SPD-Vorstoß: Müssen deutsche Milliardäre den Wiederaufbau der Ukraine bezahlen?

Der Kanzler kündigt Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine an. SPD-Chefin Esken will dafür Milliardäre zur Kasse bitten. Unrealistisch, meint unser Kolumnist.

Olaf Scholz und Ursula von der Leyen bei der internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin.
Olaf Scholz und Ursula von der Leyen bei der internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin.imago/UPI Photo

750 Milliarden. So teuer wird der Wiederaufbau der Ukraine – in Dollar gerechnet. Die Rechnung hat der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal am Montag bei der Konferenz für Wiederaufbau präsentiert. Deutschland könnte etwa 500 Millionen Dollar pro Monat übernehmen, legte ein Wirtschaftsberater von Präsident Wolodymyr Selenskyj nach.

Zu der Konferenz hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geladen und nicht weniger als eine Neuauflage des Marshallplans gefordert. Das Original waren Milliardenhilfen, mit denen die USA nach dem Zweiten Weltkrieg der europäischen Wirtschaft auf die Beine half. Doch woher soll das Geld kommen?

Ukraine, Druschkiwka: Eine ältere Frau mit einem Regenschirm geht an Gebäuden vorbei, die nach ukrainischen Angaben durch russischen Beschuss beschädigt wurden.
Ukraine, Druschkiwka: Eine ältere Frau mit einem Regenschirm geht an Gebäuden vorbei, die nach ukrainischen Angaben durch russischen Beschuss beschädigt wurden.AP/Andriy Andriyenko

Selenskyj: Deutsche Millionen für ukrainische Renten

Präsident Selenskyj war zehn Minuten per Videoschalte dabei. Die nutzte er, um den Anwesen Druck zu machen. Ein Drittel der ukrainischen Energieinfrastruktur sei durch Raketenangriffe zerstört worden. Ausgerechnet vor dem Winter. Nicht weniger dringend seien Investitionen in kritische Infrastruktur: Schulen, Krankenhäuser, Wohnraum, Verkehrswege. „Jetzt, nicht morgen, nicht im nächsten Jahr“, müsse der Wiederaufbau beginnen, also während der Krieg noch läuft. 500 Millionen Dollar aus Deutschland monatlich brauche man unter anderem, um Renten zahlen zu können, so Selenskyj.

Die ukrainische Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko argumentierte per Videoschalte weiter, dass auch die gesamte Wirtschaftsleistung der Ukraine dieses Jahr um ein Drittel einbrechen werde. Zum Vergleich: Der coronabedingte Einbruch des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag 2020 bei fünf Prozent[1]; der durch die Finanzkrise von 2008 bei fast sechs Prozent. Ukrainische Firmen würden reihenweise pleitegehen, die Arbeitslosigkeit explodiere, Fachkräfte flüchteten aus dem Land, schilderte Swyrydenko. Für den ukrainischen Staat eine Mammutaufgabe: keine Produktion, keine Steuereinnahmen, dafür aber viel mehr Sozialausgaben. Die Inflation galoppiert offiziell längst mit weit über 20 Prozent.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) spricht mit Produktionsleiter Oleksander Jermolenko und Mitarbeitenden in einer Brotfabrik.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r.) spricht mit Produktionsleiter Oleksander Jermolenko und Mitarbeitenden in einer Brotfabrik.dpa/Michael Kappeler

Darum kann neuer Marshallplan eine Sackgasse für die Ukraine werden

Scholz und von der Leyen schwangen auf der Konferenz Reden mit viel EU-Pathos. Wer heute in den Wiederaufbau der Ukraine investiere, „der investiert in ein künftiges EU-Mitgliedsland, das Teil unserer Rechtsgemeinschaft und unseres Binnenmarkts sein wird“, so der Bundeskanzler. Das Versprechen kann für die Ukraine aber schnell zur Bedrohung werden. Denn der freie europäische Binnenmarkt überfordert ja schon Länder wie Frankreich und Italien, die über Jahre Marktanteile an die deutsche Exportindustrie verloren haben und heute mit Deindustrialisierung kämpfen.

Wie soll dann erst die weit weniger entwickelte und jetzt auch noch kriegsgebeutelte Ukraine damit zurechtkommen, dass ihre Schlüsselindustrien mit den viel mächtigeren Deutschen konkurrieren müssen? Die ukrainische Wirtschaft braucht neben dem Geld auch Schutz, um sich zu berappeln. Wenn europäisches Geld mit der Maßgabe fließt, dass sich die Ukraine schnellstmöglich am europäischen Binnenmarkt behaupten muss, wird der neue Marshallplan zur Sackgasse für die Ukraine.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht bei der Internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht bei der Internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine.dpa/Christophe Gateau

„Freies“ Geld im Staatshaushalt bereits verteilt

Olaf Scholz nennt den Wiederaufbau der Ukraine ein Projekt „für die nächsten Jahrzehnte“. Woher aber das Geld nehmen? Das weiß auch Scholz noch nicht so recht. Deshalb betont er bei seiner Konferenzrede: Man brauche alle Gelder, die man bekommen könne – staatlich und privat. Zusätzliche 500 Millionen pro Monat (sechs Milliarden pro Jahr) lassen sich im Bundeshaushalt doch schon finden, könnte man meinen. Und die neueste Steuerschätzung macht Hoffnung: Die Steuerexperten erwarten für 2023 Mehreinnahmen in Höhe von 8,9 Milliarden Euro. Daraus ließen sich die Haushaltshilfen für die Ukraine schon bezahlen – theoretisch. Praktisch hat Finanzminister Christian Lindner das Geld schon anders eingeplant. Für steuerliche Entlastungen hier in Deutschland. „Spielräume für zusätzliche Ausgaben gibt es keine“, so Finanzminister Lindner am Donnerstag auf der Pressekonferenz zur Steuerschätzung.

Die Frage „Woher nehmen?“ wird der Ampel noch Kopfschmerzen bereiten. Erst recht, wenn neben der sechs Milliarden für den ukrainischen Haushalt auch weitere Milliarden konkret für den Wiederaufbau gezahlt werden sollen. Immerhin soll ab 2023 ja auch die Schuldenbremse wieder gelten, Schuldenmachen für die Ukraine geht nicht. Außerdem droht auch die Steuerschätzung auf Luftschlössern gebaut zu sein. Denn Deutschland schlittert gerade in eine Wirtschaftskrise. Wie schlimm die wird, ist noch offen. Die Bundesregierung hat jüngst erst ihre Konjunkturprognose gesenkt. Im kommenden Jahr schrumpft die Wirtschaft demnach um 0,4 Prozent. Schrumpfende Wirtschaft heißt auch schrumpfende Steuereinnahmen. Wie passt das also alles zusammen?

Olaf Scholz, Bundeskanzler, und Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP.
Olaf Scholz, Bundeskanzler, und Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP.imago/Chris Emil Janßen

Vermögenssteuer für die Superreichen?

Und nun prescht die Parteichefin von Olaf Scholz, Saskia Esken, vor: „Zur Finanzierung eines handlungsfähigen, solidarischen Staates, der die Gesellschaft in unserem Land zusammenhält, den Wiederaufbau in der Ukraine unterstützt und gleichzeitig nicht die Augen vor der globalen Hungerkrise verschließt, müssen wir eine solidarische Vermögensabgabe der Superreichen endlich umsetzen“, sagte Esken am Mittwoch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat sofort Zuspruch geäußert.

Doch die Umsetzung dieses Vorstoßes ist derzeit alles andere als realistisch. Der FDP-Finanzminister Lindner erinnert wöchentlich an das Koalitionsabkommen, keine Steuern zu erhöhen. Ohnehin hält er von Steuern auf Vermögen noch weniger als vom Schuldenmachen. Eher würde er die Schuldenbremse noch mal über Nebenhaushalte austricksen – wie bei den 200 Milliarden für den Abwehrschirm.

Dass der Vorschlag von Esken an der Koalitionswirklichkeit meilenweit vorbeigeht, wird Esken auch selbst wissen. Ihre Forderung muss man wohl als Versuch einordnen, der FDP im Voraus öffentlich die Schuld in die Schuhe zu schieben, falls Deutschland den Versprechungen an die Ukraine finanziell doch nicht nachkommen sollte. Denn ohne höhere Steuern oder Abkehr von der Schuldenbremse sind die Versprechen heiße Luft.