Schlichtungsausschuss so mitgeteilt haben.
Für ein weiteres Treffen soll belegt werden, dass die Probleme nicht selbst verschuldet, nicht vorhersehbar und auf die Finanzkrise zurückführbar gewesen seien. Sachverständige und Wirtschaftsprüfer fangen an zu rechnen. Mitte Februar 2017 soll dieser Beweis erbracht sein.
Stimmung unter Null
Der Berliner Zeitung liegt der Auszug dieser zweiten richterlichen Einschätzung vor. Darin heißt es: „Ursachenzusammenhang zwischen Finanzkrise, Verkehrsmengenrückgang, Ausbleiben erwarteter Einnahmen und Existenzkrise (...) nicht wegen unberechtigter Erwartungen und Annahmen“. Die Finanzkrise ist schuld.
Ab diesem Zeitpunkt ist die Stimmung im Verkehrsministerium wohl unter Null. Die Ministerialen verweigern angeblich alle weiteren Verhandlungsversuche des Konsortiums.
Doch diese Spannungen ändern nichts an den guten Beziehungen des Ministeriums zu privaten Konzernen. Alexander Dobrindt, Wolfgang Schäuble und der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) arbeiten parallel an einem Meisterstück: der Infrastrukturgesellschaft. Eine GmbH, die nicht mehr föderal, sondern zentral vom Bund aus die Bewirtschaftung der Autobahnen steuert. Eine ÖPP-Maschine, sagen Experten.
Der Verkehrsminister hat dazu Berater von Pricewaterhouse Coopers und der Kanzlei Graf von Westphalen mit einem Gutachten beauftragt. Es wird die Steuerzahler 2,2 Millionen Euro kosten, und es soll unter Verschluss bleiben. Die Berliner Zeitung enthüllt es im März 2017. Eine rund 1 000 Seiten starke Bedienungsanleitung der Infrastrukturgesellschaft. Das geheime Krisengespräche mit den Vertragspartnern der A1 Mobil liegt da nur einen Monat zurück.
Ausgerechnet mit Hilfe der Maut soll die Infrastrukturgesellschaft betrieben werden. Anders als beim gescheiterten Geheimdeal zur A1 sollen die Privaten jedoch nicht mehr in Bedrängnis geraten. Im Gutachten steht, „dass sich die Infrastrukturabgabe erhöht, soweit die Lkw-Maut nicht zur Deckung der Kosten ausreicht“. Ein Kosten-Steigerungs-Automatismus. Eine Gewinngarantie.
Am Tag, als die Infrastrukturgesellschaft als größtes verkehrspolitisches Vorhaben der Bundesregierung den Bundestag passiert, spricht Minister Dobrindt vor den Abgeordneten im Parlament. Er sagt: „Privates Kapital kann und muss in Zukunft helfen, die Infrastruktur zu modernisieren. Wir wären ziemlich vernagelt, wenn wir uns diese Alternativen nehmen würden, nur weil wir uns wieder in einer Grundsatzdebatte verlieren.“ Kritikern der Linken ruft er zu: „Ich misstraue nicht jedem, der sich in diesem Land privat engagiert.“
Die Erfahrungen mit dem Konsortium lassen an diesem Vertrauen zweifeln. Denn die Manager fordern eine drastische Änderung ihres Geheimvertrages. Neben der Maut soll nun der Staat rund 2,5 Millionen Euro monatlich zahlen. Sie fordern 124 Millionen Euro rückwirkend für entgangene Mauteinnahmen. Und sie fordern rund 7 Millionen Euro für Beraterkosten, die durch das Schichtungsverfahren entstanden sind.
Den Schwankungen des Verkehrsaufkommens dürften, so heißt es nach Ansicht der Konzerne, nur in einem „kontrollier- und kalkulierbaren Korridor“ verlaufen. Die Marktwirtschaft endet, wo statt Renditen Risiken beginnen.
Es existieren drei weitere Konsortien, die sich über die Maut finanzieren. Trotz Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe wusste das Finanzministerium nach eigenen Angaben nichts von der Krise. „Das Projekt wurde vom Bundesverkehrsministerium als federführendem Ressort betreut. Einzelheiten sind dem Bundesfinanzministerium nicht bekannt. Mögliche Risiken des Projekts wurden im Haushalt nicht berücksichtigt.“