Aufrunden bitte: Trinkgeld für Deutschland
Oh, danke!“ Die junge Kassiererin an der Supermarktkasse der Kaufland-Filiale freut sich als wäre ihr ein großzügiges Trinkgeld zugesteckt worden. Tatsächlich sind es aber nur vier Cent, und auch die sind nicht für sie, sondern für Leute, die die Frau nicht einmal kennt. Mit den Worten „Aufrunden bitte“ hatte der Kunde die kleine Spende ausgelöst und das Lächeln auf das müde Gesicht der Kassiererin gezaubert.
Seit März dieses Jahres kann bundesweit an rund 40.000 Kassen per Ansage gespendet werden. „Aufrunden bitte“ lautet der Code für den Tastendruck, mit dem die letzte Stelle des Einkaufsbetrags bis zur nächsten Zehnerstelle aufgerundet wird und damit beispielsweise 32,70 statt 32,64 Euro auf der Rechnung stehen. Rund elf Millionen Mal geschah das in den vergangenen sechs Monaten an den Kassen beteiligter Geschäfte. So sind bislang etwa 470.000 Euro zusammen gekommen.
Das Projekt Eltern AG konnte sich inzwischen über 245.000 Euro freuen. Es war das erste Förderprojekt der Deutschland-rundet-auf-Initiative. Mit der Spende werden speziell ausgebildete Mentoren finanziert, die jungen Eltern in schwierigen Situationen praktische Lebenshilfe geben sollen. 600 Eltern mit über 1500 Kindern wird so unmittelbar geholfen. „Wir wollen nicht nur Geld einsammeln, wir wollen Deutschland besser machen“, sagt Christian Vater, der das Spenden-Sammelmodell erdacht und zum Laufen gebracht hat.
Wir treffen den 37-Jährigen in seinem Büro in der Friedrichstraße. Hier hat die Deutschland rundet auf GmbH ihren Sitz. Die drei Büros liegen am Ende eines verwinkelten Flurs und sind weniger pompös als es die exquisite Adresse in der Berliner City Ost erwarten ließ. Es sind drei kleine Zimmer von jeweils bestenfalls 20 Quadratmetern, schmucklos und zweckmäßig mit Ikea-Möbeln ausgestattet. An den Tischen sitzen junge Leute vor Laptops. Auf dem Boden liegt ein Longboard.
Idealismus und Eigenkapital
Christian Vater trägt Flip-Flops, schwarze Hosen und ein schwarzes T-Shirt samt blau-weißem Aufrunden-bitte-Logo. Bevor sich der junge Mann seiner Idee verschrieb, das Land per Mikrospende zu verbessern, absolvierte er ein Wirtschaftsstudium in London, arbeitete bei verschiedenen Platten-Labels und im Management von Robbie Williams. Hinter Vaters Schreibtisch lehnt ein Mountain-Bike an der Wand. Dienstwagen war gestern.
Bereits vor zweieinhalb Jahren begann Christian Vater an seiner Idee zu arbeiten. Viel Idealismus hat er investiert und auch viel Eigenkapital. Wenn er von der Aktion spricht, glaubt man ihm, dass er verändern will. Vater hat das Spenden einfacher gemacht als das Telefonieren, und es kommt gänzlich ohne Dramatik und Vorführung des Leids aus. „Gutes tun soll Spaß machen“ sagt er.
Ganz am Anfang der Aktion fand Vater einen Business-Angel, der ihn finanziell unterstützte. Viele weitere Helfer folgten. Die Miete für die Büroräume etwa sei „vom Vermieter rabattiert“. Die erste Werbekampagne wurde von Medien und Werbeagentur kostenlos erbracht und habe unter dem Strich nicht einmal einen sechsstelligen Betrag gekostet, obwohl dafür ein Millionen-Etat nötig gewesen wäre. Ohne Unterstützung wäre es nicht möglich gewesen, sagt der ehemalige Musikmanager. Als im Gespräch erneut das Wort Aktion fällt, hakt er ein. Das sei ein unpassender Begriff, weil es klinge, als würde es schon übermorgen wieder vorbei sein. „Das ist keine befristete Aktion“, sagt der Mann mit dem Verkäufer-Gen. „Das bleibt.“
Derzeit machen insgesamt 18 Unternehmen bei „Deutschland rundet auf“ mit. Darunter auch große Ketten wie der Discounter Netto, der landesweit rund 4000 Filialen betreibt und wöchentlich 19 Millionen Kunden empfängt. Penny, die Schuhhändler Görtz und Reno oder die Douglas-Parfümerien sind andere. Zusammen kommen die Partner der Initiative auf etwa 12.000 Filialen und einen Jahresumsatz von rund 35 Milliarden Euro. Dass auch konkurrierende Unternehmen mitmachen, darauf ist Vater besonders stolz. „Das zeigt, dass soziales Engagement wirklich über dem Geschäftlichen steht. Da sind einige weiter als andere.“ Auch der Dekoartikel-Anbieter Depot gehört dazu. „Vor allem die Eins-zu-eins-Weitergabe, ohne Abzüge, setzt dieses Programm von vielen anderen sozialen Initiativen ab“, sagt Depot- Chef Christian Greis.
Tatsächlich macht neben der Einfachheit genau das die Initiative aus. „Wer an der Kasse spendet, kann absolut sicher sein, dass jeder Cent in die geförderten Projekte fließt“, verspricht Christian Vater. Dafür zahlen die Partnerfirmen eine Gebühr an die GmbH. Deren Höhe richtet sich nach dem Umsatz. Die Spanne reicht von 1000 bis 100.000 Euro. Damit wird das System am Laufen gehalten. Zudem rüsten die Partner ihre Ladenkassen um und passen die interne Abrechnung an, um die Spenden ausweisen zu können. Das sei ziemlich aufwändig, aber nötig, um die Transparenz zu gewährleisten, so Vater. Zugleich sei es der Grund, weshalb aktuell nicht jeder kleine Kiosk in das System aufgenommen werden kann. „Das ist nicht kontrollierbar.“
Auf unlautere Praktiken abgeklopft
Sonst sei jeder willkommen. Auf dem Flur vor Vaters Büro steht eine große Tafel, auf die unter der Überschrift Wunschpartner die Namen großer Firmen mit einem roten Stift geschrieben wurden. Die Liste ist lang und doch fallen dem Betrachter auf Anhieb einige Tankstellen-, Fast-Food- und Baumarktketten ein, mit denen sich die Aufstellung ergänzen ließe.
Die Deutschland rundet auf GmbH hat mittlerweile sechs fest angestellte Mitarbeiter. Christian Vater ist der Geschäftsführer. 6500 Euro, antwortet er auf die Frage nach der Höhe seines Gehalts. Dann wird er plötzlich nachdenklich und überlegt, ob es richtig war, den Betrag genannt zu haben. Schließlich entscheidet er sich auch in diesem Punkt für Transparenz. Mag jeder selbst entscheiden, ob das zu viel ist, für einen, der Menschen um Hilfe bittet, oder ob nicht Etliche sehr viel mehr bekommen und doch weit weniger bewegen?
Vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen werden Spendeninitiativen regelmäßig unter die Lupe genommen und auf unlautere Praktiken abgeklopft. Es vergibt auch das „DZI Spendensiegel“, das Seriosität und Ehrenhaftigkeit attestiert. Dafür muss eine Organisation allerdings mindestens zwei Jahre bestehen, wovon „Deutschland rundet auf“ noch weit entfernt ist. Dennoch hat das Institut die Initiative „in Grundzügen“ überprüft. In den nächsten Tagen soll die entsprechende Auskunft veröffentlicht werden. DZI-Chef Burkhard Wilke will dem nicht vorgreifen. Es sei aber auszuschließen, dass „Deutschland rundet auf“ mit der zu erwartenden Auskunft in die Rubrik „Das DZI rät ab“ aufgenommen werden muss.
Christian Vater wird seiner Vision weiter folgen. Er rechnet vor, dass in diesem Land täglich 50 Millionen Menschen einkaufen. Wenn da jeder nur einen Cent spenden würde, kämen an jedem Tag 500.000 Euro zusammen. „Da will ich hin“, sagt er.